Freitag, 15. März 2019

Neue Weltordnung: „China macht das leise, Russland macht das laut“


06.03.2019
Armin Siebert

Bei einer hochkarätigen Veranstaltung in Berlin erörterten am Dienstag drei Politologen die „Neue Weltordnung“. Star des Abends war der Nahost-Experte Michael Lüders. Auch das Publikum war prominent besetzt. Einig waren sich die Experten im Niedergang der USA. Und ohne Russland und China wird nichts gehen in Zukunft.

„Sie erkennen nicht, dass die USA eine Weltmacht im Niedergang sind, die sich einem Dialog auf Augenhöhe mit Russland und China verweigert und stattdessen auf ‚Druck‘ setzt, um verlorenen Einfluss wettzumachen, ganz unabhängig von Trump.“

Dem musste sogar Moderator Josef Braml, der sich als „bekennender Transatlantiker“ bezeichnet, zustimmen. Er räumte ein, „Europa zahlt einen Tribut an die USA als Schutzmacht“. Im Weiteren hielt sich Braml aber zurück und überließ Lüders und Rahr die Bühne.

Rahr, der quasi die russische Sicht auf die Welt aufzeigen sollte, obwohl er in Deutschland lebt und hier sozialisiert wurde, warnte: „Wenn Europa Russland nicht einbinden will, wird sich Russland enger an China binden.“

Selbst Angela Merkel hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz davor gewarnt, Russland „in die Arme Chinas“ zu treiben. Dies würden selbst amerikanische Strategen inzwischen „mit Entsetzen feststellen“, ergänzte Braml.

Neue Multipolarität – „China macht das leise, Russland macht das laut“

Großes Stichwort des Abends war die „Multipolarität“. Damit ist gemeint, dass inzwischen mehrere starke Machtzentren auf der Welt entstehen, während es früher mit den USA eine dominierende Weltmacht gab.

Lüders versuchte, den Beginn der „neuen Weltordnung“ zeitlich einzuordnen. Er meinte, die USA seien nach dem Mauerfall  das „letzte verbliebene Imperium“ gewesen. Der Anfang vom schleichenden Ende der Dominanz der Vereinigten Staaten wurde, laut Lüders, mit dem zweiten Irak-Krieg 2003, bei dem die USA „ihre Macht überdehnten“, und mit der Banken- und Finanzkrise 2008 eingeleitet. Parallel dazu sind Russland und China stärker geworden.

Alexander Rahr skizzierte die derzeitige Lage folgendermaßen:

„Wir gehen in eine Welt der Multipolarität und das verunsichert uns. Wir glauben, dass wir die Welt ohne die USA nicht ordnen können. Russland und China sprechen sich seit Jahren für eine neue multipolare Weltordnung aus. China macht das leise, Russland macht das laut.“

Rahr, der beim Gipfel von Präsident Putin mit  Trump im vergangenen Jahr in Helsinki dabei war, meinte, dass der amerikanische Präsident eigentlich auch „mit Russland und China Deals machen“ will. Allerdings wurden Trump spätestens nach dem Helsinki-Gipfel vom amerikanischen Senat „die Hände gebunden“, damit er sich nicht noch mehr an Russland annähert.

„Wertegemeinschaft“ gegen „Barbaren“

Russland hätte sich seit Jahren auf höchster Ebene dem Westen als Partner angeboten. Das war schon so, als Putin Präsident Bush nach dem 11. September eine Anti-Terror-Allianz anbot. Oder als der russische Präsident 2010 einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis nach Lissabon vorschlug. Der Westen hat Russland als „Regionalmacht“ nicht mehr ernst genommen. Rahr meinte, das größte Problem sei die überhebliche Moral des Westens als „Wertegemeinschaft“. Alle anderen seien dagegen „Barbaren“. Das lassen sich immer weniger Länder außerhalb dieser selbsternannten Gemeinschaft sagen, so Rahr.

Nahost-Experte Michael Lüders ergänzte, es gäbe auch eine riesengroße Kluft zwischen der Selbstwahrnehmung der Akteure in Politik und Medien im Westen und deren Wahrnehmung von außen her.

„Wenn man sich mit Menschen im Nahen Osten, sei es in Libyen, in Jemen, in Syrien oder im Libanon unterhält, also Länder, die Erfahrungen machen mussten mit westlich geprägter Politik, die in ihrer Heimat einen Scherbenhaufen hinterließ, und wenn man diesen Menschen dann etwas von den westlichen Werten, von Demokratie, erzählt, dann verstehen die sehr genau, dass das nur eine Kodierung ist, um die Durchsetzung eigener imperialer Interessen zu meinen. Die Menschen dort haben die Folgen dieser Politik zu tragen. Wir gehören zu den zehn Prozent, denen es am besten auf der Welt geht. Daher diese große Kluft in der Wahrnehmung.“...

Eine überraschende Wortmeldung kam von Thomas Nehls, jahrzehntelang Chefkorrespondent für WDR und ARD, unter anderem in New York. Er fragte:

„Wie kriegt man hin, dass dieses Zweierlei Maß aufhört, dass wir auf Russland eindreschen wegen der Annexion der Krim, aber die USA, die einen auf Lügen aufgebauten Krieg im Irak ausgelöst haben, oder Israel, das jeden Tag völkerrechtswidrig auf die Palästinenser eindrischt, davonkommen? Wir haben vielleicht keine ‚Lügenpresse‘, aber eine ‚Lückenpresse‘ in Deutschland. Wie kriegt man dieses Zweierlei Maß bereinigt?“

Lüders, der sich gewöhnlich durch eine bescheidene, sachliche Art auszeichnet, wurde bei seiner Antwort etwas salopper und emotionaler:

„Es gibt beim Thema Russland eine gewisse Bereitschaft zu einer ‚Denunziation‘. Dann ist man schnell ein ‚Putinversteher‘. Wenn man dagegen die politisch korrekte Meinung vertritt, wie sie in Washington oder bei der Nato in Brüssel formuliert wird, dann ist man in den Denkfabriken und Leitmedien ein gern gesehener Gast, ohne jemals vorgeworfen zu bekommen, man sei ein ‚Amerika-Versteher‘ und wenn, dann wäre dies positiv besetzt.

Vielleicht müssen wir, die Öffentlichkeit, lernen, mit größerem Nachdruck von den Medien und den Politikern zu verlangen, ihr eigenes Denken zu hinterfragen. Es kann doch nicht sein, dass es völlig egal ist, ob man die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche oder den Spiegel lese und sich in Sachen Russland alle darin einig sind, dass das Böse hier einen Namen und eine Heimat hat. Und Selbstkritik in Bezug auf westliche Politik ist so gut wie nie gegeben.“

Darauf gab es den größten Applaus des Abends.

Diesen Gedanken griff daraufhin die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen auf, die anmerkte, dass durchaus Hoffnung bestehe, da Umfragen eine gegenteilige Meinung in der Bevölkerung bestätigen:

„Über 90 Prozent der Menschen in Deutschland wünschen sich bessere Beziehungen zu Russland. Selbst Umfragen der Atlantic Brücke kommen zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Bevölkerung in den USA die größte Bedrohung für den Weltfrieden sieht. Die deutsche Bevölkerung ist nachweislich weiser als die politische und mediale Elite.“

Alexander Rahr ergänzte: „Unsere Eliten sind ja alle transatlantisch geprägt. Es gibt kaum einen Journalisten oder Politiker, der nicht durch die amerikanische Schule gelaufen ist. Das zu verändern, wird sehr schwierig in dieser Generation.“

Die EU sollte beim Thema Iran mehr Rückgrat zeigen

Nahost-Experte Lüders kam in der abschließenden Fragerunde doch noch auf Syrien und den Iran zu sprechen, obwohl dies nicht das eigentliche Thema dieses Abends war.

Das Ziel der Amerikaner im Iran sei ein Regime-Wechsel, meinte Lüders. Dafür gebe es klassisch drei Möglichkeiten: wirtschaftlicher Druck durch Sanktionen, der das Land von innen implodieren lasse soll, durch die Unterstützung von Widerstandsbewegungen und Terroristen im Land oder,  wenn das alles nicht hilft, durch direkten Krieg...

In Syrien spiele sich ein klassischer Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland und Israels gegen den Iran ab, meinte Lüders.

Dabei verhalte sich der Iran durchaus klug, dass er bei den Tausenden israelischer Luftangriffe nicht zurückgeschossen habe. „Das Interessante ist, dass Russland und der Iran die Realitäten in Syrien viel realistischer eingeschätzt haben. Sie handeln rational und lassen sich nicht provozieren“, so Lüders.

Uns im Westen würde der Krieg in Syrien als „verzweifelter Befreiungskampf der Bevölkerung Syriens gegen den Unterdrücker Assad“ verkauft, meinte der Nahost-Experte. Das Schema sei immer gleich, auch jetzt in Venezuela, so Lüders.

Er ergänzte:

„Die USA und ihre Verbündeten aus Europa und den Golfstaaten haben diesen Krieg gegen Russland und den Iran und im Hintergrund China eindeutig verloren.

Das wollen sie aber nicht einsehen und versuchen immer noch, das Rad irgendwie rumzureißen. Dabei haben die Europäer überhaupt keine Peilung, was da in Syrien tatsächlich passiert, und haben noch immer die Vorstellung von – Regimewechsel, Zivilgesellschaft stärken, und am Ende weht die Regenbogenflagge über Damaskus …
https://de.sputniknews.com/politik/20190306324219948-russland-china-neue-weltordnung/