Samstag, 22. Juni 2019

China und „Billiglohnland“ USA

US-Präsident Donald Trump spricht die Militärs auf dem Landungsschiff USS Wasp an

China und „Billiglohnland“ USA: Selbst US-Militär ist abhängig vom „Reich der Mitte“

© Foto: U.S. Navy / Mass Communication Specialist Seaman Apprentice David Glotzbach
POLITIK
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Alexander Boos
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Die Strategien, die Donald Trumps US-Regierung aktuell im Technologie-Streit gegen China anwendet, sind nicht neu. Das erklärt der Kölner Finanz-Experte Werner Rügemer gegenüber Sputnik. „Das wird schon seit Jahrzehnten so gemacht.“ Er nennt das „Billiglohnland“ USA und erläutert, wie Chinas Investitionen anderen Staaten ernsthaft helfen.
„Diese Blockade, die unter der Regierung von Donald Trump gegenüber dem größten 5G-Ausrüster Huawei aus China verhängt worden ist, hat eine ganz lange Vorgeschichte“, erklärte Werner Rügemer, Finanz-Experte aus Köln, im Sputnik-Interview. „Das musste Trump überhaupt nicht erfinden.“ Denn das haben laut Rügemer schon vor dem derzeitigen Präsidenten zahlreiche US-Regierungen getan.
„Eine technologische Blockade, also die Aufrechterhaltung der technischen Unterentwicklung gegenüber Staaten, die man für nicht genehm oder feindlich hält, ist als Praxis sehr alt und wird immer wieder bei Gelegenheit neu aufgelegt. Ich denke aber, dass die Kräfteverhältnisse heute andere sind als in den Frühphasen des Kalten Kriegs.“ Auch sei Chinas Wirtschaft heute selbst schon technologisch sehr weit gegenüber dem Westen fortgeschritten.

Technologie-Blockade: „Alte Strategie der USA“

„Wenn die US-Regierung den US-Konzernen den Verkauf von Technologie an China verbietet, dann ist das keineswegs neu“, schreibt Rügemer aktuell in der Digital-Ausgabe des Magazins „Der Freitag“.
„Das von den USA 1949 geführte Coordinating Committee on Multilateral Export Controls (CoCom) mit Sitz in Paris verbot die Lieferung hunderter technologischer Güter an alle sozialistischen Staaten, auch an China, um die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Ziele der Vereinigten Staaten zu fördern. US-Präsident Donald Trump musste jetzt das Prinzip von ‚America first‘ nicht neu erfinden. Alle Nato-Staaten sowie Japan und Australien und sonstige Mitglieder unter US-Einfluss machten damals mit. Die schwarzen Listen wurden ständig erneuert. Diese Praxis wurde unter Barack Obama gegen China (‚Pivot to Asia‘) wiederbelebt und wird durch Trump verschärft. Mit Huawei setzte Trump jetzt 44 chinesische Unternehmen auf die schwarze Liste.“

„Huawei wird Lücke schließen“

Investitionen chinesischer Unternehmen in den USA und in der Europäischen Union (EU) sind laut Rügemer „schon immer kritisch beobachtet und bewertet wurden. Zum Teil bis hin zum Verbot.“
Deswegen habe sich Huawei schon seit mehreren Jahren darauf vorbereitet, Komponenten in China selbst zu produzieren, die das chinesische High-Tech-Unternehmen bisher noch hauptsächlich aus dem Westen bezieht. Darunter Betriebssysteme wie Android. „Darauf ist Huawei eingestellt. Dort geht man davon aus, dass man mit einer Lücke von ein bis zwei Jahren dann ab circa 2021 selbst in der Lage sein wird, Ersatz zu schaffen und diese Komponenten selbst herzustellen.“

US-Militär und Seltene Erden aus China

„Für die modernsten High-Tech-Komponenten in Smartphones, Computern, Autos und Rüstungsgütern sind seltene Erden nötig“, so der Finanz-Experte im bereits zitierten Artikel. Seltene Erden sind etwa Cerium, Dysprosium, Erbium, Promethium, Samarium oder auch Yttrium. „Und woher kommt das geheimnisvolle Zeug, ohne dass Milliarden Menschen sprach- und orientierungslos im Leben und im Internet herumstolpern würden? Es kommt zu 90 Prozent aus China.“
Die USA stecken ihm zufolge „in einer Zwangslage gegenüber China. Dazu kommt heute, dass die für hochentwickelte technologische Güter – darunter Handys, Betriebssysteme –  notwendigen Seltenen Erden zu 90 Prozent aus China kommen. Selbst das US-Militär ist von Seltenen Erden aus China abhängig.“ Jedoch rechne Rügemer nicht damit, dass Peking mit einer künstlichen Verknappung dieser Elemente versuchen werde, Weltwirtschaftsmächte zu „erpressen“. „China ist bemüht, dieses Mittel sehr dosiert und nicht konfliktorientiert als Element zu nutzen.“ China versuche letztlich, den von den USA angefangenen Handelskrieg zu entschärfen.

Strebt China eine Dominanz der Weltwirtschaft an?

„Wenn man sagt, China strebe in der Welt eine Dominanz an, denkt man an die westliche Dominanz, die man gewohnt ist“, kommentierte Rügemer. „Da werden weltweit Unternehmen aufgekauft, Billig-Produktionen werden verlagert. Aber so arbeiten chinesische Unternehmen bei ihren Investitionen weltweit nicht.“
China nehme sogenannte „Basis-Investitionen“ vor. „Das heißt, in vielen Staaten der Welt – in Afrika oder Asien, aber auch in Ungarn und Serbien – bauen chinesische Investoren erstmal Infrastruktur-Projekte. Zum Beispiel Schienentransportwege und Eisenbahnstrecken. Die von westlichen Investoren als unwirtschaftlich angesehen werden. Das ist schon mal eine andere Art von Investition, die China dort betreibt. Auch im Rahmen der Neuen Seidenstraße. Auch Kredite, die chinesische Banken bei solchen Gelegenheiten an die beteiligten Staaten vergeben, sind viel weniger verzinst als bei westlichen Kreditgebern.“
In seinem Buch „Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts“ (2018) zeigt Rügemer diese Zusammenhänge in der Tiefe auf.

„Kein Ausverkauf Europas durch Chinesen“

China kaufe zudem auch nichts auf in Europa, so wie das Medien immer wieder darstellen.
„Oft wird behauptet, die Chinesen hätten den Hafen von Piräus gekauft. Das ist eine ungenaue, eine falsche Bezeichnung. Denn der chinesische Hafenbetreiber Cosco hat sich nur bei der staatlichen Betreibergesellschaft des Hafens von Piräus beteiligt. Mit 51 Prozent, der Rest gehört dem griechischen Staat.“ China habe eben nicht den Hafen gekauft. „Sondern als Mitbetreiber und Kreditgeber sorgt China dafür, dass der Hafen erweitert ist. Es war bisher ein traditioneller Tourismus-Hafen, auch für Kreuzfahrtschiffe. Der chinesische Mitbewerber baut dort eben jetzt einen Container-Hafen mit angeschlossenen Industrie-Zonen und schafft zusätzliche Arbeitsplätze.“ Auch ein gewaltiger Unterschied zu US-Investitionen in Europa. Bei diesen „werden ja in der Regel Arbeitsplätze abgebaut und nicht neue geschaffen.“
Das habe auch mit der Geschichte Chinas zu tun. China habe aus seiner kolonialen Vergangenheit gelernt. Ab etwa 1830 sei China durch westeuropäische Kolonialmächte überfallen und ausgeplündert worden. Angeführt zunächst von England, dann gefolgt von Frankreich, Belgien, Portugal, den Niederlanden. Dann fielen auch die moderneren, neokolonialen Nachzügler ein, die US-Amerikaner, ebenso das deutsche und das japanische Kaiserreich. „China hat nie andere Völker überfallen und dann kolonialistisch ausgebeutet“, sagte er. Daraus resultiere auch die wichtige Rolle Chinas bei der Gründung der antikolonialen Bewegung der Blockfreien Staaten. China öffnete sich dann in den 80er Jahren für westliches Kapital, einer der Hauptgründe für den wirtschaftlichen Aufhol- und Überhol-Prozess der Chinesen.

Billiglohn-Land USA

„In China wurden die früher ärmlichen Arbeitsverhältnisse durch die Staatsführung sukzessive geändert“, kommentierte der Kölner Finanz-Experte. „So dass dort die Löhne seit ungefähr 20 Jahren im Durchschnitt um mindestens fünf bis zehn Prozent im Jahr gestiegen sind, so dass also heute die Mindestlöhne höher sind als in mehreren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Diese ständige Aufwärtsentwicklung der Arbeitseinkommen hat eben dazu geführt, dass die traditionellen Organisatoren der Niedriglöhnerei (Billig-Produzenten oder auch Lohndrücker genannt, Anm. d. Red.) aus China abwandern in andere Staaten, wo die Niedriglöhne noch viel niedriger sind. Sie gehen nach Vietnam oder nach Myanmar. Eine aufschlussreiche Entwicklung ist, dass der Niedriglohn-Organisator Foxconn auch im Niedriglohn-Land USA jetzt seine erste neue Niederlassung gegründet hat.“
Foxconn, der „größte Organisator von Niedriglöhnerei in China“, habe Anfang 2019 mit Unterstützung von US-Präsident Trump und mithilfe hoher staatlicher Subventionen eine erste Niederlassung im US-Bundesstaat Wisconsin eröffnet, wo „in dünn besiedelter Region die Löhne niedrig und aufgrund der ‚right to work‘-Gesetzgebung die Gewerkschaften entmachtet sind.“ In Wisconsin herrschen laut Rügemer „die Investitions-Vorteile vor, die die US-Regierung international anpreist, von denen auch Trump profitiert. Nämlich: Schwache bis nicht vorhandene Gewerkschaften, verbunden mit hohen staatlichen Subventionen.“
China gestalte Globalisierung eben anders. Peking wolle „in den beteiligten Staaten Armut überwinden, wie es auch in China selbst gelungen ist, und das soll gleichzeitig zur Entwicklung Chinas beitragen. So geht das Wachstum der innerchinesischen Volkswirtschaft mit der Anhebung des Massen-Wohlstands einher mit den Investitionen im Ausland. Betriebsräte in Deutschland freuen sich inzwischen, wenn keine US-‚Heuschrecke‘, sondern ein Investor aus China kommt. Der wesentliche, aber grundlegende, nicht-imperialistische Unterschied zur westlichen Globalisierung besteht darin: Chinas Globalisierung geschieht ohne militärische Begleitung.“
Ein weiterer wesentlicher Unterschied: Während der US-geführte Westen global hunderte von militärischen Interventionen selbst oder durch Stellvertreter durchgeführt habe, setze Peking auf eine friedliche wirtschaftliche Eroberung der Welt. Laut dem Finanz-Experten zum Wohle Chinas und aller anderen Staaten.