Von Pepe Escobar
Übersetzung©: Andreas Ungerer
31. Juli 2020,
ZeroHedge via ASIA TIMES
Als die Schlachtverbände der Flugzeugträger Ronald Reagan und Nimitz vor kurzem "Operationen" im Südchinesischen Meer durchführten, entging es so manchem Zyniker nicht, daß die US-Pazifikflotte ihr Bestes gab, um die infantile Theorie der Thukydides-Falle in eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zu verwandeln.
Laut der formellen Darstellung des Kommandeurs der Nimitz, Konteradmiral Jim Kirk wurden die Manöver durchgeführt, um „gegenüber unseren Verbündeten und Partnern unseren Einsatz für eine auf festen Regeln beruhende internationale Ordnung, einen frei zugänglichen und offenen Indopazifik, zu bekräftigen.“
Niemand schenkt solchen Klischees Beachtung, da die eigentliche Botschaft von dem sich als Diplomaten ausgebenden CIA-Agenten, Außenminister Mike „Wir lügen, betrügen und stehlen“ Pompeo, unter Verweis auf die Neun-Striche-Linie*, stammte: "Die Volksrepublik China hat keine rechtliche Grundlage, um der Region einseitig ihren Willen aufzuzwingen" Für das Außenministerium wendet Peking im Südchinesischen Meer nichts als "Gangstertaktiken" an. Erneut schenkte dem niemand Beachtung, weil die tatsächlichen Umstände dort auf der Hand liegen.
Alles, was sich im Südchinesischen Meer – Chinas entscheidender Seehandelsader – bewegt, unterliegt der Gnade der Chipeschen Volksbefreiungsarmee, die entscheidet, ob und wann ihre tödlichen"Flugzeugträgerkiller"-Raketen DF-21D* und DF-26* zum Einsatz kommen.
Die Pazifikflotte der Vereinigten Staaten hat absolut keine Chance, einen Krieg im Südchinesischen Meer zu gewinnen Elektronische Blockade Ein bei westlichen Medien nicht erhältlicher und dort unerwähnter chinesischer Bericht, der von dem in Honig Kong ansässigen Analysten Thomas Wing Polin übersetzt wurde, ist für das Verständnis der Zusammenhänge unerläßlich
Der Bericht bezieht sich auf elektronische Kampfflugzeuge vom Typ US Growler, die durch elektronische Störsender, die auf Inseln und Riffen im Südchinesischen Meer stationiert sind, völlig außer Kontrolle geraten sind.
Dem Bericht zufolge "verhandelten die Vereinigten Staaten nach diesem Vorfall mit China und forderten die chinesische Führung auf, die elektronischen Anlagen umgehend zu demontieren, was von dieser jedoch abgelehnt worden ist.
Diese elektronischen Anlagen sind ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Seeverteidigung und stellen keine Angriffswaffen dar. Daher ist die Forderung des USMilitärs nach einer Demontage unangemessen". Es kommt noch besser: "Noch am selben Tag räumte der ehemalige Kommandeur der US-Pazifikflotte, Scott Swift, schließlich ein, daß das US-Militär die beste Zeit zur Kontrolle des Südchinesischen Zeit hinter sich hat.
Er glaubt, daß China eine große Anzahl von Luftabwehrraketen des Typs Hongkong 9* sowie Bombern vom Typ H-6K* und elektronischen Störsystemen auf Inseln und Riffen stationiert hat.
Man kann also behaupten, daß die Verteidigung solide ist. Sollten US-Kampfflugzeuge in das Südchinesische Meer rasen, werden sie wahrscheinlich ihr 'Waterloo erleben." Unter dem Strich werden all diese von der Volksbefreiungsarmee auf den Inseln und Riffen im Südchinesischen Meer stationierten Anlagen welche, einschließlich der elektronischen Störsender, die Hälfte von dessen Gesamtoberfläche erfassen, von Peking als Teil des nationalen Verteidigungssystems Chinas betrachtet.
Ich habe bereits in der Vergangenheit detailliert geschildert, was Admiral Philip Davidson, als er noch Anwärter auf den Posten des Befehlshabers des Indopazifischen Kommandos der Vereinigten Staaten (PACOM) war, dem US-Senat hierzu erzählt hat.
Hier die drei wichtigsten seiner Schlußfolgerungen:
1) "China strebt nach moderner Waffentechnologie (z.B. Hyperschallraketen), gegen die die Vereinigten Staaten derzeit keine Verteidigung haben. Da China die Stationierung dieser fortschrittlichen Waffensysteme anstrebt, werden die US-Streitkräfte im gesamten indopazifischen Raum zunehmend gefährdet sein".
2) "China untergräbt die auf festen Regeln basierende internationale Ordnung".
3) "China ist jetzt in der Lage, das Südchinesische Meer in allen sich nahe an einem Krieg mit den mit den Vereinigten Staaten bewegenden Szenarien zu kontrollieren.
All dies geht mit dem "Geheimnis" der Indopazifik-Strategie einher: Bestenfalls handelt es sich um ein Eindämmungsmanöver, da China die Seidenstraße, die das südchinesische Meer mit dem Indischen Ozean verbindet, weiter ausbaut. Erinnern Sie sich an Nusantao*
Das Südchinesische Meer ist und bleibt einer der wichtigsten geopolitischen Brennpunkte des jungen 21. Jahrhunderts, in dem sich ein großer Teil des Kampfes um das Ost-West-Gleichgewichts abspielen wird. Ich habe mich in der Vergangenheit bereits an anderer Stelle ausführlich damit befaßt, jedoch ist nun ein kurzer historischer Hintergrund wieder einmal absolut notwendig, um die gegenwärtige Situation zu begreifen, da das Südchinesische Meer zunehmend wie ein chinesischer See aussieht und sich auch so anfühlt.
Lassen Sie uns im Jahr 1890 beginnen, als Alfred Mahan, der damalige Präsident der US-Marineakademie, das grundlegende Werk The Influence of Sea Power Upon History, 1660-1783 veröffentlicht hat. Mahans zentrale These ist, daß die USA auf der Suche nach neuen Märkten global agieren und diese neuen Handelswege durch ein Netz von Marinestützpunkten schützen sollten. Das war der Embryo des nach wie vor aus Militärstützpunkten bestehenden US-Imperiums.
Es war der westliche - amerikanische und europäische - Kolonialismus, der die meisten Land- und Seegrenzen der an das Südchinesische Meer angrenzenden Staaten geschaffen hat: Philippinen, Indonesien, Malaysia, Vietnam. Wir sprechen über die Grenzen zwischen den unterschiedlichen kolonialen Besitztümern ‒ und das brachte von Beginn an unlösbare Probleme mit sich, welche an die postkolonialen Nationen vererbt worden sind. Historisch betrachtet ist war die Geschichte immer eine völlig andere. Die besten anthropologischen Studien (z.B. die von Bill Solheim) definieren die halbnomadischen Gemeinschaften, die wirklich von alters her über das Südchinesische Meer reisten und Handel trieben, als Nusantao - ein austronesisches zusammengesetztes Wort für "Südinsel" und "Menschen". Die Nusantao waren keine bestimmte ethnische Gruppe. Sie waren ein maritimes Internet. Durch die Jahrhunderte hindurch haben sie von der Küstenlinie zwischen Zentralvietnam und Hongkong bis hin zum Mekong-Delta viele wichtige Knotenpunkte errichtet. Sie waren an keinen "Staat" gebunden. Die westliche Vorstellung von "Grenzen" existierte nicht einmal. Mitte der 1990er Jahre hatte ich das Privileg, einigen ihrer Nachkommen in Indonesien und Vietnam zu begegnen. Nun ist es dem westfälischen System erst Ende des 19. Jahrhunderts gelungen, das Südchinesische Meer in einen unbeweglichen Rahmen einzufrieren.
Was uns zu dem entscheidenden Punkt bringt, warum China so sensibel mit seinen Grenzen umgeht. Weil diese direkt mit dem "Jahrhundert der Erniedrigung" zusammenhängen – als die interne chinesische Korruption und Schwäche westlichen "Barbaren" erlaubte, chinesisches Territorium in Besitz zu nehmen.
Eine japanische See
Die Neun-Striche-Linie ist ein enorm komplexes Problem. Sie wurde im Jahr 1936 von dem bedeutenden chinesischen Geographen Bai Meichu, einem unerschütterlichen Nationalisten, erfunden, zunächst als Teil einer "Karte der nationalen Demütigung Chinas" in Form einer "U-förmigen Linie", die das Südchinesische Meer bis hinunter zu James Shoal verschlingt, welches 1.500 km südlich von China, aber nur über 100 km von Borneo entfernt liegt. Die Neun-Strich-Linie wurde von Anfang an von der chinesischen Regierung, die, wie Sie sich erinnern, damals noch nicht kommunistisch war, als gesetztes Recht in Bezug auf "historische" chinesische Ansprüche auf Inseln im südchinesischen Meer propagiert.
Ein Jahr später fiel Japan in China ein. Im Jahr1895 hatte Japan bereits Taiwan besetzt und im Jahr 1942 besetzte es die Philippinen. Das bedeutete, daß praktisch die gesamte Küstenlinie des Südchinesischen Meeres zum ersten Mal in der Geschichte von einem einzigen Reich kontrolliert wurde.
Das Südchinesische Meer war zu einer japanischen See geworden. Nun, das dauerte bis 1945 an. Die Japaner besetzten Woody Island, eine der Paracel-Inseln* und Itu Aba (das heutige Taiping) eine der Spratly-Inseln*. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Atombombenabwurf der Vereinigten Staaten auf China, wurden die Philippinen im Jahr 1945 unabhängig und die Spratly-Inseln wurden umgehend zu philippinischem Territorium erklärt. Im Jahr 1947, erhielten alle Inseln im Südchinesischen Meer chinesische Namen. Und im Dezember 1947 wurden alle Inseln unter die Kontrolle von Hainan (selbst eine Insel in Südchina) gestellt. Neue Karten folgten, aber nun mit chinesischen Namen für die Inseln (oder Riffe und Untiefen). Aber es gab ein riesiges Problem: Niemand erklärte die Bedeutung dieser Striche (deren Anzahl ursprünglich elf betrug).
Im Juni 1947 erhob die Republik China Anspruch auf das gesamte Gebiet innerhalb dieser Linie, während es sich selbst zu Verhandlungen darüber bereit erklärte, später über die die Seegrenzen zu anderen Ländern verhandeln zu wollen. Zu dem damaligen Zeitpunkt jedoch existierten keine Grenzen.
Und damit wurde der Schauplatz für die ungeheuer komplizierte "strategische Zweideutigkeit" im Südchinesischen Meeres geschaffen, die bis heute andauert - und die es dem Außenministerium erlaubt, Peking "Gangstertaktiken" vorzuwerfen. Der Höhepunkt eines Jahrtausend alten Übergangs vom "maritimen Internet" der Halbnomadenvölker zum westfälischen System hat nichts als Ärger gebracht. Zeit für einen Verhaltensrichtlinien
Was hat es mit dem Hinweis der Vereinigten Staaten auf die “Navigationsfreiheit” also auf sich?
Aus imperialer Sicht ist die "Freiheit der Schifffahrt" von der Westküste der USA bis nach Asien - durch den Pazifik, das Südchinesische Meer, die Malakkastraße und den Indischen Ozean - eine rein Militär strategische Frage. Die US-Marine kann sich schlicht nicht vorstellen mit maritimen Sperrzonen umzugehen – oder mit dem Umstand, jedes Mal eine "Genehmigung" verlangen, wenn sie diese Zonen durchqueren muß. In diesem Fall würde das Imperium der Stützpunkte den "Zugang" zu seinen eigenen Stützpunkten verlieren.
Hinzu kommt die typische Pentagon-Paranoia, eine Situation zu spielen, in der eine "feindliche Macht" – nämlich China - beschließt, den Welthandel zu blockieren. Die Prämisse an sich ist lächerlich, denn das Südchinesische Meer ist die bedeutendste und lebenswichtigste Seehandelsroute für Chinas globalisierte Wirtschaft. Es gibt also keine rationale Rechtfertigung für ein Navigationsfreiheitsprogramm.
Diese Flugzeugträger wie die Ronald Reagan und die Nimitz, die im Südchinesischen Meer ein- und auslaufen, sind quasi eine Art Kanonenboot-Diplomatie des 21. Jahrhundert. Und Peking ist nicht beeindruckt.
Was den zehnköpfigen Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) betrifft, geht es jetzt darum, einen Verhaltenskodex zur Lösung aller maritimen Konflikte zwischen den Philippinen, Vietnam, Malaysia, Brunei und China auszuarbeiten. Im kommenden Jahr begehen ASEAN und China den 30. Jahrestag enger bilateraler Beziehungen. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß sie diese den Status einer „großangelegten strategischen Partnerschaft“ verleihen. Wegen Covid-19 mußten alle Akteure die Verhandlungen über die zweite Lesung des einzigen Entwurfs des Verhaltenskodex verschieben. Peking wollte, daß diese von Angesicht zu Angesicht geführt werden - denn das Dokument ist äußerst sensibel und derzeit noch geheim. Dennoch haben sie sich schließlich darauf geeinigt, online zu verhandeln – mittels detailliert ausgearbeiteter Texte. Es wird ein hartes Stück Arbeit werden, denn wie ASEAN Ende Juni in einem virtuellen Gipfel verdeutlicht hat, muß alles im Einklang mit dem Völkerrecht stehen, einschließlich des UN-Seerechtsübereinkommens (UNCLOS).
Sollten sie sich alle bis Ende 2020 auf einen gemeinsamen Verhaltenskodex einigen können, könnte ASEAN Mitte 2021 einer Abschlußvereinbarung zustimmen. Historisch läßt sich das nicht einmal ansatzweise beschreiben, denn diese Verhandlungen laufen bereits seit nicht weniger als zwei Jahrzehnten. Ganz zu schweigen davon, daß ein Verhaltenskodex jeden Anspruch der USA auf Sicherung der "Navigationsfreiheit" in einem Gebiet, in dem die Schifffahrt bereits frei ist, entkräftet. Doch "Freiheit" war nie das Thema.
In der Terminologie des Imperiums bedeutet "Freiheit", daß China gehorchen und das Südchinesische Meer für die US-Marine offen halten muß. Nun, das ist sicherlich möglich, aber man sollte sich benehmen. Das wird der Tag sein, an dem der US-Marine das Südchinesische Meer "verwehrt" wird. Man muß nicht Mahan heißen, um zu begreifen, daß dies das Ende der imperialen Herrschaft über die sieben Weltmeere bedeuten wird.
Quelle: https://www.zerohedge.com/geopolitical/escobar-heart-matter-south-china-sea
Quelle des Originals: https://asiatimes.com/2020/07/the-heart-of-the-matter-in-the-south-chinasea/ Pepe Escobar ist unabhängiger geopolitischer Analyst, Schriftsteller und Journalist.