Freitag, 18. Oktober 2019

Die Bipolarisierung der Welt

10.10.2019
BERLIN/BEIJING/WASHINGTON(Eigener Bericht) - Die EU erhöht den Druck auf den chinesischen Konzern Huawei. 
Wie es in einem gestern offiziell präsentierten EU-Dokument zur "Cybersecurity von 5G-Netzen" heißt, seien "Staaten und von Staaten unterstützte Akteure" die größten Gefahren für künftige Mobilfunknetze des 5G-Standards in der Union. Die Formulierung richtet sich gegen Huawei. Gleichzeitig hält das Papier die Möglichkeit offen, Huawei am Aufbau bestimmter Segmente der 5G-Netze zu beteiligen. 
Unter Druck aus den USA, die ihre Sanktionen gegen chinesische Unternehmen und Behörden erneut ausgeweitet haben, lavieren Berlin und Brüssel und suchen sich Optionen zur Kooperation mit China zu bewahren. 

Über den US-Wirtschaftskrieg gegen die Volksrepublik heißt es in einer aktuellen Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), er ziele offen darauf ab, die führende Stellung der Vereinigten Staaten in der Weltpolitik zu sichern. 

Die US-Dominanzpolitik mache es der EU schwer, sich den USA im Kampf gegen China bedingungslos anzuschließen.

Huawei im Visier

Die EU erhöht den Druck auf den chinesischen Konzern Huawei. Die größte Gefahr für künftige Mobilfunknetze des modernsten Standards 5G, der für Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) unverzichtbar ist, seien "Staaten und von Staaten unterstützte Akteure", heißt es in einem neuen Papier der EU-Kommission, das gestern in Brüssel unter dem Titel "Cybersecurity von 5G-Netzen - eine koordinierte Risikoanalyse" vorgestellt worden ist

So könne etwa ein feindlicher Staat einen Netzversorger, der seiner Rechtshoheit unterstehe, nötigen, ihm "Zugang zu sensiblen Netzwerkzielen zu verschaffen", heißt es in dem Dokument. Die Formulierung zielt - wie auch andere Inhalte des Papiers - auf Huawei, ohne das Unternehmen freilich explizit zu nennen. Dies gilt etwa für die Aussage, eine etwaige "Abhängigkeit von Drittanbietern" sei eine Gefahr.[2] Die EU-Kommission warnt allerdings auch vor den Gefahren einer Monopolbildung. 

Ein Duopol könnte entstehen, wenn Huawei ganz vom EU-Markt ausgeschlossen würde und Nokia (Finnland) sowie Ericsson (Schweden) den Aufbau der 5G-Netze in der Union komplett unter sich aufteilen würden. 

Man könne den Anteil, den einzelne Anbieter halten dürfen, auf 50 Prozent begrenzen, schlägt die EU-Kommission vor. Denkbar wäre damit ein Ausschluss von Huawei vom Kern der künftigen 5G-Netze bei gleichzeitiger Einbindung des Konzerns in den sonstigen Netzaufbau.

Der US-Sanktionskrieg

Die Ankündigung erfolgte am gestrigen Mittwoch kurz nach Bekanntwerden der jüngsten US-Sanktionen gegen die Volksrepublik China. Diese richten sich offiziell gegen 28 Unternehmen und Behörden, denen vorgeworfen wird, zu Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang beigetragen zu haben. Faktisch werden die betroffenen Unternehmen vom Kauf von Bauteilen ausgeschlossen, die in den Vereinigten Staaten hergestellt wurden. Auf die US-Sanktionsliste gesetzt wurden nicht zuletzt Hikvision aus Hangzhou, der weltweit größte Produzent von Überwachungskameras, sowie Sensetime Hongkong, ein milliardenschweres Unternehmen, das sich auf die Herstellung von Software zur Gesichtserkennung spezialisiert hat.

Die neuen Sanktionen zielen - ganz wie im Fall Huawei - darauf ab, die boykottierten Unternehmen in den Ruin zu treiben und damit die technologische Entwicklung der Volksrepublik zu stoppen oder zumindest zu bremsen. 

Dabei wird zur Begründung einmal mehr Chinas Vorgehen gegen islamistische Milieus im Autonomen Gebiet Xinjiang herangezogen. Dies schließt an Bemühungen an, die Minderheit der Uiguren in Xinjiang, in der separatistische Kräfte Einfluss haben, weiter gegen die Volksrepublik aufzuwiegeln. Dazu trägt traditionell auch Deutschland bei, das sich längst zur Auslandszentrale der chinesischen Opposition entwickelt hat 

Ein breit unterstützter Machtkampf

Eine ausführliche Analyse des Wirtschaftskriegs zwischen den Vereinigten Staaten und China, in den zunehmend auch Deutschland und die EU hineingezogen werden, nimmt die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer aktuellen Studie vor. Wie die SWP konstatiert, wird der Aufstieg der Volksrepublik "in den USA weithin als Gefahr für die eigene Machtposition im internationalen System gesehen".

Die Trump-Administration trage nun - in mancher Hinsicht von der Politik der Obama-Administration abweichend - "den machtpolitischen und ideologischen Konflikt mit China offensiv aus". "Dieser konfrontative Ansatz kann sich auf breite Zustimmung stützen", hält die SWP fest; 

"die global geführte Auseinandersetzung mit China" werde vermutlich "zu einem neuen strukturierenden Prinzip amerikanischer Außenpolitik". 

Die "sich zuspitzende strategische Rivalität" hat laut dem Berliner Think-Tank drei zentrale Dimensionen. Zum einen gehe es auf regionaler Ebene "um die Vormacht im pazifischen Asien"; der Konflikt sei dabei stark auf die Auseinandersetzungen im Südchinesischen Meer fokussiert.

Zum zweiten habe der Machtkampf zunehmend eine globale Dimension; diesbezüglich drehe er sich nicht zuletzt um die "Neue Seidenstraße".

Drittens spielt in dem Machtkampf der SWP zufolge die "technologische Dimension" eine immer wichtigere Rolle. Ursache ist demnach, dass "die Einführung neuer bahnbrechender Technologien" einerseits "wirtschaftliches Wachstum schafft und weltwirtschaftlich Wettbewerbsvorteile sichert", andererseits zugleich rüstungsindustrielle Vorsprünge ermöglicht und deshalb "auch militärisch nutzbar" ist.

China sei bemüht, stellt die SWP fest, den Westen "einzuholen und zu überholen". 
Auf einigen Feldern modernster Technologie, so etwa bei "Quanten-Computing und Robotik", sei die Volksrepublik schon heute "führend". 

Washington wolle Beijing nun um nahezu jeden Preis "wirtschaftlich-technologisch schwächen". 

Dazu werde die Lieferung einer zunehmenden Zahl an High-Tech-Produkten nach China untersagt, wozu als Begründung stets neue Sanktionen herangezogen würden. Darüber hinaus werde die Visavergabe an chinesische Studenten, aber auch an Wissenschaftler aus der Volksrepublik eingeschränkt. Exemplarisch sei der Versuch der Trump-Administration, Huawei - einen der erfolgreichsten und strategisch bedeutendsten Konzerne der Volksrepublik - mit Boykottmaßnahmen und einer globalen Kampagne zu zerstören.

Ein struktureller Weltkonflikt

Letzten Endes drohe sich "die strategische Rivalität zwischen den USA und China" zu einem "strukturellen Weltkonflikt" zu verfestigen, heißt es bei der SWP. 

Die "Konsequenzen" könnten "dramatisch sein, wenn nämlich die wirtschaftliche Verflechtung zwischen USA und China sich auflöst, wirtschaftliche Blöcke oder geschlossene wirtschaftliche Räume entstehen und ein Prozess ökonomischer De-Globalisierung einsetzt".

Der SWP-Autor warnt von einer "Bipolarisierung des internationalen Systems".

Europa vor der Entscheidung

Diese würde unweigerlich Deutschland und die EU schwer treffen. Ursache ist, dass etwa die deutsche Wirtschaft zwar nach wie vor ihren größten Investitionsstandort und ihren drittgrößten Handelspartner in den Vereinigten Staaten hat, dass aber die Volksrepublik inzwischen zu ihrem drittgrößten Investitionsstandort und zum größten Handelspartner aufgerückt ist. 

Verzichten kann die deutsche Industrie eigentlich auf keinen ihrer großen Wirtschaftspartner. Wie die SWP in ihrer aktuellen Studie prognostiziert, wird der Druck Washingtons auf Berlin und Brüssel jedoch noch weiter wachsen, "im sich verschärfenden amerikanisch-chinesischen Konflikt Position zu beziehen und sich klar auf die Seite der USA zu stellen".

Sollten sich zwei gegeneinander positionierte "Ordnungen" herausbilden, "eine von den USA, eine von China dominiert, dann geriete Europa in eine schwierige Lage", sagt die SWP voraus. Berlin und Brüssel müssten rasch entscheiden, "ob, in welchem Maße und unter welchen Bedingungen sie die USA in der Auseinandersetzung mit China unterstützen" sollten. 

Die Entscheidung sei nicht einfach - schließlich gehe es Washington darum, seine "Vorherrschaft" auf Dauer zu bewahren, "frei von allen institutionellen Fesseln und jeder Selbstbeschränkung amerikanischer Machtentfaltung". Ob sich deutsche Interessen unter diesen Bedingungen angemessen durchsetzen lassen, erscheint zumindest ungewiss.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8070/