Was USA Russlands Avantgarde-Systemen entgegensetzen können
US-Präsident Donald Trump hat vor einigen Tagen in seiner üblichen Show-Manier die neue Strategie zur weiteren Entwicklung des Raketenabwehrsystems vorgestellt, wie das Portal Zvezdaweekly berichtet.
Zunächst stieg der kommissarische Pentagon-Chef Patrick Shanahan mit musikalischer Begleitung auf die Bühne. Er sagte, dass die US-Administration über die wachsende Zahl der Länder besorgt sei, die über ballistische Raketen und Marschflugkörper verfügen und sich mit der Entwicklung von Hyperschall-Waffen befassen.
Dabei betonte er, dass die USA im Laufe von mehreren Jahrzehnten als angeblicher Anführer bei der Entwicklung von Hyperschallsystemen sich absichtlich der Nutzung dieser Waffen für militärische Zwecke enthielten – im Unterschied zu Russland und China.
Dann wandte er sich pathetisch an Moskau und Peking: „Wir sehen, was ihr da macht! Und wir handeln!“
Anschließend tauchte Vizepräsident Mike Pence auf der Bühne auf. Im Namen des Präsidenten sicherte er zu, dass die größte Priorität für Trump die Gewährleistung der Sicherheit der Einwohner des Landes sei. Pence nannte die Erneuerung der Raketenabwehrstrategie einen „weiteren entschlossenen Schritt bei der Gewährleistung der nationalen Sicherheit“. In Begleitung von lautstarkem Applaus betrat Donald Trump die Bühne. „Ihr reagiert nur so, weil ich den größten Militäretat in der Geschichte des Landes erreichte“, sagte Trump und verpasste nicht die Gelegenheit, sich selbst zu loben. Dann kündigte er eine neue Strategie zur Entwicklung des US-Raketenabwehrsystems an, das sich wohl kaum stark von der Star-Wars-Strategie von Ronald Reagan unterscheidet.
So versprach Trump unter anderem, dass das neue Raketenabwehrsystem der USA jede gegen die USA abgefeuerte Rakete werde abfangen können, darunter Hyperschall-Raketen.
In dem vom Pentagon verbreiteten 108-seitigen Dokument zur Entwicklung des Raketenabwehrsystems steht geschrieben, dass Washington fortan keine Einschränkungen für die Entwicklung und den Ausbau eigener Raketenabwehrmittel akzeptiere und sich die Aufgabe stelle, Mittel zur Ortung der Starts von „gegnerischen“ Raketen und künftig auch Abfangsysteme im Weltall zu stationieren.
Dass die USA keine Einschränkungen für ihr Raketenabwehrsystem akzeptieren, ist nicht neu. Die USA kündigten den russisch-amerikanischen ABM-Vertrag von 1972 auf, der einst als „Grundstein der strategischen Stabilität“ bezeichnet worden war, um sich Vorteile zu verschaffen und auf Grundlage der eigenen Unanfechtbarkeit Druck auf unerwünschte Staaten auszuüben, wobei wirtschaftliche, finanzielle, Handels- bzw. Militär-Zugeständnisse erreicht werden.
Allerdings brachten diese Anstrengungen den USA bislang keinen großen Erfolg. Weder Russland mit China noch die Außenseiter-Staaten wie der Iran und Nordkorea, wie die USA sie nennen, lassen sich von diesem Druck beeinflussen. Wie will Washington den Raketenprogrammen seiner potentiellen Gegner nun Widerstand leisten?
Das Star-Wars-Konzept auf Trumps Art sieht folgende Maßnahmen vor. Erstens will Trump die Zahl der bodengestützten Abfangraketen auf 104 erhöhen. Nach dem Stand zu Jahresbeginn sind 44 US-Abfangraketen in Silos (GBI-Raketen) auf den Stützpunkten Fort Greely (Alaska, 40 Raketen) und Vandenberg (Kalifornien, vier Raketen) stationiert.
Die neue Strategie sieht die Stationierung in Silo-Startanlagen in Alaska und in Kalifornien von weiteren 20 Abfangraketen in den kommenden vier Jahren vor. Bis spätestens 2023 sollen in Fort Greely zudem mehr als 40 Abfangraketen aufgestellt werden.
Außerdem soll die Errichtung eines neuen Stützpunktes auf dem Festland der USA die Stationierung von noch mehr Abfangraketen zur Abwehr von potentiellen Bedrohungen wie die Interkontinentalraketen des Irans ermöglichen. Wie aber Raketen mit einer Reichweite von maximal 2000 km die USA erreichen können, steht in dem Text nicht.
Laut Verfassern des Dokuments soll das Pentagon die vor kurzem stationierten bodengestützten Abfangraketen mit den neuesten Beschleunigungstriebwerken und moderneren Gefechtsköpfen ausstatten, die für das Abfangen außerhalb der Atmosphäre bestimmt sind.
Das heißt, dass die Abfangraketen, die auf den Zerstörern der Arleigh-Burke-Klasse stationiert sind und regelmäßig im Schwarzen Meer vorbeischauen, eine neue modernisierte Rakete SM-3 bekommen werden, die den USA zufolge die russischen Jars-Raketen abfangen können. Diese Raketen wollen die USA auch auf den Raketenabwehrstützpunkten in Rumänien und Polen stationieren sowie an die Nato-Verbündeten und Japan liefern.
Allerdings wurde noch nicht nachgewiesen, dass die Rakete SM-3 Block II imstande ist, russische Jars- bzw. Topol-M-Raketen abzufangen. Und das Abfangen der Rakete UR-100UNTTCh mit dem Hyperschallblock Avantgarde, die bereits in diesem Jahr in Jasny im Gebiet Orenburg seinen Dienst antreten wird, ist sogar theoretisch unmöglich. Das betrifft auch die Abfangrakete GBI.
© SPUTNIK / VERTEIDIGUNGSMINISTERIUM RUSSLANDS
Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Start der russischen ballistischen Interkontinentalraketen mithilfe der Satellitensensoren geortet werden kann, aber nichts mehr. Und das Abfangen des Gefechtskopfes, der mit der Hyperschallgeschwindigkeit von 27 Ma das Ziel anfliegt und seine Flugbahn ändert, ist reine Utopie.
Zudem wollen russische Raketenbauer nicht nur die Raketen UR-100UNTTCh, sondern auch die Sarmat-Raketen, die in Sibirien stationiert werden sollen, das nicht von der US-Raketenabwehr erfasst wird, ausrüsten. Darüber hinaus gibt es noch strategische Raketen auf Atom-U-Booten der Klasse Borej und Borej-M, von denen jedes mit 16 Bulawa-Raketen mit 16 unanfechtbaren Gefechtsköpfen ausgerüstet ist. Man hat wohl kaum ausreichend Anti-Raketen gegen diese Geschosse.
Warum so viele Details?
Der russische Präsident Wladimir Putin sagte offen, dass die Hyperschall-Systeme Avantgarde jedes Raketenabwehrsystem überwinden können.
Die Ausgaben für diese Raketenabwehrsysteme sind verbranntes Geld.
Warum beleben die Amerikaner die Idee einer umfassenden Raketenabwehr mit märchenhaften Möglichkeiten trotz der immensen Kosten wieder? Die Raketenabwehr ist für die USA eine Art Religion geworden, die die Idee der Ausschließlichkeit der USA und der Überlegenheit gegenüber anderen Ländern fördert. Das Streben nach Dominanz wurde ein unabdingbarer Teil von Pax Americana – Amerikas Mythos von der globalen Vorherrschaft.
Zugleich soll aber begriffen werden, dass ein neuer Rüstungswettlauf – die Ankündigung der neuen US-Raketenabwehrstrategie ist eine direkte Einladung zum Wettrüsten – sehr kostspielig ist. Russland kann nicht sinnlos einfach 750 Mrd. Dollar aus dem Fenster werfen. Wie die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigte, reichen 25 Mrd. Dollar pro Jahr aus, um jeden Star-Mythos zu unterdrücken.
Durch Trick und Tempo: Wie Russland den globalen Kräftestand ausgleicht
Bevor eine Interkontinentalrakete ihre Flugbahn erreicht hat, ist sie für gegnerische Abfangraketen eine relativ leichte Beute. Russlands Atomstreitmacht stellt bald Raketen in Dienst, die den Gegner auch in dieser Hinsicht übervorteilen können – durch Schnellstart, Hyperschall und unabsehbare Manöver. Bestehende Rüstungsabkommen bleiben bestehen.
Der große Wirkungsradius und die teilbaren, deshalb schwer abzuwehrenden Sprengköpfe machen die „Satans“ immer noch zu einer furchterregenden Waffe. Die SS-18 „Satan“ ist der Nato-Code für die russische Interkontinentalrakete R-36M „Wojewoda“. Gegen diesen ballistischen Flugkörper haben die USA ihr Raketenschild entwickelt, die Abwehrsysteme AEGIS und THAAD.
Inzwischen sind die „Satans“ aber in die Jahre gekommen. Seit drei Jahrzehnten befinden sie sich in den Startsilos der russischen Atomstreitkräfte in Gefechtsbereitschaft. In zwei Jahren sollen sie abgelöst werden: RS-28 „Sarmat“ heißt der ebenfalls silogestützte Nachfolger mit interkontinentaler Reichweite.
Eine der Stärken der „Sarmat“ ist der Schnellstart. Das heißt, die schwere Interkontinentalrakete kann innerhalb kürzester Zeit ihre Flugbahn erreichen und Kurs auf den Zielpunkt nehmen (gerade während dieser aktiven Flugphase ist die Rakete sehr verwundbar). Auch ist die Anflugzeit der Gefechtsköpfe auf das Ziel drastisch verkürzt worden. Zudem können die Sprengköpfe im Zielanflug mit Hyperschallgeschwindigkeit manövrieren.Wegen dieser Eigenschaften könne die Flug- und Raketenabwehr des Gegners die Gefechtsköpfe der „Sarmat“ weder erfassen noch abschießen, sagt der Militärexperte Alexej Leonkow. „Die Reichweite von Sarmat beträgt circa 18.000 Kilometer. Die Rakete kann also jeden Punkt auf der Welt sowohl über den Nord- als auch über den Südpol anfliegen. Sarmat vernichtet jedes Ziel, wo auch immer es ist. Keine Raketenabwehr wird sie aufhalten können.“ Es ist deshalb fraglich, ob der US-Raketenschild nach der Indienststellung von „Sarmat“ noch etwas taugen wird.
Die neue Interkontinentalrakete kann mit zweierlei Gefechtsköpfen bestückt werden: Entweder 15 Stück mit einer Sprengkraft von 450 Kilotonnen oder 10 Stück à 750 Kilotonnen, je nach Einsatzziel.
Künstlicher Meteorit
Ein Jahr vor „Sarmat“, also schon 2019, bekommen die russischen Streitkräfte den Raumgleiter „Avantgard“. Das Fluggerät wird mit einer ballistischen Rakete in den erdnahen Orbit gebracht und nimmt von dort aus Kurs auf das Ziel. Mit bis zu 20-facher Schallgeschwindigkeit rast der Raumgleiter auf den Zielort zu – auf einer für die Flug- und Raketenabwehr unberechenbaren Bahn.
„Wegen der gigantischen Reibung entsteht eine Plasma-Wolke um das Fluggerät herum“, erklärt der Experte Leonkow. „Die Entwickler haben Enormes geleistet, bei der Erstellung der Werkstoffe für den Rumpf, beim Schutz der Elektronik. Der Raumgleiter ist im Grunde ein Meteorit, den kein Abfangsystem auf der Welt abschießen kann.“
Der Raumgleiter ist so ausgelegt, dass er einen atomaren Gefechtskopf der Megatonnen-Klasse aufnehmen kann – zur Bekämpfung von Zielen im tiefen Hinterland des Gegners. Dabei ist das Gerät universell einsetzbar, kann ebenso aus einem Silo heraus gestartet werden wie von einer mobilen land- oder seegestützten Plattform.
Die Zeit drängt
Die kommende Modernisierung der strategischen Kräfte der russischen Streitmacht ist ein erforderlicher Schritt, um das globale Kräfteverhältnis wiederherzustellen. Denn die Vereinigten Staaten entwickeln ihre Atomstreitkräfte seit den 2000er Jahren gemäß der Strategie des Prompt Global Strike, eines globalen Blitzschlags. Zugleich bauen die USA ihr Raketenabfangsystem immer weiter aus. Die Amerikaner gehen sogar soweit, Maßnahmen zur Zerstörung des INF-Vertrags zu ergreifen. Dadurch werden die Atomächte in die 1950er Jahre zurückgeworfen, als es überhaupt keine Absprachen zu Rüstungsvorhaben gab.Die Zeit drängt also: „Die neuen schweren Interkontinentalraketen werden bereits bei Anbruch der 2020er Jahre benötigt“, mahnt Peter Below, ein hochrangiger Veteran der russischen Atomstreitkräfte.
„Sollte die russische Rüstungsindustrie die gesetzten Fristen aus irgendeinem Grund nicht einhalten, fallen wir in ein Loch, in dem wir absolut schutzlos sein werden.“ Seiner Ansicht nach bleiben die silogestützten Interkontinentalraketen das beste Mittel der atomaren Abschreckung: „Sie sind größtenteils tief im Landesinneren stationiert. Entsprechend schwerer ist es, sie abzufangen – im Vergleich zu luft- oder seegestützten Raketen“, erklärt der Fachmann.
Was internationale Abkommen betrifft, so hält Russland alle ein: den Atomwaffensperrvertrag, das Atomteststoppabkommen und das New-START-Abkommen. Russland ersetzt einfach alte Interkontinentalraketen durch neue, die Zahl der Trägersysteme bleibt dabei gleich.