Samstag, 22. August 2020

Coronavirus: Wollte Schweden von Anfang an "Herdenimmunität"?

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In Schweden kursierte lange das Gerücht, der Staat strebe eine "Herdenimmunität" an. Die Regierung stritt dies ab. Ein schwedischer Journalist hat nun E-Mails veröffentlicht, die Gegenteiliges beweisen. Das Virus sollte sich langsam in der Bevölkerung ausbreiten.
Der Umgang der schwedischen Regierung mit der Corona-Krise wurde in der ausländischen Presse als riskanter Sonderweg und Alleingang bezeichnet. Statt Verboten wird auf die Freiwilligkeit der Schweden gesetzt. Die sozialen Kontakte sollten die Menschen auf das Nötigste reduzieren, die Kinder spielen in den Kindergärten fast nur draußen, Menschen in Alters- und Pflegeheimen werden besonders geschützt.
Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell bei einer Pressekonferenz am 27.05.2020 in Stockholm.
Im Vergleich zur Bevölkerungszahl ist die Zahl der als Corona-Todesfälle Registrierten in Schweden sehr hoch. In dem skandinavischen Land mit rund zehn Millionen Einwohnern gelten circa 5.800 Menschen als Corona-Todesfälle. Diese Zahl ist in Relation zur Bevölkerungszahl Schwedens etwa fünfmal so hoch wie in Deutschland.
Am 14. März schrieb der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell an seinen finnischen Kollegen Mika Salminen und leitete die E-Mail eines pensionierten Arztes weiter. Darin empfahl dieser, gesunde Menschen sollten sich freiwillig in einer kontrollierten Umgebung mit dem neuartigen SARS-CoV-2 infizieren, damit sie Antikörper entwickeln und später nicht geimpft werden müssten. Die kontrollierte Ansteckung könnte in leeren Hotels geschehen. Die E-Mail wurde zu einem Zeitpunkt versandt, als Schweden weiterführende Schulen und Universitäten zur Vorsichtsmaßnahme in der Corona-Krise schloss. Tegnell schrieb in seiner E-Mail, dass man die Schulen für eine sogenannte Herdenimmunität offenlassen sollte.
Die E-Mails wurden vom schwedischen Journalisten Emanuel Karlsten publik gemacht. Salminen hielt nichts von der Idee. Man habe dies in Norwegen diskutiert, aber kam zu dem Ergebnis, dass eine Ansteckung Minderjähriger letztlich auch zu einer Ansteckung in anderen Teilen der Gesellschaft geführt hätte.
Menschen in Malmö genießen einen schönen Sonnentag und halten sich kaum an die von der Regierung empfohlenen Abstandsregeln (Bild vom 25. Juni).
Vor Tegnell war Annika Linde die staatliche Epidemiologin. Einen Tag vor den versandten E-Mails veröffentlichte sie einen langen Text auf Facebook, aus welchem hervorgeht, dass eine sogenannte Herdenimmunität in den Schulen ein guter Weg sei und das Gesundheitsamt Schwedens deshalb diesen Weg verfolge. Tegnell verneinte den Plan einer Ansteckung unter Schülern. Man plane stattdessen eine ruhige Ausbreitung, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Tegnell sagte in einem Kommentar: 
Es war (...) nie relevant, die Schulen offen zu halten, um Immunität zu erlangen. 
In der schwedischen Presse verwies Tegnell auf Großbritannien. Auch hier setze man auf die Herdenimmunität und auf die Isolation von Risikogruppen. Die Kurve könnte durch ein langsames "Durchsickern in der Bevölkerung" abgeflacht werden. 
In Schweden gibt es keine Maskenpflicht, auch nicht in den Schulen. Das Ende der Sommerferien bringt eine neue Debatte über den Normalbetrieb an den Schulen. Tegnell ist jedoch überzeugt, dass Kinder kein "Motor für die Pandemie" sind und hält am schwedischen Modell fest. Eine Maskenpflicht hält Tegnell aktuell für wenig sinnvoll. Andere Länder hätten gezeigt, dass Masken keinen Schutz bieten. Sie könnten "eine falsche Sicherheit bieten". Schweden verfolge die Strategie, "dass man zu Hause bleiben soll, wenn man krank ist, statt sich mit Maske hinauszubegeben".