Dienstag, 31. März 2020

China präsentiert der UNO neue Internetarchitektur

New IP: 

 Mit New IP stellt China einen neuen IP-bezogenen Vorschlag einer neuen Internetarchitektur vor. Zwar soll die Technologie auf künftige High-Tech-Entwicklungen ausgerichtet sein, zugleich gewährt sie jedoch eine volle staatliche Kontrolle der Internet-Nutzung, berichtet die Financial Times.

Huawei ist federführend an Entwicklung beteiligt

Bei einem Treffen im September 2019 der Internationalen Telekommunikationsvereinigung ITU der UNO, die gemeinsame globale Standards für Technologien festlegt, stellte ein halbes Dutzend chinesischer Ingenieure Delegierten aus mehr als 40 Ländern eine alternative Form des Internets vor. Eingeführt werden solle eine neue Technologie namens „New IP“. Das Team, das den Vorschlag für ein neues IP (Internetprotokoll) ausarbeitete, stammt vom chinesischen Technologieriesen Huawei. Dieser entsandte die größte Delegation zu diesem Meeting. Den Vorschlag unterbreitete man gemeinsam mit den staatlichen Unternehmen China Unicom, China Telecom sowie dem Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) des Landes.

Aktuelles Internet nicht mehr zeitgemäß für künftige Innovationen?

Statt einer Erklärung der Funktionsweise des neuen Netzwerkes, gab man zur Versammlung, im Rahmen einer PowerPoint-Präsentation, Ausblicke auf Bilder futuristischer Technologien, von lebensgroßen Hologrammen bis zu selbstfahrenden Autos. Die Ausführung zeichnet das Bild einer digitalen Welt im Jahr 2030. Man geht davon aus, dass virtuelle Realität, holographische Kommunikation und Fernchirurgie in der Zeit allgegenwärtig wären. Allerdings jedoch erwies sich für solche Szenarien unser derzeitiges Netzwerk nicht mehr als geeignet. Die Idee sollte veranschaulichen, dass das aktuelle Internet ein Relikt ist, das an die Grenzen seiner technischen Fähigkeiten gestoßen ist. Die herkömmliche TCP/IP-Technologie wird als „instabil“ und „äußerst unzureichend“ mit „vielen Sicherheits-, Zuverlässigkeits- und Konfigurationsproblemen“ beschrieben. Laut Huawei wäre es darum an der Zeit, ein neues globales Netzwerk mit einem Top-Down-Design zu kreieren, und es wäre an China, es zu bereitzustellen.
Huawei behauptet, New IP zu entwickeln, um mit den technischen Anforderungen einer sich schnell entwickelnden digitalen Welt mithalten zu können. Es wäre noch kein bestimmtes Governance-Modell in das Design integriert. Der Telekommunikationsgigant leitet eine ITU-Gruppe, die sich auf die zukünftige Netzwerktechnologie konzentriert, die man bis zum Jahr 2030 benötigt und New IP wird auf diese Anforderungen zugeschnitten, gab ein Sprecher bekannt.

New IP: Überwachung inklusive

Gemäß den Dokumenten solle das neue Netzwerk ein Top-to-Bottom-Design haben. Zudem soll es Programme für den Datenaustausch zwischen Regierungen fördern, „um KI, Big Data und alle Arten anderer Anwendungen zu bedienen“. Zahlreiche Experten befürchten, dass Internetdienstanbieter unter New IP die Kontrolle über jedes mit dem Netzwerk verbundenem Gerät hätten. Der individuelle Zugriff wäre dadurch überwachbar und steuerbar. Das System würde bereits von Ingenieuren aus „Industrie und Wissenschaft“ in „mehreren Ländern“ aufgebaut, informiert der Teamleiter von Huawei, Sheng Jiang.

Birgt New IP einen „Flickenteppich nationaler Internetverbindungen„?

Für einige Teilnehmer ist die Idee unvorstellbar und in der Form auch kein gangbarer Weg. Wenn New IP von der ITU legitimiert würde, könnten die staatlichen Betreiber wählen, ob sie ein westliches oder ein chinesisches Internet implementieren möchten. Letzteres könnte bedeuten, dass jeder in diesen Ländern die Erlaubnis seines Internetproviders benötigt, um Zugriff auf das Internet zu bekommen. Hierbei wäre es völlig gleichgültig, ob man eine App herunterladen oder den Zugriff auf eine Website erlangen wolle. Zudem könnten Administratoren die Möglichkeit haben, den Zugriff nur aus einer Laune heraus zu verweigern. Anstelle eines einheitlichen World Wide Web könnten die Bürger gezwungen sein, sich mit einem „Flickenteppich nationaler Internetverbindungen zu verbinden, von denen jede ihre eigenen Regeln hat – ein Konzept, das in China als Cyber-Souveränität bekannt ist„.

New IP-Entwickler geben für Entscheidung nur kurzen Zeitrahmen vor

Die Entwickler von New IP geben an, dass man Teile der Technologie bis zum nächsten Jahr testen könne. Eine Standardisierung durch das New IP wird auf der ITU-Telekommunikationskonferenz in Indien erwartet, die bereits für November geplant ist. Um die ITU davon zu überzeugen, sie innerhalb des Jahres zu genehmigen, müssen die Vertreter einen internen Konsens erzielen. Wenn sich die Delegierten nicht einigen können, wird der Vorschlag einer Abstimmung unter Ausschluss der Öffentlichkeit unterzogen, an der nur Mitgliedsländer teilnehmen können. Ansichten von Industrie und Zivilgesellschaft bleiben so außen vor.

Das Projekt stößt auf massive Kritik

Jedoch sehen besonders die westlichen Delegierten in dem kurzfristigen Zeitplan Probleme. Gemäß Financial Times bemängelt ein Teilnehmer der niederländischen Delegation, dass der „offene und anpassungsfähige Charakter“ des western Internets, sowohl seine technische Struktur, als auch seine Steuerung, für seinen Erfolg von grundlegender Bedeutung sei.“ Besonders besorgt wäre er deshalb, weil das vorgeschlagene Modell von dieser Philosophie abweicht.
Der britische Delegierte erklärte:
„Es sei alles andere als klar, dass man technisch fundierte Rechtfertigungen für einen solch radikalen Schritt mache. Sofern dies nicht der Fall ist, sind vernünftige Grundlagen für zukünftige Arbeiten oder sogar fortgesetzte Forschungsaktivitäten zu diesen Themen entweder bestenfalls schwach oder nicht vorhanden.“
Shoshana Zuboff, Sozialwissenschaftlerin an der Harvard University und Autorin von The Age of Surveillance Capitalism, äußert sich skeptisch über die Entwicklung:
„Natürlich will [China] eine technologische Infrastruktur, die ihnen die absolute Kontrolle gibt, die sie politisch erreicht haben, ein Design, das dem totalitären Impuls entspricht. Das ist für mich beängstigend und sollte für jede einzelne Person beängstigend sein.“