Sonntag, 1. Dezember 2019

US-Krieg gegen Rivalen China

Freitag, 22. November 2019
Von Wolfgang Effenberger

Der Politikwissenschafter Graham Allison vertritt in seinem 2017 erschienen Buch „Destined for War. Can America and China Escape Thucydides' Trap?“ die These, dass sich China heute in der Rolle des zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufsteigenden europäischen Landmacht Deutschland befindet. 
Was heute die USA sind, war damals die globale Seemacht Grossbritannien.
Die Thukydides-Falle beschreibt einen in der Geschichte anscheinend immer wiederkehrenden Vorgang vom Abstieg einer Großmacht und dem Aufstieg einer zweitrangigen Macht, ein Vorgang der häufig im Krieg mündete.
Auf diese sog. "Thukydides-Falle" spielte der chinesische Staatsrat und Außenminister Wang Yi an, als er 2017 sagte: "China hat das Vertrauen, den historischen Präzedenzfall durch einen verbesserten Dialog und Koordination mit der US-Seite zu vermeiden.".. 
20. Oktober 08
China in strategischer Rivalität mit den USA ?
Strategische Rivalität USA-China unvermeidlich? 
Die Länder drängen nach vorne und es erinnert ein wenig an den unbändigen Aufbruch Deutschlands und Japans nach dem Eintritt ins 20. Jahrhundert. Die wirtschaftliche und politische Dynamik dieser mit Macht  aufstrebenden Länder mündete schließlich 1914 in den „Ersten Weltkrieg“ und konnte nur mit Waffengewalt unter Kontrolle gebracht werden.
https://noltefranz.typepad.com/blogv/2008/10/china-in-strategischer-rivalit%C3%A4t-mit-den-usa.html

...Wang sieht in einer internationale Kooperation -  hier sei auf die Shanghai-Organisation, die BRICS-Staaten und das neue Seidenstraßenkonzept „One Belt, One Road“ verwiesen - die einzig mögliche Wahl. In einer vernetzten Welt müssen  die Interessen der aufstrebenden und der etablierten Mächte für alle Seiten zufriedenstellend in Einklang gebracht werden. Konflikte würden, so Wang, nur zu  einer Verlust-Verlust-Situation führen. Das konnten Deutschland und Grossbritannien nach dem Ersten Weltkrieg eindrucksvoll beweisen. 

Aber werden die USA - immerhin bei China hoch verschuldet - diese Konkurrenz einfach hinnehmen?
Zehn Jahre nach Obamas Grundsatzrede und vier Jahre dem TRADOC-Strategiepapier scheint die Trump-Administration entschlossen, „China im Kampf um globale ökonomische, technologische und militärische Vorherrschaft zu schlagen“

In gewohnter Weise wird nun das bekannte Operationsbesteck ausgepackt: Agitation und  Propaganda, Sanktionen, Destabilisierung weiterer China-Anrainer durch islamische Terrorgruppen (wie des IS als Nachfolger der von den USA ins Leben gerufenen Terrorgruppe Al-Kaida), Zündeln in der Straße von Taiwan als auch an der chinesischen Westgrenze. Und nicht zu vergessen der Aufruhr in Hongkong. All das in Übereinstimmung mit dem TRADOC-Papier von 1994. Es legte die Rolle der US-Streitkräfte für das 21. Jahrhundert fest, ein Jahrhundert des weltweiten Krieges widerstrebender Ideologien. Man befinde sich in einer dynamischen Ära, einer „Welt im Übergang“- eine blumige Umschreibung für blutige Kriege. Neu eingeführt wurde dort die Handlungsanweisung „OPERATION OTHER THAN WAR“ (OOTW)(11). Mithilfe der zivilen Unterstützung, Friedensoperationen, Katastrophenhilfe usw. sollen Strukturen aufgebaut und der Weg in den Krieg geebnet werden. 

Während im Osten von China, in Hongkong, vermummte Aktivisten Straßen blockieren, Pflastersteine und Brandsätze werfen, können im Westen Chinas – in der Provinz Xinjiang – die Uiguren, ein mehrheitlich sunnitisches Turkvolk, gegen Peking in Stellung gebracht werden. Im Kampf gegen den Terror hatten die USA 22 Uiguren gefangen genommen und in Guantanmo inhaftiert. Nun erkannte Washington das revolutionäre Potential der Uiguren und begann, für die Gefangenen Aufnahmeländer zu finden. Fünf fanden in Albanien Asyl, die restlichen 17 sollte die Bundesrepublik aufnehmen, was schließlich abgelehnt wurde. Dafür hat sich in München dank eines uigurischen Mitarbeiters des US-Freiheitssenders „Radio Free Europe“ die größte Uigurengemeinde außerhalb von Xinjiang gebildet.
Die Bedeutung des uigurischen Revolutionspotential rückt wieder Afghanistan in den Focus. Vom Nord-Osten Afghanistans verläuft der Wakhan-Korridor – ein 300 Kilometer langer Landstrich am Fuß des Pamirgebirges nach Osten in den südlichen Teil Xinjiang. Dieser strategisch wichtige Korridor muss für die Absichten der USA geöffnet bleiben – daher gibt es auch keinen Abzug aus Afghanistan. Am Pfropfen zum Korridor patrouillieren seit 2002 Bundeswehrsoldaten – ein Ende ist nicht abzusehen.
Seit Wochen orchestrieren westliche Leitmedien – von der New York Times bis zur Tageschau – das Leid der Uiguren: „Leak zu Uiguren-Lagern "Keine Gnade"“(Tagesschau) und "NYT"-Bericht über Chinas Gulag-System Pekings "Volkskrieg" gegen die Uiguren (Spiegel).  Der Propagandakrieg gegen China läuft auf Hochtouren. Zum Vorwurf eines Völkermordes scheint  es nur noch ein kleiner Schritt zu sein. 

Im Westen Chinas kollidiert das Weltbild von China und seinem Nachbarn Russland mit dem der USA und ihrer vornehmlich westlichen Verbündeten. Für Willy Wimmer sollte der  Zerfall der Sowjetunion  „nicht zu Endlos-Kriegen in Zentralasien diesseits und jenseits des Tien-shan-Gebirges führen. Deshalb die Shanghai-Kooperation nach dem Modell der KSZE. Dieses europäische Erfolgsmodell“, so Willy Wimmer weiter, „ stieß in Asien auf die Sabotagehaltung der USA. Nicht friedlicher Ausgleich, sondern das Auskämpfen amerikanischer Interessen war angesagt, bis zum letzten Uiguren“.

Versuch einer Analyse:
Lange bevor  Donald Trump ins Weiße Haus einzog, wurden die entsprechenden Strategiepapiere verabschiedet. Das US-Militär samt allen US-Geheimdiensten und weiteren Regierungsbehörden konnte sich auf einen langen Quasi-Krieg vorbereiten, „was sowohl wachsenden ökonomischen und diplomatischen Druck auf China als auch den Aufbau militärischer Kräfte entlang seiner Peripherie umfasste“
Seit dem Amtsantritt des jetzigen Präsidenten eskalieren derartige Initiativen zu einem Kampf im Stil des Kalten Krieges. Auf dem Schachbrett bewegen sich weiße (westliche) Figuren, die teils überschneidende und auch divergierende Interessen haben. 

Die absteigende Großmacht USA muss den Rivalen China niederhalten, während die Vertreter des ehemaligen britischen Empire – und hier vor allem die City of London – andere Prioritäten haben. 
Den Niedergang der USA könnten sie nutzen, um das alte Empire wieder aufleben zu lassen. Da macht der Brexit durchaus Sinn. Die Bank HSBC (Honkong & Shanghai Banking Cooperation Holdings) ist eine britische Großbank mit Sitz in London – steht laut Forbes auf Platz 9 der Niederlassungen und Büros in der gesamten asiatisch-pazifischen Region. Bei einem Aufstieg Chinas wird die HSBC deutliche Gewinne machen. 

So wird die City of London wenig Interesse an einem flächendeckenden Krieg in China haben. Und während die Kreise um Trump möglichst einen Krieg gegen Russland vermeiden würden, da u.a. zu kostenintensiv, sehen die Londoner Strategen wieder einmal die Chance, den Kontinent durch einen Krieg zwischen Deutschland und Russland nachhaltig zu schwächen. In diesem Krieg würden auch große Gewinne locken, da Great Britain dank Brexit auf dem Kontinent nicht kämpfen müsste.
Nun wird es für die kriegführenden Parteien darauf ankommen, geeignete Hilfsvölker zu mobilisieren. Im asiatischen Raum könnte Japan, Indien, Pakistan gewonnen oder in Konflikte verwickelt werden, während in Europa die baltischen Staaten und auch Polen für einen Krieg gegen Russland zu mobilisieren wären. Der französische Staatschef hält die NATO für hirntot. Da dürfte er falsch liegen. Die Befehlsstrukturen der NATO enden im Pentagon. Es wäre ein großer Fehler, das Militärpotential der USA und deren Einwirkmöglichkeiten zu unterschätzen (siehe Maidan). Hirntot dürfte hingegen die EU sein. 

Die neue Führungsspitze ist fest in transatlantische Netzwerke eingebunden und wird die EU im Sinne der USA instrumentalisieren. Doch was ist mit Deutschland?

Wird sich das Land nach all den schmerzhaften Erfahrungen aus dem letzten Jahrhundert in einen Weltkrieg manipulieren lassen? Die Frage muss leider mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden. Allein der Hinweis auf den schändlichen Angriff auf das friedliche Polen am 1. September 1939 wird auch die letzten Zweifler aus der Reserve holen, wenn es gilt, dem „bedrohten Polen“ beizustehen. Und die antirussische Propaganda wirkt bereits jetzt schon.

Wer wird Deutschland für die USA in diesen Krieg führen?
Aus transatlantischer Sicht stehen mehrere Personen zur Verfügung: Angela Merkel, Friedrich Merz, Karl-Theodor von und zu Guttenberg, Sigmar H. Gabriel, Joseph Fischer
Angela Merkel hat sich 2003 bei G.W. Bush für die Nichtteilnahme am Irakkrieg entschuldigt,  hat 2009 den alternativlose Rettungsschirm für die Spekulationsbanken aus dem Hut gezaubert, hat 2012  den Regime-Change gegen Assad unterstützt, hat 2015 die Grenzen widerrechtlich geöffnet. Sie hat sich also als treue Transatlantikerin erweisen.
Dann fiel plötzlich Ende November 2018 auf ihrem Flug nach Argentinien alle drei voneinander unabhängigen elektronischen Bordsysteme aus. Das riecht förmlich nach einem Anschlag. Seither leidet sie unter der Zitterkrankheit. Zudem wurde der Black-Rock-Panther Merz auf Merkel losgelassen, den sie aber ohne Schwierigkeiten zähmen konnte. 
Hat Merkel ihre transatlantischen Fesseln abgestreift? Will sie nicht am kommenden Krieg mitschuldig werden? Oder spürt sie den kommenden Niedergang der USA?
Merkel hat schon einmal einer untergehenden Besatzungsmacht die Gefolgschaft verweigert und scheint nun zu erkennen, dass die USA zumindest als Weltmacht untergehen und Deutschland aller Voraussicht nach im kommenden Krieg wieder Schlachtfeld sein wird.
Sollte es so sein, dann gebührt ihr Respekt, denn es erfordert viel Mut, sich gegen die „Schutzmacht“ USA, mit ihrer N.W.O. samt der transatlantischer Finanzoligarchie zu stellen. 
Friedrich März wird man wegen seiner Black-Rock Vergangenheit und seiner Niederlagen gegen Merkel kaum als Kanzler anbieten können. 
Sigmar Gabriel wurde seit seinem vorläufigen Rückzug aus der aktiven Politik umsichtig aufgebaut.
Er war von  2009 bis 2017 SPD-Bundesvorsitzender und von 2013 bis 2018 Vizekanzler, ist auch Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Rund zwei Wochen nach seinem Rückzug aus dem Bundestag wurde Gabriel Berater der Eurasia Group – eine US-amerikanische Denkfabrik, deren Direktor Robert Kaplan, ein bekannter Befürworter der  illegalen NATO-Kriege ist. 
Bei seinem Besuch in Moskau sagte Gabriel, das größte Risiko im Kräftemessen zwischen den Nuklearmächten Russland, den Vereinigten Staaten und China trage Europa. Weiter verweis Gabriel darauf, dass es in den Vereinigten Staaten  zwischen Demokraten und Republikanern nur Konsens darüber gebe, dass Präsident Donald Trump daran gehindert werden sollte, mit Russland zu verhandeln.Den Jugoslawienkrieg von 1999 verteidigte Gabriel im Sinn von Joseph Fischer. Den Völkermord in Jugoslawien zu verhindern,  sei „die Lehre aus Auschwitz gewesen“.Es ist unvorstellbar, dass 20 Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Krieg die damalige Propaganda trotz gegenteiliger Erkenntnisse der OSZE derartig nachwirkt.
Mit diesem Statement hat sich Gabriel als Nachfolger für Merkel empfohlen.

Joseph Fischer hat 1999 die Bundesrepublik in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gelogen (man erinnere sich an den geheimen Anhang „Annex B“). Der damalige Generalbundesanwalt wies Klagen gegen die verantwortlichen Politiker mit der Begründung zurück: „Es sei zwar strafbar, einen Angriffskrieg vorzubereiten, nicht aber ihn zu führen – eine Zumutung für Moral und Verstand“so Jürgen Rose in seinem Buch „Ernstfall Angriffskrieg“. Derart gestärkt, wäre Fischer der geeignete Kandidat, um Deutschland in den 3. Weltkrieg zu führen. Skrupel scheint er jedenfalls nicht zu haben. Er dürfte aber in der Bevölkerung nicht mehr die notwendige Akzeptanz finden. 
Karl-Theodor von und zu Guttenberg war von 2009 der von den Medien bejubelte Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, danach bis zur Plagiatsaffäre 2011 Bundesminister der Verteidigung. In wenigen Monaten schaffte er, die Wehrpflicht in Deutschland außer Kraft zu setzen. Das war im Sinne der USA, die seit 1994 (TRADOC 525-5) nationale Streitkräfte durch Söldnerarmeen ersetzen will. Als Ende 2007 Joseph Fischer das „European Council on Foreign Relations“  - Motto EU vs. Russia – gründete, fanden sich in der illustren Mitgliederliste neben Karl-Theodor von und zu Guttenberg auch Cem Özdemir und George Soros.  
Nach seinem Rücktritt zog sich Guttenberg mit seiner Familie an die US-Ostküste zurück, blieb aber dort wie auch in Deutschland in den Medien präsent. Immer wieder hat sich Horst Seehofer für ein Comeback seines Parteifreundes Karl-Theodor zu Guttenberg eingesetzt.
Ende Juli 2019 wurde er von CNBC interviewt. Kernaussage: „Karl-Theodor zu Guttenberg, ehemaliger Bundesverteidigungsminister und Vorsitzender von Spitzberg Partners, sagt, dass das Fehlen einer einheitlichen Stimme in der westlichen Welt ein "toxisches Element" in der Weltpolitik schafft.“ Es versteht sich von selbst, dass Guttenberg Russland und China als Feinde der freien Welt bezeichnet...  
Für den „Deep State“ in den USA scheint der aalglatte Musterschüler Guttenberg also der richtige Mann zu sein, der Deutschland nach den Vorgaben der USA in den Krieg führen und diesen der Bevölkerung als „Kampf gegen das Böse“ verkaufen kann.  Deutschland wäre dann hinterher wieder der Schuldige.

https://politik.der-privatinvestor.de/start/us-krieg-gegen-rivalen-china-der-count-down-laeuft


Deutschland in der neuen Weltordnung:
Außenpolitische Elite debattiert zukünftigen Weg
23.10.2019
https://de.rt.com/20ea

Am Montag hat das "Deutsche Forum Sicherheitspolitik" stattgefunden. Dieses Format wurde von der Bundesakademie für Sicherheitsfragen gegründet und existiert bereits seit 2013. Die Leitfrage des Treffens war: "Eine neue Weltordnung – was wird aus Deutschland, was aus Europa?"
von Dennis Simon

Ekkehard Brose, seit Oktober dieses Jahres Präsident der Bundesakademie, begrüßte die im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung versammelten in- und ausländischen Diplomaten, Experten, Akademiker und Journalisten. Er griff kurz einige wesentliche internationale Themen auf. Im Zentrum des Forums stehe die Handlungsfähigkeit Deutschlands.

Er wies darauf hin, dass China im Osten seine Kräfte sammle und in die Welt hinaus greife.

Der russische Präsident Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seien die neuen starken Männer Europas.

Auf diese, aus bundesdeutscher Sicht, bedrohlichen Entwicklungen sei die Antwort der deutschen Politik "Europa", womit in diesen Kreisen fast immer eigentlich die Europäische Union (EU) gemeint ist.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn  begann damit, zu erklären, dass Prinzipien, die lange als sicher galten, infrage gestellt würden, "vor allem von autokratischen Akteuren", wobei er geschickt umging, zu erwähnen, dass in den 1990er-Jahren es die westlichen Staaten waren, die etwa in Jugoslawien mehrfach die Prinzipien des Völkerrechts mit Füßen traten und etwa im Jahr 2011 in Libyen erneut diese Prinzipien missachteten. Schuld sind natürlich immer nur die anderen – kennt man aus dem Kindergarten.

Trotz seiner ziemlich einseitigen Betrachtung der Ereignisse nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion plädierte er für einen "Multilateralismus". Auch in der EU sei man auf "kollektive Lösungen" für "globale Probleme" angewiesen. Nach diesem Moment der geistigen Klarheit präsentierte sich der gute Mann jedoch gleich als Ritter des Wertewestens: Das "europäische Modell des internationalen Rechtsstaats" strahle in die ganze Welt aus. Abgesehen davon, dass es keine Entsprechung des merkwürdigen Konstrukts eines "internationalen Rechtsstaats" im Völkerrecht gibt, offenbaren solche pathetischen Äußerungen nur, wie realitätsfremd manche Vertreter des Westens mittlerweile sind.

Das Ansehen der westlichen Staaten sinkt nach Jahrhunderten der kolonialen Ausbeutung und westlichen Besserwisserei in den Staaten Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und auch in Süd- sowie Osteuropa zunehmend. Dagegen interessieren sich diese Länder zunehmend für alternative Entwicklungsmodelle, etwa wie sie von der Volksrepublik China praktiziert werden. Die Welt wird auch in dieser Hinsicht multipolar.

Asselborn stellte auch sofort klar, wozu das Ideal des "internationalen Rechtsstaats", den die EU hochhalte (dazu könnten vielleicht die Gelbwesten ein Liedchen singen), dient: Man dürfe nicht erlauben, dass dieses Image aus dem Inneren der EU heraus angekratzt werde, womit er indirekt etwa die Regierungen Ungarns und Polens meinte. Sonst würde die EU ihre "Seele" verlieren. Angesichts der Bedrohung von "Autokraten" gebe es in der EU keinen Raum für eine "Flexibilisierung des Rechtsstaates". Er differenzierte noch mal zwischen "Autokraten", die die UN-Ordnung direkt hinterfragen würden, und jenen, die ihm zufolge nicht direkt gegen die UN auftreten, sondern die "fortschrittlichsten" internationalen Bestrebungen blockieren – der kritische Leser wird wissen, aus welchem Erdteil diese wohl in den Augen des Herrn Asselborn kommen.

Der luxemburgische Außenminister erklärte, dass weder die uni- noch die bipolare Welt die Versprechungen der UN-Charta erfüllen konnten. Zudem sagte er, in Anspielung auf die Klimaproteste, dass ein grenzenloses Wachstum auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht möglich sei. Auch warnte er vor "populistischen" Reaktionen angesichts der jüngsten Migrationswellen. Auch gebe es zwischen beiden Phänomenen eine Wechselwirkung: Die Klimaveränderung werde zu neuen Migrationswellen führen, die wiederum zu sicherheitspolitischen Problemen führen würden.

Asselborn kritisierte das Zusammenbrechen des INF-Vertrages und warnte vor einer Nichtverlängerung des New-START-Vertrages. Die Sicherheit von Europa sei in Gefahr. Der hochrangige luxemburgische Politiker ging jedoch mit der Wahrheit ein wenig zu liberal um, als er behauptete, dass sowohl Russland als auch die USA den INF-Vertrag gekündigt hätten. Fakt ist nämlich, dass die Bestrebungen, den INF-Vertrag abzubrechen, ganz klar von den USA ausgingen. Im Oktober letzten Jahres hatte US-Präsident Donald Trump angekündigt, sich aus dem Vertrag zurückzuziehen, was Anfang Februar dieses Jahres dann auch geschah. Auf verschiedene Vorschläge Russlands, technische Inspektionen durchzuführen, um die Bedenken von der US-Seite gegen einige russische Waffensysteme anzusprechen, ging Washington nicht ein. Während die USA zielstrebig auf die Kündigung des INF-Vertrages hinarbeiteten, versuchten die Russen, ihn zu retten. Das sind die Fakten.

Angesichts der Tatsache, dass sich die Partner der EU zunehmend vom Multilateralismus abwenden würden, müssten die "Europäer" ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Die EU müsse ihre außenpolitischen Aktivitäten erhöhen. Auch müsse die "Solidarität und Loyalität (!)" von EU-Mitgliedstaaten gewährleistet sein. Dies brachte ins Spiel, außenpolitische Entscheidungen zukünftig nicht mehr wie bisher einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit durchzuführen. Dies sei nötig, um angesichts der zunehmenden Aktivitäten von "Drittländern" in der EU deren Einfluss zu verringern. Damit ist vor allem China gemeint, das eine Reihe von Großinvestitionen in süd- und osteuropäischen Staaten tätigt.

Der luxemburgische Außenminister verurteilte deutlich die türkische Militäroperation in Nordsyrien als Verstoß gegen das Völkerrecht. Der türkische Einmarsch sei eine "Vergewaltigung des internationalen Rechts", er schwieg jedoch dazu, dass die EU-Staaten Frankreich und Großbritannien ebenfalls völkerrechtswidrig in Syrien militärisch aktiv sind, ebenso wie der NATO-Partner USA.

Auf Asselborns Rede folgte das erste Podium. Als Erstes sprach die Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Daniela Schwarzer. Ihr zufolge wurden der wirtschaftliche und politische Aufstieg Asiens in den internationalen Institutionen nicht angemessen widergespiegelt. Jetzt würden daher neue, alternative Institutionen entstehen, wie die von China angetriebene Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), und alte Institutionen infrage gestellt. Der wesentliche Unterschied zwischen den alten, überwiegend vom Westen geprägten Institutionen des Bretton-Woods-Systems (hauptsächlich die Weltbank und der Weltwährungsfonds) zu den neuen, chinesisch geprägten sei, dass diese neuen Institutionen bei der Kreditvergabe nicht auf Konditionalität bestehen würden.

China, so die DGAP-Direktorin, stehe in einem "offenen Systemkonflikt" mit dem westlichen Modell. Peking habe eine starke Präsenz in Afrika und übe Einfluss auf einzelne EU-Staaten aus. Trotzdem bestünden mit China gegenseitige Abhängigkeiten, und es gebe teilweise übereinstimmende Interessen. Auf der Oberfläche sehe die parallele Betonung von Multilateralismus seitens der EU und Chinas positiv aus, jedoch habe China grundsätzlich andere Wertmaßstäbe als die EU. Die Lage werde weiter dadurch kompliziert, dass die USA für die EU in vielen Fragen wegfalle.

Später fügte Schwarzer hinzu, dass Macrons (von den westlichen Eliten so empfundene) prorussische Rhetorik problematisch sei. Es müsse zwischen Frankreich und Deutschland eine Verständigung zur Russlandpolitik geben. Man könne nicht zwei Linien haben. Die DGAP-Direktorin erklärte zudem, dass eine Abkoppelung der EU von den USA unrealistisch sei. Eine EU-Autonomie sei höchstens als Fernziel vorstellbar.

Fritz Felgentreu, außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der SPD, griff viele der Themen, die Schwarzer benannt hatte, auf. Die Macht der EU müsse ausgebaut werden. Man könne sich, so Felgentreu, allein auf die US-Amerikaner nicht mehr stützen, aber die EU habe keine eigenen Machtmittel. Zudem sei sich die EU nicht einig. Er erwähnte, dass in den 70er- und 80er-Jahren eine Aufweichung des Kalten Krieges erreicht werden konnte. Dies sei jedoch nur möglich gewesen, indem der Westen entschlossen auftrat und die machtpolitische Basis dafür zuvor sicherte. In der Diskussion fügte Felgentreu hinzu, dass die EU zwar theoretisch einen Pol in einer multipolaren Welt bilden könnte, sie sei aber dafür zu schwach und dezentralisiert. Die EU werde nicht in der Lage sein, ein eigenes Profil in der Weltpolitik zu bilden, sondern stattdessen eher zu den USA neigen.

Markus Kerber, Staatssekretär im Innenministerium, sprach von dem Ende der "Fukuyama-Welt". Die Rolle der USA ändere sich. Doch der "Rückzug" Washingtons aus seiner internationalen Führungsrolle sei ein Trend seit dem sogenannten Nixon-Schock des Jahres 1971, als US-Präsident Richard Nixon plötzlich einen Teil des seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestehenden Bretton-Woods-Systems aufkündigte, nämlich die direkte internationale Konvertibilität des US-Dollars zu Gold.


Allerdings entging dem Spitzenbeamten, dass das, was er als "Rückzug" der USA von ihrer Rolle als angeblich wohlwollendem Hegemon bezeichnet, tatsächlich nur der wiederholte Versuch der US-Eliten ist, die dominante Rolle der USA unter veränderten Umständen aufrechtzuerhalten. Tatsächlich gibt es seit vielen Jahren unter US-Strategen eine Debatte, wie man verhindern kann, dass ein anderer Staat die USA als mächtigste Nation ablöst. Der Anteil jener, die einen wirklichen Rückzug aus der internationalen Politik befürworten, ist gering. Auch Donald Trump setzt – trotz seiner Rhetorik – ja nicht wirklich darauf, die US-Hegemonie abzubauen. Das zeigt die Bereitschaft, Wirtschaftskriege und Sanktionen einzusetzen, um missliebige Staaten zu bestrafen. Vor allem sein Versuch, China zu erpressen und zu schaden, spricht Bände. Trump setzt nur andere Mittel ein, um zu versuchen, die US-Hegemonie zu erhalten. Angesichts der Tatsache, dass sich das reale Kräfteverhältnis in der internationalen Politik in den letzten Jahrzehnten wesentlich verändert hat, müssen die USA natürlich immer öfter Niederlagen einstecken und Kompromisse eingehen.

Seit der großen Wirtschaftskrise ab 2007 habe, so Kerber, ein Umdenken in der westlichen Politik stattgefunden. Märkte, so der neue Konsens, müssten reguliert werden, sonst drohe eine Selbstdestruktion. Die EU, um tatkräftig zu sein, müsse sich auf die Führung durch zwei bis drei wohlwollende Hegemone orientieren. Es liege im Interesse der EU, den Raum von Marokko bis zum Iran zu "stabilisieren".

Als es um Russland ging, waren die meisten Panelisten sich einig, getreu dem westlichen Leitnarrativ, dass es hybride Kriegsführung betreibe und politische Morde in westlichen Staaten in Auftrag gebe. Zu einer selbstkritischen Infragestellung des westlich-liberalen Mantras sind die außenpolitischen Eliten der EU anscheinend noch nicht fähig. Dieses Defizit, Vorgänge objektiv zu betrachten, Selbstkritik zu üben und die Sichtweise des anderen ernsthaft in Betracht zu ziehen, wird den EU-Eliten einen realistischen Umgang mit der neuen Situation in der internationalen Politik, in der nicht-westliche Akteure eine immer wichtigere Rolle spielen, erschweren. Es ist ein selbstgemachtes Defizit. Die Hybris des Westens wurde in einem Kommentar Schwarzers deutlich, in der sie davon sprach, dass Russland Grenzen verändere, womit es die Nachkriegsordnung infrage stelle. Sie verschwieg jedoch, dass es die westlichen Staaten waren, die mit der völkerrechtswidrigen Zerstückelung Jugoslawiens, mit ihren völkerrechtswidrigen Einsätzen in Libyen und später in Syrien selbst zuerst die Nachkriegsordnung infrage stellten.

Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, eröffnete die Sitzung am Nachmittag. Er sprach Deutschlands Exportabhängigkeit und die Abhängigkeit von Rohstoffen an, denn es seien vor allem die exportorientierten Industriezweige, die den Wohlstand hierzulande sichern. Deswegen müsse sich Berlin für sichere Handelswege einsetzen. Entwicklungen wie die Errichtung von "Einflusssphären" im Südchinesischen Meer und Piraterie seien daher für Deutschland besonders gefährlich.

Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
Laschet verwies darauf, dass nach 1990 das grundsätzliche Vertrauen der Westeuropäer in die USA allmählich gesunken sei. Die USA werden aber, so der CDU-Politiker, weiterhin die stärkste Macht in der NATO bleiben und wirtschaftlich wie militärisch langfristig die Nummer eins bleiben.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident brachte auch selbstkritische Gedanken zum Ausdruck. Er sagte, dass es von Anfang an in Syrien neben einer zivilen Opposition auch dschihadistische Gruppen gegeben habe. Die Russen hätten davor gewarnt, dass ihnen bekannte Kämpfer aus Tschetschenien dorthin gesiedelt seien. Die Erfahrung der letzten fünfzehn Jahre zeige, dass die Politik des Regime Change erfolglos geblieben sei und dass man von ihr abkommen müsse. Die EU solle stattdessen darauf orientieren, wie es die Region stabilisieren könnte. Denn das durch den Regime Change verursachte Chaos hätte zur Massenmigration in die EU-Staaten geführt.

Hinsichtlich China plädierte er dafür, gemeinsame Anliegen wie freien Handel und multilaterale Lösungen für internationale Probleme hochzuhalten. Er äußerte jedoch Bedenken gegen eine angebliche chinesische Einflussnahme in anderen Staaten. Mit Russland solle die EU bei gemeinsamen Themen zusammenarbeiten, etwa bei der CO2-Reduzierung, man solle jedoch die "Grenzverschiebung" nicht anerkennen. Eine Lösung in Syrien sei nur mit Russland möglich.

Laschet zufolge soll man den "Draht zu den Vereinigten Staaten nicht verlieren". Man dürfe die NATO nicht leichtfertig aufgeben. Bei einem späteren Panel griffen weitere Redner dieses Anliegen auf.

Insgesamt prägte die Ratlosigkeit der westeuropäischen Eliten zur zukünftigen Rolle Deutschlands das Diskussionsforum. Definitive Antworten konnten auf die am Anfang benannten Leitfragen nicht gefunden werden. Die Debatte über Berlins zukünftige Ausrichtung angesichts der neuen geopolitischen Prioritäten der USA und der zunehmenden Rolle von nicht-westlichen Staaten in der internationalen Politik wird weitergehen.