5.05.2019
Quelle: AFP
Flaggen der USA und China beim Treffen von US-Außenminister Mike Pompeo und Chinas Außenminister Wang Yi am 23. Mai 2018 in Washington DC.
Die USA sehen in China nicht nur eine Bedrohung für ihre eigene weltweilte militärische Dominanz, sondern auch für ihre ökonomische Vorherrschaft. Zwei chinesische Projekte sind hierbei zentral: Die Modernisierung des Militärs und die "Neue Seidenstraße".
von Darius Shahtahmasebi
Es gibt einen Grund, warum China der Gegner Nummer eins ist, wenn es um die außenpolitische Agenda der Trump-Administration geht. Es gibt auch einen Grund, warum jedes andere Land, das Trump im Auge hat, eine enge Beziehung zu Peking hat.
China als militärische Bedrohung
Laut einem kürzlich erschienenen Untersuchungsbericht von Reuters hat Chinas Führer Xi Jinping "die People's Liberation Army [PLA] in eine Truppe umgestaltet, die dabei ist, die Lücke zur US-Schlagkraft schnell zu schließen – und sie in einigen wichtigen Bereichen bereits übertroffen hat". Viele US-Militärs, offizielle Berichte und Politiker schlagen ebenso Alarm. Erst kürzlich warnte der US-Navy Admiral Philip Davidson, Kommandant des US-Indo-Pacific Command, den Verteidigungsauschuss des US-Senats, dass China eine breite Palette von leistungsfähigen Waffensystemen entwickelt, die die Interessen der USA im Pazifikraum bedrohen können. Davidson ging sogar so weit, die PLA als "größte Bedrohung für die Interessen der USA, der US-Bürger und unserer Verbündeten" einzustufen.
Es ist erstaunlich, dass das US-Militär, das im Südchinesischen Meer präsent ist und die engsten Verbündeten Chinas sowie China selbst mit seinen Militärbasen umzingelt hat, von einem Land bedroht wird, das dies nicht mit einer gleichwertigen Form der Aggression erwidert hat. Noch erstaunlicher ist die Vorstellung, dass die amerikanischen Bürger in einem solchen Szenario genauso bedroht sein könnten. (Vielleicht sagt aber auch die Tatsache, dass Chinas PLA die größte Bedrohung für US-Bürger ist, viel darüber aus, wie wenig die Bürger der USA in Wirklichkeit von einer anderen Weltmacht, oder etwa einer terroristischen Gruppe, bedroht sind).
Andererseits haben die USA derzeit nur 44 am Boden stationierte Abfangjäger, um das US-amerikanische Festland in Fort Greely, Alaska (und Berichten zufolge auch in Kalifornien) zu schützen. Die Beamten des Pentagons haben lange vermutet, dass diese Verteidigung zu schwach ist, um einer substanziellen Attacke auf das Festland der USA durch Chinas wachsende Militärmacht tatsächlich entgegenzuwirken. Das Pentagon hat öffentlich bekannt gegeben, dass von den 18 Tests, die für dieses System durchgeführt wurden, acht versagt haben. Washington kann Länder von allen Seiten angreifen, aber die Chancen stehen schlecht, wenn es um den Schutz des Festlandes der USA vor ernstzunehmenden Kräften einer gegnerischen Armee, Luftwaffe und Marine geht.
China ist derart zu einer wahrgenommenen Bedrohung für Washingtons Kriegsmaschine geworden, dass sich eine der großen und wichtigsten Übungen der US-Armee im Pazifikraum nun verlagert hat: von der Konzentration auf die koreanische Halbinsel hin zu China-Szenarien im Süden und vielleicht sogar im Ostchinesischen Meer. Aber man sollte nicht erwarten, dass dies eine Schlagzeile in den Mainstream-Medien ist oder etwa in den Abendnachrichten in irgendeiner sinnvollen Art und Weise darüber gesprochen wird.
Während ich das hier schreibe, führt China ein neues Kriegsschiff mit selbst entwickelten Lenkflugkörpern vor. Eine Parade, an die sich Historiker vielleicht eines Tages derart erinnern werden, dass sie eine neue Ära in der Weltpolitik markierte.
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Die wahre Bedrohung, die von China ausgeht
Wenn Sie die oben genannten Formulierungen von Davidson noch einmal durchgehen, bezeichnete er China als "größte Bedrohung für die US-Interessen", die nicht unbedingt einer tatsächlichen militärischen Bedrohung entspricht. Eine Bedrohung der "Interessen" der USA bezieht sich fast immer auf ein wirtschaftliches Interesse. Die Bedrohung wird erst dann militärisch, wenn die USA entscheiden, dass sie gegen dieses Land mit dem US-Militär vorgehen müssen. Wenn sie also auf rohe Gewalt setzen, nur um andere Nationen davon abzuhalten, Positionen einzunehmen, die die Wirtschaft der USA schwächen.
Ende April trafen sich in Peking Vertreter von 150 Nationen zum zweiten "Neue Seidenstraße"-Forum ("Belt-and-Road Initiative") von Präsident Xi. Darunter waren führende Persönlichkeiten aus rund 40 Ländern und alle Staatsoberhäupter oder Regierungschefs der zehn ASEAN-Staaten. Für sein Projekt "Neue Seidenstraße" hat China bis heute 173 Kooperationsvereinbarungen mit 125 Ländern und 29 internationalen Organisationen unterzeichnet.
China hat bisher in den Jahren 2013 bis 2018 über 90 Milliarden US-Dollar in diese Länder investiert, wobei das durchschnittliche jährliche Wachstum derzeit bei 5,2 Prozent liegt. Ebenso wurden 40 Milliarden US-Dollar aus diesen Staaten der "Neuen Seidenstraße" zurück nach China investiert, wobei der gesamte Handel in beiden Richtungen ein Volumen von bis zu sechs Billionen US-Dollar erreichte.
Im März 2019 hat sich Italien als erstes G7-Land der chinesischen Initiative angeschlossen. Und andere EU-Mitglieder gaben an, dass sie dieser Initiative folgen werden. So sind beispielsweise Österreich und Portugal weitere europäische Nationen, die an dem zweiten Forum zur "Neuen Seidenstraße" teilnahmen. Staaten wie Großbritannien, Frankreich, Spanien, die Schweiz und Australien unterstützen dieses Projekt nicht offiziell, sollen jedoch ebenfalls interessiert genug sein, um mit China Abkommen im Zusammenhang mit der "Neuen Seidenstraße" zu unterzeichnen.
Als Peking sagte, dass jedes Land willkommen ist, sich daran zu beteiligen, dann meinte es buchstäblich fast jeden. Dies bereitet nicht nur Washington, sondern auch der gesamten EU enorme Kopfschmerzen.
Erst in der vergangenen Woche sagte der spanische Außenminister und ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments Josep Borrell, dass die aktuellen Handels- und Infrastrukturvorschläge Chinas einen neuen Zustand widerspiegeln, in dem China zu einer Weltmacht geworden ist.
Die 'Neue Seidenstraße' ist ein Beweis dafür, dass China sich nicht mehr als Nettoempfänger sieht. Es beginnt, sich selbst als jemanden zu betrachten, der Beiträge zur Welt leistet, und das begrüßt Spanien", sagte Borrell der South China Morning Post (SCMP).
Spanien hat sich nicht offiziell der "Neuen Seidenstraße"-Initiative angeschlossen. Doch es arbeitete bereits bei vielen Projekten mit China zusammen und nahm am aktuellen Forum teil, um mehr über die "Entwicklungen" zu erfahren. Borell selbst hat auf eine umfassendere Zusammenarbeit der EU hingewiesen, die seiner Meinung nach allein in den nächsten fünf Jahren das Hauptthema der Beziehungen zwischen der EU und China sein sollte.
Gleichzeitig warnt Europa weiterhin noch vor einer von China eingeleiteten "Diplomatie der Schuldenfalle" und vor einer chinesischen Landnahme. Ganz zu schweigen von der Befürchtung, dass es ein Handelsungleichgewicht zwischen China und Europa gibt, das alle zukünftigen Vereinbarungen stark einseitig beeinflusst (was fast so klingt, als hätte Trump hier seine Finger im Spiel gehabt).
Man sollte jedoch bedenken, dass die EU im März dieses Jahres Peking als "systemischen Rivalen" bezeichnet hatte. Dies im Zusammenhang damit, dass die Europäische Kommission in einem Strategiepapier von Chinas unfairen Handelspraktiken spricht.
Dennoch verwies Borell weiterhin darauf, dass die "Neue Seidenstraße" viel "positives Potenzial" hat, sofern sie den von der EU aufgestellten Grundsätzen, einschließlich der Umweltbelange, entspricht.
Ohne zu viel zu spekulieren, könnte es sein, dass die "Belt and Road"-Initiative der Beginn der formalen Auflösung der EU ist (natürlich nach dem Brexit). Die europäischen Nationen, die am eifrigsten auf den Zug der "Neuen Seidenstraße" aufspringen, sind ausgerechnet diejenigen Staaten, die sich dem Populismus zuwenden und die mehr oder weniger eine Anti-EU-Haltung eingenommen haben: Darunter der Italiener Giuseppe Conte, der Ungar Viktor Orban, der Österreicher Sebastian Kurz und der Grieche Alexis Tsipras (der nicht gerade rechtsgerichtet ist, doch die Anti-EU-Stimmung in Griechenland ist immer noch relevant).
Darüber hinaus haben die EU und China kürzlich eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der sie sich darauf geeinigt haben, dass beide Seiten "einen politischen Mechanismus einrichten werden, um die Fortschritte bei den Verhandlungen kontinuierlich zu überwachen und den Staats- und Regierungschefs bis Ende des Jahres über die erzielten Fortschritte zu berichten".
Berichten zufolge ist diese gemeinsame Erklärung der nächste Schritt auf dem Weg zur Schaffung eines umfassenden Investitionsabkommens zwischen der EU und China bis zum Jahr 2020. Dieses zielt darauf ab, den Marktzugang zu verbessern und Praktiken zu beseitigen, die ausländische Investoren benachteiligen.
Auch China weiß sehr gut, wie man das Spiel spielt. Die sogenannte Peking-geführte "16+1"-Initiative – an der 16 post-sozialistische Staaten beteiligt sind, darunter elf weitere EU-Mitglieder und fünf Länder, die sich derzeit in der Phase zum EU-Beitritt befinden – ist eine Gelegenheit für Peking, seine heraufziehende Vormachtstellung auch gegenüber Europa zu untermauern. Weil "diese Länder ärmer sind und von Frankreich und Deutschland oft als Europäer zweiter Klasse behandelt werden", scheinen sie China daher mit offenen Armen willkommen zu heißen, sagte Philippe Legrain, ein ehemaliger EU-Beamter, der am European Institute der London School of Economics arbeitet. Zudem ist an chinesisches Geld oft leichter heranzukommen als an Mittel aus der EU oder anderen Ländern.
Ob die USA tatsächlich militärisch gegen China vorgehen können, bleibt abzuwarten. Doch es scheint offensichtlich, dass die "America first"-Doktrin der Trump-Regierung (wenn sie tatsächlich "Amerika an die erste Stelle" setzt) eine globale Lücke hinterlässt, die China willkommenerweise selbst füllt. Und trotz aller Kritik, die an China wegen seiner Praktiken geübt wird, scheint es einen entscheidenden Unterschied in der Art und Weise zu geben, wie China die von den Vereinigten Staaten hinterlassene Lücke schließt. Wo die USA zur Erreichung ihrer Ziele auf Drohungen, rohe Gewalt, CIA-geführte Putsche und dergleichen angewiesen sind, bevorzugt China bisher weitgehend einen diplomatischeren und kooperativeren Ansatz auf der Grundlage von Wirtschaft und Handel.
Meiner Einschätzung nach wird der Einfluss Washingtons in dem Maße geringer, in dem sich die EU der Initiative Chinas anschließt. In diesem Fall könnten die USA zu einem totalen Krieg greifen, und die Vorbereitungen für diesen Showdown laufen direkt vor unseren Augen ab.
Darius Shahtahmasebi ist ein in Neuseeland ansässiger Rechts- und Politikwissenschaftler, der sich derzeit auf Einwanderung, Flüchtlinge und humanitäres Recht spezialisiert hat.