Mittwoch, 2. Januar 2019

Russlands neue außenpolitische Strategie

Es gibt keine „Achse des Bösen“
2.12.2016
Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bleibt das wichtigste Integrationsprojekt für die Russische Föderation.
Tagung der gemeinsamen Parlamentskommission der GUS-Staaten am 24. November 2016 in Sankt Petersburg.
Die Russische Föderation hat ihr außenpolitisches Konzept erneuert. Die Aktualisierung sollte neue Antworten auf die Konflikte der letzten Jahre geben. Vor allem soll deutlich werden: Russische Außenpolitik bleibt kontinuierlich und voraussehbar.
In seiner Ansprache vom 1. Dezember an die Föderale Versammlung umriss der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, nur kurz die aktuellen Fragen zur Außenpolitik. Parallel zu seiner Rede veröffentlichte jedoch das Portal kremlin.ru ein neues Konzept zur russischen Außenpolitik, welches ergänzend zu den Inhalten der Ansprache publikgemacht wurde. Das vom Präsidenten unterschriebene und auf dem Wege eines Erlasses in Kraft gesetzte, 36-seitige Dokument formuliert den außenpolitischen Ansatz der Russischen Föderation für die nächsten Jahre.
Das neue Konzept löst das vorhergehende ab, das seit März 2013 gegolten hatte. Dreieinhalb Jahre sind eigentlich eine kurze Zeit, um eigene Außenpolitik zu überdenken. Doch aus heutiger Sicht erscheint der März 2013 als eine ferne Zeit. Seit dieser Zeit ist so viel in den Beziehungen Russlands zu anderen Staaten passiert wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Seit April dieses Jahres war deshalb ein Expertengremium mit der Neufassung des strategischen Dokuments betraut.
Dabei steht nicht viel Neues in dem Papier. In den Interviews, in den Waldai-Reden der letzten Jahre, den Jahresbotschaften an die Nationalversammlung sowie in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung hatte der russische Präsident bereits ausführlich seine Sicht der Dinge in der Weltpolitik erläutert. Der außenpolitische Sprecher des Oberhauses des russischen Parlaments, Konstantin Kossatchjow, wies auf die Kontinuität als Erkennungszeichen russischer Politik hin:
Ich kann nur vor der Suche nach irgendwelchen revolutionären Neuerungen im neuen Konzept warnen. Es lohnt sich vielmehr, nochmals darauf hinzuweisen, dass Russland sich als konsequenter und berechenbarer Partner erweist, der als Partner und Weltmacht besonderen Wert auf Kontinuität setzt.
Auch zu den am schärften diskutierten geopolitischen Fragen findet man deshalb auch die gewohnte Mischung aus Entschlossenheit und Friedensangeboten. Das Papier bietet allerdings die Möglichkeit, die Grundsätze russischer Außenpolitik in Bezug auf die russischen Interessen in konkreten geografischen Gebieten einzuordnen.
Demnach baut Russland seine Außenpolitik auf folgenden Prämissen auf:
In der Welt agieren gleichberechtigte souveräne Staaten als unangefochtene Subjekte des internationalen Rechts.
Deren Beziehungen regelt die UNO auf der Grundlage des Völkerrechts, das von allen Staaten unabhängig von ihrer Große und ihrem Einfluss eingehalten werden muss. Das internationale Rechtssystem soll weiter ausgebaut und gestärkt werden.
Die Staaten können sich in Bündnissen und Intergrationsprojekten organisieren, es dürfen jedoch keine Blockbildungen stattfinden.
Es gilt das gleiche Recht aller auf Sicherheit. Daher ist Russland an einer umfassenden, inklusiven Sicherheitsarchitektur interessiert. Es gilt das Prinzip „mit“ statt „gegen“.
Das Prinzip der Nichteinmischung hat nach wie vor die oberste Priorität. Das Prinzip der Schutzverantwortung, auf Grund dessen zuletzt die westlichen Staaten in Libyen interveniert hatten, weist Russland entschieden zurück.
Es gilt nach wie vor die Nachkriegsordnung von Jalta und Potsdam.
Der internationale Terrorismus ist die größte Gefahr und der gemeinsame Kampf gegen diesen, auch im Verbund mit westlichen Staaten, hat die oberste Priorität.
Auf der Basis dieser Prinzipien vertritt die Russische Föderation ihre Interessen in der ganzen Welt und ist nahezu in allen Regionen aktiv.
Eine besondere strategische Bedeutung liegt jedoch bei den Ländern der GUS, im eurasischen Raum und der Arktis sowie Ländern wie China oder Indien.
Eine volle Seite in dem Papier ist dem Ausbau der Beziehungen zu den GUS-Staaten gewidmet – zu diesen gehören neben Russland selbst noch Weißrussland, Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und die noch nicht ausgeschiedene Ukraine.
Russland soll in Zukunft auch verstärkt die Interesse seiner Landsleute, der Russischsprachigen und sonstiger Menschen mit russischer Identität vertreten.
Das Dokument hebt auch die Bedeutung der so genannten Soft Power für das Auftreten Russlands im Ausland hervor.
Besondere Bedeutung kommt dabei russischen Informationsdiensten zu, die russische Positionen für ein ausländisches Publikum plausibel erklären.
Der etwas kontroverse Begriff „multipolar“ kommt im neuen Strategiepapier nicht mehr vor. Stattdessen wird die Weltordnung, die sich zunehmend abzeichnet, als „polyzentral“ bezeichnet. Aber auch diese Bezeichnung soll kein Dogma darstellen. Russland lässt sich auf kein starres Modell festnageln.
Flexibel untereinander agierende, sich überschneidende regionale und überregionale Zentren und Staatenbünde sollen das auf Dominanz und Willkür basierende Modell der unipolaren Weltordnung endgültig ins Abseits befördern.
Interessant und diskussionswürdig ist in diesem Zusammenhang das russische Verhältnis zu den Westmächten. Noch einmal machte der Kreml deutlich, welches Verhalten aus seiner Sicht inakzeptabel ist. So sieht Russland ein US-Raketenabwehrsystem als Bedrohung für eigene Sicherheit und behält sich das Recht auf Gegenmaßnahmen vor. Der Druck, den die USA und westliche Staaten auf Russland auf allen Kanälen ausüben, unterminiere nicht nur die regionale, sondern auch die internationale Stabilität.
Führende Politiker und außenpolitische Experte verdeutlichen jedoch auch konstruktive Aspekte in dem Papier, in dem es beispielsweise heißt:
Ich möchte noch einmal betonen, dass Russland kein einziges Land als „Bedrohung für die Weltgemeinschaft“ brandmarkt und es zum Teil einer wie auch immer gearteten „Achse des Bösen“ betrachtet.
Im Gegenteil, wir sind offen für die Zusammenarbeit bezüglich aller Schlüsselprobleme der Gegenwart, aber eben nur auf Basis der Partnerschaft, des gleichberechtigten und auf gegenseitigem Respekt beruhenden Dialogs“, kommentierte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Duma, Leonid Slytzki, das neue Strategiedokument.
Alexei Fenenko von der Moskauer Staatlichen Universität betont wiederum, dass das Dokument genug Potenzial für eine Interaktion mit den USA beinhaltet und Russland keine feindselige Position gegenüber dem Westen einnimmt.
Entgegen Spekulationen, wonach Russland die EU zerfallen sehen möchte, sei Russland am Erhalt der EU interessiert.Es steht hier Schwarz auf Weiß: Wir haben kein Interesse an einem Zerfall. Dabei wird der Aufbau von Beziehungen mit allen Ländern der EU betont. Es gibt also keinen Grund für Behauptung, die Sanktionen machten aus Russland und EU Feinde. Und das ist nicht einmal abzusehen,“ sagte der Expert gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Novosti.
Russland wolle aktiv an der Schaffung einer „gerechten und stabilen“ Weltordnung mit einem von allen akzeptierten Regulierungsinstrument in Form der UNO mitarbeiten. Das eigene Rezept eines zivilisierten Zusammenlebens innerhalb einer 190 ethnische und religiöse Gruppen umfassenden Vielvölkerföderation könne Russland gerne für die Lösung internationaler Konfliktsituationen zur Verfügung stehen, heißt es unter anderem in dem Strategiepapier.
https://deutsch.rt.com/international/43867-russlands-aussenpolitisches-konzept-achse-bosen/