Dienstag, 14. Januar 2020

KenFM am Telefon: M. Bröckers zu den anhaltenden Versuchen der USA dem I...


„Die neoliberale Ordnung bricht zusammen“

Interview Noam Chomsky spricht über Donald Trumps Angriff auf die Demokratie, Bernie Sanders' Graswurzelbewegung, Greta Thunbergs Vorbildcharakter und eine Welt in Flammen
C.J. Polychroniou  38
„Die neoliberale Ordnung bricht zusammen“
Noam Chomsky: „Jeder Tag bringt neue schlimme Vorahnungen“
Foto: Heuler Aandrey/AFP/Getty Images
Das Impeachment-Verfahren gegen US-Präsident Donald Trump wegen Machtmissbrauchs ist, wie zu erwarten war, gescheitert. Statt auf Trumps Verfehlungen richtet sich viel der Aufmerksamkeit des politischen Establishments inzwischen auf Senator und Präsidentschaftsanwärter Bernie Sanders, da der vielen Etablierten als einer der gefährlichsten Politiker gilt – weil er sich für eine gerechte und gleichberechtigte Gesellschaftsordnung und eine nachhaltige Zukunft einsetzt. Unterdessen hat der Abschluss des Weltwirtschaftsforums in Davos im Januar gezeigt, dass die globalen Eliten weiter auf die ungehinderte Zerstörung des Planeten setzen. So beschreibt der Linguist Noam Chomsky, einer der bekanntesten US-amerikanischen Intellektuellen der Gegenwart, in einem exklusiven Interview mit truthout.org die aktuelle politische Lage in den Vereinigten Staaten.
C. J. Polychroniou: Noam Chomsky, Donald Trumps Impeachment-Verfahren war eine offene Farce. Sie haben das von Anfang an vorhergesagt und hielten daher den Impeachment-Versuch für einen eher unklugen Schritt seitens der Demokraten. Das im Hinterkopf − was sagt uns diese absurde Episode über die gegenwärtige Lage der US-Politik? Und erwarten Sie, dass sie negative Auswirkungen auf die Wahlen in diesem Jahr hat?
Noam Chomsky: Es war von Anfang an offensichtlich, dass der Impeachment-Versuch nicht ernsthaft geführt werden und am Ende ein weiteres Geschenk der Demokraten an Trump sein würde − genau wie die Mueller-Affäre. Schon das Eröffnungsspektakel schloss jeden Zweifel darüber aus, dass das Ganze nur eine Farce war: Der Vorsitzende Richter des Supreme Court, John Roberts, kämpfte sichtlich damit, keine Miene zu verziehen, während er die Senatoren einschwor, die feierlich versprachen, unabhängig von Parteibelangen zu entscheiden, und dann sofort dazu übergingen, sich – wie von allen vorhergesehen − strikt entlang den Parteivorgaben zu verhalten und zu stimmen. Kann es eine klarere Demonstration reiner Farce geben? Sind die angesprochenen Verbrechen eine Grundlage für ein Amtsenthebungsverfahren? Aus meiner Sicht schon. Hat Trump darüber hinaus noch viel schlimmere Verbrechen begangen? Darüber lässt sich kaum streiten. Jeder seiner Schritte ist dem Ziel gewidmet, den Wettlauf in die Katastrophe zu beschleunigen, mit weniger wichtigen Schatten wie Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro und dem australischen Premierminister Scott Morrison im Gefolge.
Jeder Tag bringt neue schlimme Vorahnungen. Gerade haben wir erfahren, dass der gigantische Thwaites-Gletscher in der westlichen Antarktis durch warmes Wasser unterhöhlt worden ist. Die Washington Post nennt es eine „beunruhigende Erkenntnis, dass dies sein Abschmelzen in einer Region beschleunigen könnte, was das Potenzial birgt, einen Meeresspiegelanstieg von mehr als drei Metern zu bewirken“. Weiter heißt es: „Wissenschaftler wussten bereits, dass der Thwaites-Gletscher enorm an Eis verliert – mehr als 600 Milliarden Tonnen waren es in den vergangenen Jahrzehnten und in jüngerer Zeit ganze 50 Milliarden Tonnen jährlich”. Bestätigt wurde jetzt die Vermutung, dass „sich eine Schicht relativ warmen Meerwassers, die unter der kälteren Oberflächenschicht der Arktis zirkuliert, den Ufern genähert und begonnen hat, die Gletscher abzuschmelzen. Insbesondere die Westantarktis ist betroffen.“ Der leitende Wissenschaftler der Studie warnt, das könne ein Zeichen für „einen nicht aufzuhaltenden Rückgang sein, der riesige Auswirkungen für den Anstieg des globalen Meeresspiegels hat“.
Das ist das Heute. Morgen wird es etwas noch Schlimmeres sein.

Zur Person


Foto: Zuma Press/Imago
Noam Chomsky, 91, ist emeritierter Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Von seinen zahlreichen Veröffentlichungen und Büchern sind auf Deutsch zuletzt unter anderem erschienen: Wer beherrscht die Welt?: Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik (Ullstein), Der Terrorismus der westlichen Welt: Von Hiroshima bis zu den Drohnenkriegen (mit Andre Vltchek, Unrast), Requiem für den amerikanischen Traum: Die 10 Prinzipien der Konzentration von Reichtum und Macht (Kunstmann) sowie Kampf oder Untergang! Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen (Westend)
Die Ursache für die Wassererwärmung ist kein Geheimnis. Dieses Beispiel ist nur einer der nicht rückgängig zu machenden Wendepunkte, die erreicht werden könnten, wenn „der Auserwählte”, wie er sich bescheiden selbst nennt, weitere vier Jahre bekommt, um sein Projekt der globalen Zerstörung fortzuführen.
Gerade erst im Januar wurden wir Zeugen einer außergewöhnlichen Veranstaltung, beim Treffen der „Masters of the Universe“ in Davos – für den Begründer der modernen ökonomischen Theorie, Adam Smith, waren sie nur „die Herren der Menschheit“, aber vor 250 Jahren ging es auch nur um die britischen Händler und Produzenten. Der Gipfel in Davos eröffnete mit einer Rede Trumps darüber, was für ein tolles Wesen er ist. Diese Lobrede wurde nur von seinem Kommentar unterbrochen, wir sollten wegen des Klimas nicht „alarmistisch“ reagieren. Seiner Herrlichkeit folgten die bedachten und gut informierten Kommentare einer 17-Jährigen, die den Staatschefs, Unternehmensvorständen, Medienvertretern und Intellektuellen erklärte, was es bedeutet, ein verantwortungsvoller Erwachsener zu sein. Ein ziemliches Spektakel.

Trumps Krieg gegen das organisierte Leben auf der Erde ist nur der Anfang. Im engeren Sinne hat der Auserwählte zuletzt Verordnungen erlassen, die das Land von einer Last von Vorschriften befreien, die Kinder vor Quecksilbervergiftung schützen und die Wasservorräte des Landes bewahren sollen, sowie weitere Hindernisse aus dem Weg räumen, die einer weiteren Bereicherung von Trumps primärer Wählerschaft, den extrem Reichen und der Macht der Konzerne entgegenstehen.
Nebenbei hat er beiläufig die Überreste des Rüstungskontrollregimes demontiert, das für ein gewisses Maß an Sicherheit vor einem tödlichen Atomkrieg gesorgt hatte, was die Rüstungsindustrie in Jubel ausbrechen ließ. Und wie wir gerade erst erfahren haben, hat der große Pazifist, der sich für die Beendigung der Interventionen einsetzt, „im vergangenen Jahr in Afghanistan mehr Bomben und andere Munition abgeworfen als in irgendeinem Jahr zuvor seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2006, wie Daten der Air Force zeigen“.

„Die Liste von Trumps Verbrechen ist immens“

Er verschärft auch seine Kriegshandlungen – um solche handelt es sich nämlich – gegen den Iran. Ich werde nicht einmal darauf eingehen, dass er Israel das gibt, was die israelische Presse „ein Geschenk an die Rechte“ nennt, indem er dem internationalen Recht, dem Weltgerichtshof, dem UN-Sicherheitsrat und dem überwältigenden Teil der internationalen Meinung formell den Rücken kehrt, während er sich bei der Wahl 2020 auf die Stimmen der Evangelikalen stützt. Das Vorrecht der höchsten Macht.
Kurz gesagt, die Liste von Trumps Verbrechen ist immens. Aber keinem davon wurde während des Amtsenthebungsverfahrens Aufmerksamkeit zuteil. Dies ist nichts Neues, sondern eher die Norm. Dieses Verfahren wird oft mit Watergate verglichen. Nixons schreckliche Verbrechen wurden trotz der Bemühungen des Kongressabgeordneten Robert Frederick Drinan und einiger anderer aus den Anklagepunkten gegen ihn gestrichen. Die Anklage gegen Nixon konzentrierte sich auf seine illegalen Handlungen zum Schaden der Demokraten. Gibt es da etwa Ähnlichkeiten mit der Farce, die nun zu Ende geht? Lässt sie einen Einblick in die Motivation der Mächtigen zu?
Wenn wir über die US-Wahlen 2020 sprechen, mobilisieren das demokratische Establishment und die liberalen Medien einmal mehr, um Bernie Sanders zu schwächen, obwohl er möglicherweise der wählbarste Demokrat sein könnte. Erstens: Könnten Sie für uns zusammenfassen, was für Sie den Kern von Sanders politisch-ideologischer Gestalt [Deutsch im Orignal, A. d. Ü.] ausmacht, und dann erklären, was sowohl Konservativen als auch Demokraten Angst macht vor der Aussicht, dass jemand wie Sanders das Land führen könnte?
Der Kern von Sanders „politisch-ideologischer Gestalt“ besteht darin, dass er sich seit langem für die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung einsetzt und nicht für die obersten 0,1 Prozent, die mehr als 20 Prozent des Reichtums des Landes besitzen; nicht für die ganz Reichen, die die Hauptprofiteure der langsamen Erholung von der durch das Finanzkapital verursachten Katastrophe von 2008 waren. Was die USA in dieser Hinsicht „leisten“, geht weit über das hinaus, was in anderen Ländern passiert. So erfahren wir aus jüngst veröffentlichten Studien, dass 65 Prozent des Wachstums in den USA in den vergangenen zehn Jahren an die Allerreichsten geflossen ist; als nächstes kam Deutschland mit 51 Prozent, danach fiel der Wert stark ab. Dieselben Studien zeigen, dass, wenn die gegenwärtigen Trends anhalten, in den kommenden zehn Jahren das gesamte Wachstum an die Reichen gehen wird. Sanders hat sich nie um das Wohlergehen dieser Schichten gekümmert.
Das demokratische Establishment und die liberalen Medien dürften kaum wohlwollend auf jemanden blicken, der geradeheraus erklärt: „Ich habe keine Verwendung für diejenigen – unabhängig davon, welcher Partei sie angehören –, die dem törichten Traum nachhängen, sie könnten die Uhr in jene Tage zurückdrehen, als die unorganisierte Arbeiterschaft eine nahezu hilflose Masse darstellte… Nur eine Handvoll unbelehrbarer Reaktionäre hegt den hässlichen Gedanken, die Gewerkschaften zu zerschlagen. Nur ein Narr würde versuchen, die abhängig Beschäftigten ihres Rechts zu berauben, der Gewerkschaft ihrer Wahl beizutreten – beispielsweise durch die „right-to-work“-Gesetze, das Engagement von Streikbrechern oder die Drohung mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Mexiko, um dadurch die Organisationsbemühungen zu untergraben und die politische Führung parteiübergreifend auf die Probe zu stellen. Das ist mit Sicherheit die Art von sozialistischem wildem Mann, den das Land nicht zu tolerieren bereit ist. Der wilde Mann ist in diesem Fall Präsident Dwight Eisenhower, der letzte konservative Präsident. Seine Bemerkungen sind ein gutes Beispiel dafür, wie weit die politische Klasse unter Clintons „New Democrats“ und den Reagan-Gingrich-Republikanern nach rechts gerückt ist. Letztere sind so weit abgedriftet, dass sie im internationalen Spektrum neben neofaschistischen Parteien und eindeutig rechts der „Konservativen“ einzuordnen sind.
Noch bedrohlicher als Sanders Vorschläge für politische Maßnahmen im Stile des New Deals ist, dass er eine Massenbewegung inspiriert, die sich ständig aktiv politisch engagiert und deren direkter Aktivismus auf die Veränderung der sozialen Ordnung gerichtet ist – eine Bewegung zumeist junger Leute, die die Normen der liberalen Demokratie nicht verinnerlicht haben: die Normen, die besagen, dass es sich bei der Öffentlichkeit um „unwissende und aufdringliche Außenseiter“ handelt, die „Zuschauer sein sollen, keine aktiven Teilnehmer*innen“ – denen zugestanden wird, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen, die danach dann aber in ihre Fernsehsessel und zu ihren Videospielen zurückkehren sollen, während die „verantwortungsvollen Männer“ sich um den Ernst der Lage kümmern.


Es handelt sich hier um ein grundsätzliches Prinzip der Demokratie, wie es von prominenten und einflussreichen liberalen US-amerikanischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts dargelegt wurde, die die „Dummheit des Durchschnittsmenschen“ erkannten und ebenso, dass wir uns nicht von „demokratischen Dogmen darüber täuschen lassen sollten, nach denen die Menschen am besten beurteilen können, was in ihrem Interesse liegt.“ Nicht sie, sondern wir sind die „Verantwortlichen“, die „intelligente Minderheit“. Die „verwirrte Herde“ muss daher durch „notwendige Illusionen“ und „emotionsgeladene Vereinfachungen“ in ihre Schranken gewiesen werden. Das sind Verlautbarungen des einflussreichsten öffentlichen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, Walter Lippmann, in seinen „Progressiven Essays über Demokratie”; Harold Lasswells, einem der Gründer der modernen Politikwissenschaft, und Reinhold Niebuhrs, dem bewunderten „Theologen des (liberalen) Establishments”. Alles hoch angesehene Wilson-Roosevelt-Kennedy-Liberale.
Eine Massenbewegung anzuregen, die diese Normen verletzt, stellt einen ernstzunehmenden Angriff auf die Demokratie und somit einen nicht zu tolerierenden Angriff auf die gute Ordnung dar.
Ich glaube, dass wir bei den Wahlen in Großbritannien 2019 mit Jeremy Corbyn etwas Ähnliches erlebt haben. Würden Sie dem zustimmen? Und wenn ja, was sagt uns das über die liberale Demokratie, die sich heute in Anbetracht des Aufstiegs des Autoritarismus und der extremen Rechten in vielen Teilen der Welt in großen Schwierigkeiten befindet?
Da gibt es definitiv Ähnlichkeiten. Corbyn, ein anständiger und ehrenwerter Mann, war einer außergewöhnlichen Flut von Verleumdungen und Diffamierungen ausgesetzt, gegen die er keine Chance hatte. Gleichzeitig deuteten Meinungsumfragen darauf hin, dass die politischen Maßnahmen, für die er eintrat, beliebt blieben – und er hatte Labour 2017 zu einem bemerkenswerten Wahlergebnis geführt. Eine Besonderheit im Vereinigten Königreich war der Brexit, eine Angelegenheit, auf die ich hier nicht eingehen werde (meiner persönlichen Meinung nach handelt es sich um einen schwerwiegenden Schlag sowohl für Großbritannien als auch für die EU, und wird Großbritannien – oder was davon übrigbleibt – zu einem noch größeren Vasallen der USA machen als es dies unter Blairs New Labour und den Tories war, deren sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen dem Land großen Schaden zugefügt haben). Corbyns Unentschlossenheit in Sachen Brexit, die zu einer toxischen wurde, hat bestimmt zu den negativen Gefühlen ihm gegenüber beigetragen, die offenbar einen wesentlichen Faktor beim Wahldesaster von Labour darstellen, aber es war eben nur ein Faktor.
Wie im Fall von Sanders vermute ich, dass der wesentliche Grund für den erbitterten Hass auf Corbyn auf Seiten eines großen Teils des britischen Establishments in seinen Bemühungen zu finden ist, die Labour Party in eine partizipatorische Organisation zu verwandeln, die Fragen der Wahlpolitik nicht der Labour-Bürokratie überlassen wollte und über den engen Rahmen von Wahlpolitik hinausging, hin zu einem weitaus breiteren und beständigeren Aktivismus und Engagement in öffentliche Angelegenheiten.
Allgemeiner gesprochen steht ein großer Teil der Welt in Flammen. Wie die Männer in Davos auf ihrem Treffen im Januar mit Besorgnis feststellen mussten, kommen die Bauern mit ihren Harken: Die neoliberale Ordnung, die sie während der vergangenen vierzig Jahre durchgesetzt haben, war zwar extrem großzügig gegenüber ihnen und ihrer Klasse, hatte auf die allgemeine Bevölkerung aber einen negativen Einfluss. Ein großes Thema in Davos war, dass die Herren ihre Haltung zum Dienst an den Reichen ändern müssen, um sich um die Belange der „Stakeholder“ – abhängig Beschäftigte und Kommunen – zu kümmern. Ein weiteres Thema war, dass sie zwar keine Alarmisten sind, die Bedrohung durch die Erderwärmung aber anerkennen.

„Wir werden Zeugen nachvollziehbarer Wut“

Die unausgesprochene Unterstellung lautet, dass keine Notwendigkeit für Regulierungen und andere Maßnahmen bezüglich des Klimawandels besteht: ,Wir Big Boys werden uns darum kümmern. Greta Thunberg und die anderen demonstrierenden Kinder da draußen können wieder in die Schule zurückgehen. Und nun, da wir alle die Fehler in unserem neoliberalen Kapitalismusmodell sehen, können sie all diese störenden politischen Programme, die Gesundheitsversorgung und Rechte für Arbeiter*innen, Frauen und Arme fordern, beiseitelegen. Wir kümmern uns darum, also kümmert euch wieder um eure privaten Dinge und haltet euch an die demokratischen Normen.‘
Während die neoliberale Ordnung offensichtlich zusammenbricht, entstehen „Krankheitserscheinungen“ (um Gramscis berühmte Formulierung zu entleihen, als die Pest des Faschismus drohte). Zu ihnen gehört die Ausbreitung des Autoritarismus und der extremen Rechten, die Sie erwähnt haben. Allgemeiner werden wir Zeugen einer recht nachvollziehbaren Wut, Abneigung und Verachtung gegenüber den politischen Institutionen, die den neoliberalen Angriff durchgeführt haben – aber auch das Aufkommen von aktivistischen Bewegungen, die die Mängel der globalen Gesellschaft überwinden und den Wettlauf in die Zerstörung anhalten und umkehren wollen.
Die Konfrontation hätte sich kaum dramatischer darstellen können als durch den Auftritt Greta Thunbergs, direkt nachdem der mächtigste Mann der Welt – der den Wettlauf in die Zerstörung anführt – die Herren der Welt ermahnt hatte, die „Erben der törichten Wahrsager von gestern” (praktisch 100 Prozent aller Klimawissenschafter*innen) zu verachten und seine Abrissbirne zu übernehmen.

Chinas Reaktion auf das Virus ist “atemberaubend”


China’s virus response has been ‘breathtaking’Bild: Nicolas Asfouri / AFP
Der chinesische Präsident Xi Jinping führt einen wissenschaftlichen “Volkskrieg” gegen das Coronavirus
Präsident Xi Jinping sagte dem WHO-Chef Tedros Ghebreyesus bei einem Treffen in Peking Anfang der Woche, dass die Coronavirus-Epidemie “ein Teufel ist und wir nicht zulassen können, dass der Teufel sich versteckt”.
Ghebreyesus seinerseits konnte nicht umhin, Peking für seine extrem schnelle, koordinierte Reaktionsstrategie zu loben – zu der auch die schnelle Identifizierung der Genomsequenz gehört. Chinesische Wissenschaftler haben das Virus bereits an russische Kollegen übergeben, die es durch Schnapptests innerhalb von zwei Stunden im menschlichen Körper identifizieren können. Ein russisch-chinesischer Impfstoff wird derzeit entwickelt.
Der Teufel steckt natürlich immer im Detail. Innerhalb weniger Tage, und das auf dem Höhepunkt der größten Reisezeit des Jahres, gelang es China eine Umgebung mit über 56 Millionen Menschen unter Quarantäne zu stellen, darunter auch die Millionen-Metropole Wuhan und die drei nahe gelegene Städte. Dies ist ein absolutes Novum in Bezug auf die öffentliche Gesundheit in unserer Zeit.
Wuhan ist mit einem BIP-Wachstum von 8,5% pro Jahr ein bedeutendes Geschäftszentrum für China. Es liegt an der strategischen Kreuzung der Flüsse Jangtse und Han und auch an einem Eisenbahnknotenpunkt – zwischen der Nord-Süd-Achse, die Guangzhou mit Peking verbindet, und der Ost-West-Achse, die Shanghai mit Chengdu verbindet.
Als Premierminister Li Keqiang nach Wuhan geschickt wurde, besuchte Präsident Xi die strategische Südprovinz Yunnan, wo er den immensen Regierungsapparat lobte, der die Kontroll- und sanitären Präventionsmechanismen zur Eindämmung der Verbreitung des Virus verstärken soll.
Das Coronavirus erwischt China an einem äußerst heiklen Punkt. Nach dem (gescheiterten) Hybridkrieg in Hongkong, ausgehend einer amerikanischen und  Pro-Taiwan-Offensive und dem andauerneden Handelskrieg, der bei weitem nicht gelöst ist und während dem das weitere Sanktionen gegen Huawei geplant sind, und dann noch die Ermordung von Generalmajor Qasem Soleimani, bei der es letztlich um die Ausweitung der Belt and Road Initiative (BRI) in Südwestasien (Iran-Irak-Syrien) geht.
Das große Bild zeigt den totalen Informationskrieg und die ununterbrochene “Bedrohung” China, die inzwischen sogar mit rassistischen Obertönen, als eine biologische Bedrohung. Wie verwundbar ist China also?
Ein Volkskrieg
Seit fast fünf Jahren wird in Wuhan ein Hochsicherheits-Biolabor betrieben, das sich der Erforschung hochpathogener Mikroorganismen widmet, es wurde nach der SARS-Epidemie in Partnerschaft mit Frankreich eingerichtet. Im Jahr 2017 warnte die Zeitschrift Nature vor den Risiken der Verbreitung von Krankheitserregern aus diesem Labor. Es gibt jedoch keine Beweise dafür, dass dies geschehen sein könnte.
Was das Krisenmanagement betrifft, so hat Präsident Xi die Gelegenheit genutzt und dafür gesorgt, dass China das Coronavirus mit nahezu völliger Transparenz bekämpft (aber die Internet-Mauer besteht immer noch). Peking hat den gesamten Regierungsapparat unmissverständlich davor gewarnt, irgendwelche Vertuschungsversuche zu unternehmen. Eine Webseite in englischer Sprache die in Echtzeit Updates publiziert ist hier für jeden zugänglich. Wer nicht genug zu Bekämpfung beiträgt, wird schwerwiegende Konsequenzen haben. Man kann sich vorstellen, was den Parteichef in Hubei, Jiang Chaoliang, erwartet.
In einem Beitrag, der am vergangenen Sonntag auf dem ganzen Festland verbreitet wurde, heißt es: “Wir in Wuhan sind wirklich in die Phase des Volkskriegs gegen die neue virale Lungenentzündung eingetreten”; und viele Menschen, “hauptsächlich Mitglieder der Kommunistischen Partei”, wurden als “Freiwillige Beobachter und Straßeneinheiten” bestätigt.
Entscheidend war die Anweisung der Regierung, ein App “Wuhan Neighbors” zu installieren, das von WeChat heruntergeladen werden kann. Dieses bestimmt “die Quarantäneadresse unseres Hauses durch Satellitenortung und sperrt dann unsere angeschlossene Gemeindeorganisation und die Freiwilligen ein. Von nun an würden unsere sozialen Aktivitäten und Informationsankündigungen mit dem System verbunden sein”.
Theoretisch bedeutet dies, dass “jeder, der Fieber entwickelt, seinen Zustand so schnell wie möglich über das Netzwerk melden wird. Das System wird sofort eine Online-Diagnose stellen und Ihre Quarantäneadresse lokalisieren und registrieren. Wenn Sie einen Arzt aufsuchen müssen, wird in Ihre Gemeinde einen Wagen organisieren, der Sie über Freiwillige ins Krankenhaus schickt. Gleichzeitig wird das System Ihre Fortschritte verfolgen: Krankenhausaufenthalt, Behandlung zu Hause, Entlassung, Tod usw.”.
Hier haben wir also Millionen chinesischer Bürger, die in einem routinemäßig als “Volkskrieg” mobilisiert sind und “Hochtechnologie zur Bekämpfung von Krankheiten” einsetzen. Millionen ziehen auch ihre eigenen Schlüsse, wenn sie es mit dem Einsatz von App-Software im Kampf gegen die Polizei in Hongkong vergleichen.
Das biogenetische Rätsel
Abgesehen von der Krisenbewältigung war die Geschwindigkeit der chinesischen wissenschaftlichen Reaktion atemberaubend und wird offensichtlich in einem Umfeld des Totalen Informationskrieges nicht vollends gewürdigt. Vergleichen Sie die chinesische Leistung mit der amerikanischen CDC, der wohl weltweit führenden Forschungsagentur für Infektionskrankheiten mit einem Jahresbudget von 11 Milliarden Dollar und 11.000 Mitarbeitern.
Während der Ebola-Epidemie in Westafrika im Jahr 2014 – die als höchste Dringlichkeit angesehen wurde und einem Virus mit einer 90%igen Todesrate gegenüberstand – benötigte die CDC nicht weniger als zwei Monate von der Beschaffung der ersten Patientenprobe bis zur Identifizierung der vollständigen Genomsequenz. Die Chinesen schafften es in wenigen Tagen.
Während der Schweinegrippe in den USA im Jahr 2009, die 55 Millionen infizierte Amerikaner und mehr als 11.000 Tote – brauchte die CDC über eineinhalb Monate, um Identifikationskits zu entwickeln.
Die Chinesen brauchten nur eine Woche von der ersten Patientenprobe bis zur vollständigen, lebenswichtigen Identifizierung und Sequenzierung des Coronavirus. Sofort wurden sie veröffentlicht und in der Genomik-Bibliothek für den sofortigen Zugriff der ganzen Welt hinterlegt. Auf der Grundlage dieser Sequenz produzierten chinesische Biotech-Firmen innerhalb einer Woche validierte Essays – auch das war eine Premiere.
Und wir sprechen noch nicht einmal über den inzwischen berüchtigten Bau eines brandneuen und hochmodernen Krankenhauses in Wuhan und das in einer Rekordzeit, nur um die Opfer des Coronavirus zu behandeln. Kein Opfer wird für seine Behandlung bezahlen müssen. Zusätzlich wird das Gesunde China 2030, die Reform des Gesundheits- und Entwicklungssystems, vorangetrieben.
Das Coronavirus öffnet eine echte Büchse der Pandora zur Biogenetik. Wenn man die kollektive Psychose betrachtet, die ursprünglich von westlichen Unternehmensmedien und sogar der WHO um das Coronavirus herum entwickelt wurde und zu Erfahrungen in vivo, bei denen die Zustimmung der “Patienten” nicht erforderlich sein wird bleiben schon ernsthafte Fragen unbeantwortet. Das Coronavirus könnte durchaus zum Vorwand für genetische Experimente über Impfstoffe werden.
In der Zwischenzeit ist es immer aufschlussreich, sich an Mao Zedong zu erinnern. Für Mao waren die beiden wichtigsten politischen Variablen “Unabhängigkeit” und “Entwicklung”. Das bedeutet volle Souveränität. Da Xi offenbar entschlossen ist, das zu beweisen, dass ein souveräner Staat in der Lage ist, einen wissenschaftlichen “Volkskrieg” zu gewinnen zeigt das er Unverwundbar ist.
China’s virus response has been ‘breathtaking’

Sanktionen – Trumps unbeachteter Krieg gegen Iran
Ein Artikel von: Redaktion



Eine Eskalation der Gewalt im Mittleren Osten sei vorerst abgewendet. So lautet derzeit der Tenor in vielen Medien. Doch der Krieg der USA gegen den Iran ist längst in vollem Gange. Ohne Bomben und ohne Öffentlichkeit. Der Wirtschaftskrieg mit seinen Sanktionen, den die USA gegen den Iran führen, fordert ebenfalls Todesopfer und verstößt zudem gegen das Völkerrecht, wie Fabian Goldmann in seinem Artikel für die NachDenkSeiten analysiert.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Per Drohne hatten die USA den iranischen General Qasem Suleimani ermordet. Iranische Raketen schlugen auf amerikanischen Armeestützpunkten ein. Der Mittlere Osten schien vor einem neuen Krieg zu stehen. Doch dann ging ein Aufatmen durch die deutsche Presselandschaft. „Neuer Krieg im Nahen Osten abgewendet“, erfuhr man bei RTL, nachdem US-Präsident Donald Trump bekannt gegeben hatte, auf eine weitere militärische Eskalation vorerst zu verzichten. „Das Schlimmste scheint abgewendet“, der Krieg vertagt, analysierte auch „Der Spiegel“. In der FAZ las man sogar, Trump habe „brutalstmögliche Deeskalation angeordnet“. Und die BILD titelte in gewohnt großen Buchstaben in Richtung Trump: „Kein Krieg! Danke, Mr. President!“
Doch die verbreitete Erzählung von der amerikanischen Besonnenheit, die die Menschen der Region vor Tod und Leid bewahrt, hat einen Haken: Sie stimmt nicht. Der Krieg der USA gegen Iran ist längst in vollem Gange. Nur Aufmerksamkeit oder gar Empörung erregt er hierzulande kaum. Denn statt spektakulärer Angriffe durch Predator-Drohnen und Cruise-Missiles sind es Dekrete und Verordnungen, die leise Tod und Leid über die iranische Zivilbevölkerung bringen.
Trump erklärte die gesamte iranische Wirtschaft zum Ziel
„Ich gebe heute bekannt, dass sich die Vereinigten Staaten aus dem Iran-Atomabkommen zurückziehen werden.“. Mit diesen Worten kündigte Donald Trump am 8. Mai 2018 nicht nur völkerrechtswidrig das Atom-Abkommen seines Amtsvorgängers, er setzte auch den Beginn eines Wirtschaftskrieges in Gang, dessen Folgen nicht weniger tödlich sind als Bomben und Raketen. Innerhalb weniger Wochen hatten die USA nicht nur sämtliche Sanktionen, die Obama 2015 infolge des Atomabkommens zurückgenommen hatte, wieder in Kraft gesetzt, sie verhängten auch zahlreiche neue. Waren unter Obama noch vorrangig iranische Einrichtungen und Politiker Gegenstand der Strafmaßnahmen, die irgendwie mit dem iranischen Atomprogramm in Zusammenhang stehen, erklärte Trump die gesamte iranische Wirtschaft zum Ziel.
Von seiner im August 2018 gestarteten „Kampagne des maximalen Drucks“ sind seitdem weit über 1000 Einzelpersonen, dutzende staatliche und private Unternehmen, vor allem aber die Finanzindustrie des Landes betroffen. Immer wieder verschärften amerikanische Behörden Sanktionen gegen die iranische Zentralbank und andere Finanzinstitutionen des Landes. Bis heute vergeht kaum eine Woche, in der amerikanische Behörden ihre Strafmaßnahmen nicht auf immer neue iranische Lebensbereiche ausweiten. Heute ist es iranischen Unternehmen in allen Wirtschaftsbereichen nur noch unter großem Aufwand möglich, Waren zu importieren oder zu exportieren.
Nur mit Verordnungen schaffen es die USA, ein ganzes Land auszuhungern
Die Konsequenzen dieser Politik bekam die iranische Bevölkerung umgehend zu spüren: Innerhalb weniger Wochen beendeten große ausländische Unternehmen wie Peugeot, Daimler, Total oder das chinesische Erdölunternehmen CNPC ihre Irangeschäfte. Im Oktober 2018 berichteten iranische Medien, dass sich der Preis für Babywindeln verdoppelt habe, nachdem Fabriken wegen Rohstoffmangel die Produktion einstellen mussten. Einen Monat später folgten Nachrichten über ausbleibende Lieferungen von Nahrungsmitteln und Agrargütern. Ausländische Unternehmen konnten aufgrund der amerikanischen Finanzsanktionen die Bezahlung der Güter nicht mehr abwickeln.
Wie schwer die iranische Wirtschaft unter der amerikanischen Politik leidet, lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Infolge der US-Sanktionen sank das iranische Wirtschaftswachstum von +12 Prozent im Jahr 2016 auf -10 Prozent im Jahr 2019. Innerhalb nur eines Jahres verlor die iranische Währung mehr als 80 Prozent ihres Wertes. Von einer jährlichen Preissteigerungsrate von 52 Prozent für Verbrauchsgüter berichtet die Weltbank. Viele Menschen, die vor zwei Jahren noch zur Mittelschicht gehörten, leben heute infolge der amerikanischen Sanktionen in Armut. Wo früher Belagerungswaffen und Kriegsschiffe für Blockaden nötig waren, schaffen es die USA heute, ein Land auszuhungern, ohne einen Schuss abzugeben.
Trumps Ziel ist es, die iranischen Ölexporte auf Null zu bringen
Die Radikalität amerikanischer Sanktionspolitik zeigt sich besonders deutlich beim Ölhandel. Heute verbieten die USA nicht nur heimischen Unternehmen den Handel mit Iran, sondern der ganzen Welt. Seit Juni 2019 verhängen die USA Sanktionen weltweit gegen jedes Unternehmen, das am Handel mit iranischem Öl beteiligt ist. Länder, die wie China, die Türkei, Indien oder der Irak derzeit noch iranisches Öl importieren, sind von zeitlich befristeten amerikanischen Ausnahmeregelungen abhängig. Die Folgen sind für den Iran existentiell: Iranische Öl-Exporte und damit die wichtigste Einnahmequelle des Landes gingen in den letzten beiden Jahren um über 80 Prozent zurück. Exportierten die Iraner im Jahr 2017 noch und zwei Millionen Barrel Rohöl täglich, sank der Export im vergangenen Jahr auf zeitweise nur noch 160.000 Barrel pro Tag.
Ziel der Maßnahmen sei es, so erklärten es US-Vertreter immer wieder, die iranischen Öl-Exporte auf Null zu bringen. Wie weit sie dabei gehen, zeigte der Fall des iranischen Tankers „Grace 1“, dessen Schicksal im vergangenen Jahr wochenlang die Schlagzeilen bestimmte. Schon am Tag der Kaperung erklärte Spaniens Außenminister Josep Borrell am 4. August, das Schiff sei auf Verlangen der USA festgesetzt worden und widersprach damit britischen Darstellungen, wonach ein Bruch der EU-Sanktionen gegen Syrien der Grund für die Kaperung sei.
Als das zuständige Gericht Gibraltars den mittlerweile in „Adrian Darya 1“ unbenannten Tanker am 15. August wieder freigab, intervenierten die USA erneut: Noch am selben Tag drohte US-Außenamtssprecherin Morgan Ortagus der 28-köpfigen Besatzung des Tankers mit Einreiseverboten und dem Entzug bereits erteilter Visa. Einen Tag später verfügte ein Bundesgericht in Washington D.C. erfolglos die Beschlagnahmung des Tankers und seiner Fracht.
Bis auf den letzten Tanker vom Welthandel ausschließen
Auch in den folgenden Tagen versuchten die USA mit nahezu jedem Mittel, die Weiterfahrt des Tankers zu verhindern: Am 20. August drohte US-Außenminister Mike Pompeo sämtlichen Mittelmeeranrainer-Staaten mit Strafmaßnahmen, sollten sie es der „Adrian Darya 1“ erlauben, in einen ihrer Häfen einzulaufen. Zehn Tage später setzten US-Behörden den Tanker mitsamt seiner Crew auf eine Liste von Terrorunterstützern. Mit diesem Schicksal war die „Grace 1“ alias „Adrian Darya 1“ nicht allein: Elf iranische Tanker und ihre Besatzungen hatten die USA bis zu diesem Zeitpunkt bereits mit Sanktionen belegt. Viele andere iranische Frachtschiffe bekamen die Folgen der US-Sanktionspolitik indirekt zu spüren: Versicherungsunternehmen weigern sich auf amerikanischen Druck, Policen an iranische Tanker zu vergeben. Werften verweigern ihnen die Reparatur, ausländische Häfen verwehren ihn das Auftanken.
Kritische Einordnungen der Politik der USA suchte man in den deutschen Medien auch damals weitgehend vergeblich. Stattdessen fokussierten sich Medien im Falle der „Grace 1“ in ihrer Berichterstattung auf die vermeintlich völkerrechtswidrigen iranischen Öllieferungen an Syrien. Eine Einschätzung, der unter anderem der wissenschaftliche Dienst des Bundestages widersprach. Statt als Rechtsbruch Irans lassen sich auch die Ereignisse um die „Grace 1“ besser im Kontext der US-Sanktionspolitik verstehen: Als radikales Beispiel für den völkerrechtswidrigen Versuch der USA, Iran bis auf den letzten Tanker vom Welthandel auszuschließen.
Aus Angst vor den USA meiden Unternehmen jeden Kontakt zu Iran
Diese Mischung aus offiziellen Sanktionen und informellen Einschüchterungen und Drohungen bekommen auch andere Akteure zu spüren: Am 9. Mai 2019 drohte US-Botschafter Richard Grenell Vertretern deutscher Unternehmen ganz offen mit Einreiseverboten: „Du kannst im Iran so viele Geschäfte machen, wie du willst. Aber wir dürfen mitreden, was das Visum betrifft, denn wenn du das machst, sind wir nicht damit einverstanden, dass du unser Land betrittst“, sagte Grenell in einem Interview mit BILD.
Die Folge dieser unberechenbaren Politik: Selbst Unternehmen, deren Waren nicht offiziell von amerikanischen Sanktionen betroffen sind, trauen sich aus Angst vor Konsequenzen durch die USA nicht mehr, mit Iran Handel zu treiben. „Tatsache ist, dass die Banken so große Angst vor den Sanktionen haben, dass sie nichts mehr mit dem Iran zu tun haben wollen“, sagte der ehemalige französische Botschafter Gérard Araud im Oktober 2018.
Human Rights Watch warnt vor „verheerenden Folgen für Millionen von Patienten“
Vieles deutet darauf hin, dass die USA dieses Klima der Angst bewusst schüren, um die Wirkung ihrer Sanktionen noch über die ökonomische Wirkung hinaus auszuweiten. Mit Einschüchterungen und der eigenen Unberechenbarkeit verhindern die USA so auch den iranischen Import von Waren, die nach internationalem Recht eigentlich nicht von Sanktionen betroffen sein dürfen, wie Lebensmittel, Medikamente und Hilfsgüter.
Im August 2019 erklärte der Vorsitzende der Norwegischen Flüchtlingshilfe Jan Egeland, wie Hilfsprojekte für Opfer von Naturkatastrophen und afghanische Flüchtlinge in Iran an der US-Politik scheitern: „Wir haben jetzt ein ganzes Jahr lang versucht, Banken zu finden, die bereit sind Spenden (…) weiterzuleiten, aber wir stoßen überall gegen Mauern.“
Im selben Monat beschrieb ein Ärzte-Team in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“, wie die Sanktionen langsam das iranische Gesundheitssystem zugrunde richteten. In einem Land, „das einer allgemeinen Gesundheitsversorgung so nah war“, bestehe jetzt „ein hohes Risiko, bei der Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen in eine ernsthafte Situation zu geraten mit möglicherweise erheblichen Auswirkungen für Mortalität und Morbilität.“ Vor „verheerenden Folgen für Millionen von Patienten“ im Iran warnte auch Human Rights Watch im Oktober des vergangenen Jahres in einem Bericht zu den Folgen der US-Sanktionspolitik.
Dass diese Politik nicht mit internationalen Gesetzen in Einklang zu bringen ist, urteilte auch der Internationale Gerichtshof. Am 3. Oktober 2018 forderte dieser die USA unter anderem dazu auf, sämtliche Maßnahmen zurückzunehmen, die die Versorgung mit „Medizin, medizinischem Gerät, Nahrungsmitteln und Agrargütern“ verhindern. Die USA reagierten auf gewohnte Weise: Sie traten noch am selben Tag aus dem zugrundeliegenden Vertrag aus.
Wirtschaftskrieg, der gegen Menschenrechte und Völkerrecht verstößt
Um die Frage, wer das Ziel dieser Politik ist, haben die USA im Übrigen nie einen Hehl gemacht: die Zivilbevölkerung. Mehrmals erklärten US-Politiker in den vergangenen Jahren, ihr Ziel sei es, die wirtschaftliche Not so weit zu treiben, bis die iranische Bevölkerung sich gegen ihre eigene Führung auflehne. Im Februar 2019 formulierte US-Außenminister Mike Pompeo beispielsweise eine Art Erfolgsbilanz der amerikanischen Sanktionspolitik: „Für das iranische Volk ist die Situation heute viel schlimmer und wir sind überzeugt, dass das dazu führen wird, dass sich das Volk erheben und das Verhalten des Regimes verändern wird“, sagte Pompeo, bevor er weitere Sanktionen gegen den Iran ankündigte.
Auch nach der jüngsten Gewalt zwischen USA und dem Iran im Januar 2020 hat Donald Trump die Sanktionen gegen das Land erneut verschärft. Kritik an dieser Politik gab es von westlichen Medien auch diesmal kaum. Von anderen hingegen schon: Die US-Iran-Politik stelle ein „Rezept für kollektive Bestrafung dar“, heißt es beispielsweise bei Human Rights Watch. Noch deutlicher wurde der UN-Sonderberichterstatter für die menschenrechtlichen Folgen von Sanktionen, Idriss Jazairy. Ende letzten Jahres bewertete er die Iran-Sanktionen der USA als „Wirtschaftskrieg“, der „gegen Menschenrechte und Völkerrechte verstößt“.