Samstag, 16. März 2019
Der neue Systemkonflikt
02.11.2018
BERLIN/BEIJING/WASHINGTON (Eigener Bericht) - Führende Kreise der deutschen Wirtschaft dringen auf mehr ökonomische Distanz gegenüber China.
Das Land, größter Handelspartner und drittgrößter Investitions standort deutscher Unternehmen überhaupt, sei zwar "ein dynamischer Markt", stehe allerdings gleichzeitig in einem "Systemwettbewerb" mit dem Westen, heißt es in einem aktuellen Papier aus dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Es komme deshalb darauf an, "bestehende Abhängigkeiten" von der Volksrepublik "zu minimieren".
Der BDI äußert das zu einer Zeit, zu der Washington seinen Wirtschaftskrieg gegen Beijing verschärft und deutsche Unternehmer die Befürchtung äußern, die Trump-Administration könne von ihnen - wie im Falle der Iran-Sanktionen - einen schrittweisen Rückzug aus China fordern. Am heutigen Freitag treiben Unternehmer und Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf einer Wirtschaftskonferenz in Jakarta die Suche nach alternativen Standorten in Südostasien voran. Ein prominenter US-Militär erklärt derweil einen Krieg gegen China in spätestens 15 Jahren für wahrscheinlich.
Aus China nach Südostasien
Mit der diesjährigen Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft, die am gestrigen Donnerstag begonnen hat und bis zum morgigen Samstag andauert, setzen maßgebliche deutsche Wirtschaftskreise und die Bundesregierung ihre Bemühungen um den Ausbau ihrer Präsenz in Ost- und Südostasien fort. Erst Mitte Oktober hatten Berlin und die EU auf einem Europa-Asien-Gipfel ("ASEM-Gipfel") in Brüssel an der Intensivierung der Beziehungen vor allem zu den Ländern Südostasiens gearbeitet. Am Rande des Treffens wurde ein Freihandelsabkommen mit Singapur unterzeichnet, während ein zweites mit Vietnam kurz vor dem Abschluss steht. Weitere sollen nach dem Willen der EU rasch folgen, darunter eines mit Indonesien, in dessen Hauptstadt Jakarta Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gestern Gespräche führte.[1] Das Freihandelsabkommen mit Japan wiederum - dort hielt sich Altmaier vor seinem Eintreffen in Indonesien auf - soll noch dieses Jahr ratifiziert werden; ein Abkommen mit Südkorea ist schon seit Jahren in Kraft. Die Verträge sollen, ebenso wie die Asien-Pazifik-Konferenz, die vom Bundeswirtschaftsministerium gemeinsam mit dem Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft [2] getragen wird, dem deutschen Handel mit den Ländern Ost- und Südostasiens weiteren Schwung verleihen.
Alternative Standorte
Die aktuelle Fokussierung der deutschen Wirtschaftsförderung auf Südostasien und Japan hat mehrere Ursachen. Zum einen verschieben sich in Ost- und Südostasien bereits seit geraumer Zeit die industriellen Verhältnisse.
Weil in China die Löhne steigen und das Land in wachsendem Maß auf High-Tech-Produktion setzt, verlagert sich die Herstellung arbeitsintensiver Waren - etwa im Textilbereich - zunehmend nach Südostasien, wo die Einkommen noch deutlich niedriger sind. Davon profitieren insbesondere Vietnam, aber auch Thailand, Malaysia, Indonesien, Kambodscha und Myanmar. Hinzu kommt, dass in China wegen des rapiden Erstarkens der einheimischen Industrie die Konkurrenz nicht nur um Absatzchancen, sondern auch um qualifiziertes Arbeitspersonal rasch wächst. "Deutsche Unternehmen schauen sich zunehmend nach alternativen asiatischen Standorten außerhalb Chinas um", wird Jan Rönnfeld, Geschäftsführer der Deutsch-Indonesischen Industrie- und Handelskammer in Jakarta, zitiert. "Diese Entwicklung findet schon länger statt", erläutert Rönnfeld; sie "wird jetzt allerdings durch den Handelskrieg zwischen China und den USA zusätzlich verstärkt".[3] Tatsächlich gehen inzwischen sogar chinesische Konzerne dazu über, ihr Geschäft mit den Vereinigten Staaten über Standorte in Südostasien abzuwickeln: Damit sollen Strafzölle vermieden werden.
"Abhängigkeiten minimieren"
Zu den unterschiedlichen lang- und kurzfristigen Motiven für die Fokussierung auf Südostasien kommt jetzt möglicherweise eine weitreichende Neuorientierung in führenden Wirtschaftskreisen hinzu. Dies belegt der Entwurf zu einem Positionspapier des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), in dem der Verband dazu aufruft, die derzeitige Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China, ihrem größten Handelspartner und drittgrößten Investitionsstandort überhaupt, strategisch zu reduzieren.
"China bleibt auf absehbare Zeit ein dynamisch wachsender Markt, Treiber in der Weltwirtschaft und für die deutsche Industrie wesentlicher Absatz- und Beschaffungsmarkt", heißt es in dem Papier:
Gleichzeitig bestehe aber "zwischen unserem Modell der offenen Marktwirtschaft und Chinas staatlich gelenkter Wirtschaft ... ein Systemwettbewerb". "Trotz der starken Anziehungskraft des chinesischen Marktes" werde es daher für deutsche Unternehmen "immer wichtiger, die Risiken eines Engagements in China genau zu untersuchen", heißt es weiter: Es komme darauf an, eine "bestehende Abhängigkeit gegebenenfalls durch eine Diversifizierung von Lieferketten, Produktionsstandorten und Absatzmärkten zu minimieren".[4] Der BDI erklärt zwar, die Erstellung des Positionspapiers befinde sich noch "in einem frühen Stadium". Mit der Veröffentlichung einiger richtungsweisender Zitate greift er jedoch steuernd in die aktuelle Debatte ein.
"Die größte Macht"
Dies ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil in Wirtschaftskreisen die Befürchtung kursiert, die Handelsaggressionen der Trump-Administration gegen China und die beginnenden Sanktionen gegen die Volksrepublik könnten in absehbarer Zeit auch deutsche Unternehmen treffen. Erst vor wenigen Tagen haben US-Regierungsmitarbeiter verbreiten lassen, Washington könne in Kürze Strafzölle, wie sie bislang auf Lieferungen aus der Volksrepublik im Wert von 250 Milliarden US-Dollar verhängt wurden, auf sämtliche Einfuhren aus China ausweiten. Dabei geht es um Importe im Wert von weiteren rund 250 Milliarden US-Dollar Zusätzlich hat die US-Administration Geschäfte mit dem chinesischen Halbleiterhersteller Fujian Jinhua harten Restriktionen ausgesetzt, die faktisch auf ein Handelsverbot hinauslaufen.[6] Bereits kürzlich hatte der US-Präsident gegen eine Abteilung des chinesischen Verteidigungsministeriums Sanktionen verhängt, weil Beijing Waffen in Russland kauft.
Washingtons eskalierender Wirtschaftskrieg gegen China lässt deutsche Unternehmer befürchten, die Trump-Administration könne - nach dem Vorbild ihres Vorgehens gegen Iran - nun auch von deutschen Firmen die Übernahme US-amerikanischer Strafmaßnahmen gegen die Volksrepublik verlangen. Hubert Lienhard, scheidender Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, hat jetzt ausdrücklich erklärt, er halte das für "möglich": "Manchmal haben wir vergessen", äußert Lienhard, "dass Amerika die größte Wirtschafts- und die größte Militärmacht ist".
"Wahrscheinlich Krieg"
Tatsächlich gehen manche US-Insider inzwischen davon aus, dass die Vereinigten Staaten ihre Aggressionen gegen China weiter verschärfen werden - den Wirtschaftskrieg ohnehin, aber nicht nur ihn.
Das Verhältnis zwischen Washington und Beijing entwickle sich "zu einer immer stärker angespannten Beziehung" und sei von "zunehmender Konkurrenz" in allen Bereichen geprägt, urteilte Generalleutnant a.D. Frederick "Ben" Hodges, von Ende 2014 bis Ende 2017 Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa, unlängst auf einer prominent besetzten Tagung zur Außen- und Militärpolitik in Warschau.
Die europäischen Staaten müssten sich nun endlich militärisch noch umfassender gegen Russland in Stellung bringen, weil die USA sich jetzt auf die Pazifikregion fokussieren würden, "um sich mit der chinesischen Bedrohung zu befassen", sagte Hodges: "Ich denke, in 15 Jahren - das ist nicht unvermeidlich, aber es gibt eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir uns mit China im Krieg befinden werden."[8]
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7771/