Dem Gerede vom Niedergang der USA sind ein paar Fakten und Fragen entgegenzusetzen. Weltweit kein Rückzug, im Gegenteil:
- Nur weil die USA sich aus Syrien zurückzuziehen erklärt haben, kann man doch nicht blind für die sonstigen Realitäten werden: Die USA sind nach wie vor dort und haben zum Beispiel der Annexion der Golanhöhen zugestimmt. Sie sind im Irak, sie sind in Afghanistan und in vielen anderen Ländern.
- Die USA haben zusammen mit der NATO deren Betätigungsfeld bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt. Der Westen hat Russland erfolgreich eingekreist. Die USA und der Westen machen weiter beim Versuch, auch die Ukraine und Georgien in den Bereich ihres Imperiums einzubeziehen. Sie haben dafür nach wie vor ihre Helfershelfer: die deutsche Bundeskanzlerin zum Beispiel, sie hat den Kandidaten für das Präsidentenamt in der Ukraine, den bisherigen Präsidenten Poroschenko als Wahlhilfe extra nach Berlin eingeladen. Meint jemand, das hätte Frau Merkel ohne Anbindung an die Interessen des Imperiums getan?
- Die USA haben im Vorfeld des Maidan 5 Milliarden $ zur Umerziehung der Menschen in der Ukraine und zum Aufbau genehmer NGOs investiert.
- Die USA haben sehr großen Einfluss auf einzelne Regierungen in Europa und auch auf die Einrichtungen und Personen der EU.
- Lange Zeit galt die Vereinigung größerer Staaten außerhalb des Imperiums unter dem Namen Brics als ein hoffnungsvolles Zeichen für einen Zusammenschluss gegen das US-Imperium. Wo ist denn Brics geblieben?Indien? Vor allem Brasilien.
- Brasilien ist inzwischen eines der wichtigsten Instrumente und Partner des US-Imperiums.
- Wo sind denn die sonstigen eigenständigen Völker und Staaten Lateinamerikas geblieben? Wo Chile und Argentinien? Venezuela, Kuba, Nicaragua und allenfalls Mexiko sind noch wiederborstig. Ansonsten beanspruchen die USA die ungeteilte Macht in ihrem Hinterhof – schlimmer als vor zehn, vor 20 und vor 30 Jahren. Vom Niedergang des Einflusses der USA in Lateinamerika kann keine Rede sein.
- Weltweit beanspruchen die USA die Entscheidung, bestimmen zu können, wie andere Völker regiert werden. Sie haben Kriege zum Regime Change mit der Folge von Millionen Toten geführt.
- Europäische Staaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland machen die Politik des Regime Change in Venezuela mit. Durch Anerkennung eines fragwürdigen Interimspräsidenten.
- Die USA gehen offen gegen Venezuela, gegen Kuba und Nicaragua vor.Um zu begreifen, wie falsch die Vorstellung ist, die USA seien im Niedergang, muss man sich daran erinnern, dass und wie die europäischen Staaten und Völker vor einigen Jahrzehnten noch solidarisch mit aufmüpfigen Völkern im Hinterhof der USA waren. Unzählige Menschen, Stiftungen und auch Parteien haben sich für den Widerstand gegen die USA in Nicaragua, in Kuba und anderen Ländern Lateinamerikas eingesetzt. Sie sind dorthin gereist, haben praktisch vor Ort und zu Hause geholfen. Das ist alles dezimiert oder ganz vergessen. Zeichen eines Niedergangs der USA? Im Gegenteil: Zeichen brutaler Machtausübung.
- Die USA haben die anderen NATO-Staaten gezwungen aufzurüsten, obwohl beim Ende der West-Ost-Konfrontation 1990 alles dafür sprach und auch so beabsichtigt war, abzurüsten, auf gemeinsame Sicherheit zu setzen, statt auf Abschreckung und Aufrüstung.
- Alleine schon das Gehabe beim Umgang mit der Forderung nach mehr Geld für die Rüstung ist typisch für Vasallen und nicht typisch für eigenständige politische Kraft.
- Der Generalsekretär der NATO hat zum 70-jährigen Jubiläum vor dem amerikanischen Kongress geredet, nicht in Brüssel, sondern in Washington; und er ist dort gefeiert worden und nicht zu Unrecht, weil die Abgeordneten und Senatoren der USA sehr genau wissen, dass NATO-Generalsekretär Stoltenberg ihr Mann ist und nicht der Beauftragte aller anderen NATO-Mitglieder.
- Das Imperium nutzt seine Militärstützpunkte in Deutschland und Europa ohne Hemmungen für die eigene Politik, auch für Interventionen und auch für Mord und Totschlag, so etwa über die Drohneneinsätze, die vom deutschen Standort Ramstein zwischengesteuert werden.
- Die USA zwingen uns zum Transport von Militärgütern auf deutschen Straßen und Schienen – auch bis an die Grenze Russlands in den baltischen Staaten.
- Wir zahlen für die Stationierung von US-Truppen in Deutschland und Europa. Ein Beispiel: In Weilerbach bei Ramstein in der Westpfalz wird gerade das größte US-Militär-Krankenhaus außerhalb der USA errichtet. Allein die (aktuellen) Planungskosten verschlingen 151 Mio. Euro, gezahlt vom deutschen Steuergelder. Siehe dazu auch einen früheren Artikel auf den NachDenkSeiten.
- Sie haben uns, die Europäer, veranlasst, ihre kriegerischen Interventionen in Afghanistan, in Syrien, in Libyen und im Irak mitzumachen und/oder logistisch zu unterstützen.
- Die USA haben inzwischen direkten Einfluss auf entscheidende Personen in der deutschen Politik: Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Röttgen, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP und zugleich sicherheitspolitische und außenpolitische Sprecher seiner Fraktion, Alexander Graf Lambsdorff, und der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Nils Schmid stehen offensichtlich alle drei auf dem Ticket der USA. Vermutlich konnten sie diese Funktion auch nur deshalb übernehmen, weil sie so nah an die USA und atlantische Organisationen angebunden sind.
- Wichtige Stiftungen stehen unter Einfluss der USA. Die Bertelsmann-Stiftung zum Beispiel oder auch die Heinrich-Böll-Stiftung. Der ehemalige Chef der Heinrich-Böll-Stiftung Fücks hat vor kurzem in devoter Weise ein Interview mit dem US-Diplomaten Kornblum geführt. Dieser typische Vertreter des Imperiums wird regelmäßig zu Talkshows in Deutschland eingeladen.
- Der US-Botschafter mischt sich in Deutschland in innere Angelegenheiten des Landes ein.
- Die große Anzahl der deutschen etablierten Medien steht unter Einfluss des US-Imperiums, berichtet und kommentiert jedenfalls ganz auf der Linie des Interesses der zentralen Macht in der Welt.
- Sie alle, Politiker und die Medien, wirken mit am Feindbild-Aufbau Russland.
- In vielen dieser genannten Bereiche war das vor 30 und 40 Jahren nicht so, jedenfalls gemischter. Der Einfluss der USA auf Meinungsbildung und politische Entscheidungsfindung hat seit 1990 zu- und nicht abgenommen.
- Die USA bestimmen unsere wirtschaftlichen Beziehungen und unsere wirtschaftspolitischen Entscheidungen in markanter Weise: Sie schreiben uns vor, jene Sanktionen, die sie zum Beispiel gegenüber Russland und dem Iran verhängen, zu befolgen.
- Wir haben wie geölt und eingeübt die Sanktionen gegen Syrien und die Blockade des syrischen Volkes mitgemacht. Wir haben hunderttausende von Flüchtlingen aus Syrien ohne Überprüfung aufgenommen – alles dem Ziel untergeordnet, Syrien personell ausbluten zu lassen und so unter Druck zu setzen. Das war und ist die Strategie des Imperiums USA. Wir sind dem ohne die in einer Demokratie übliche und notwendige Debatte und demokratische Entscheidungsfindung gefolgt. Ohne Wenn und Aber.
- Die USA intervenieren gegen einzelne Projekte wie etwa Nordstream 2 und ssie verlangen auch von Staats wegen den Import ihres Flüssiggases.Auf Kosten der Bürger Europas werden die entsprechenden technischen Einrichtungen in den Häfen gebaut.
- US-Unternehmen wie Microsoft, Facebook, Amazon zum Beispiel können ihre monopolartig auftretenden Angebote, ohne Beschränkungen und ohne angemessene Steuern zu bezahlen, in Europa und in Deutschland und in der Welt feilbieten. Wettbewerbsrecht kommt nicht konsequent zur Anwendung. Steuervermeidung und Steueroasen werden nicht konsequent bekämpft.
- In jedem DAX-Konzern in Deutschland gibt es inzwischen eine Beteiligung des großen amerikanischen Fonds BlackRock. Durch die Verflechtung haben die Vertreter dieses Unternehmens trotz geringer Beteiligungen von 3-5 % spürbaren Einfluss auf die Unternehmensleitungen.
Diese lange Liste, die keinesfalls vollständig ist, vorzutragen, war nötig, um sichtbar zu machen, wie grotesk die Vorstellung ist, das US-Imperium sei auf dem Rückzug und die USA würden eine Art Niedergang erleben.
Statt den Niedergang der USA zu behaupten, sollten wir eher darüber nachdenken, wie wir uns aus der Vormacht befreien. Wie schon bei früherer Gelegenheit, zum Beispiel im Oktober 2014 vermerkt, sollten wir offen von unserem Koloniestatus reden, statt diesen zu verschleiern. Die offene Diskussion darüber ist die Voraussetzung dafür, dass überhaupt erst die Diskussion darüber in Gang kommt, wie wir uns aus dieser gefährlichen Vormacht befreien können. Einfach ist das nicht, aber nötig.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=50975
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