Westliche Politik, Medien
und auch Menschenrechtsorganisationen verhalten sich auffällig still. Niemand
mag die offensichtliche Gewalt der US-Sicherheitskräfte gegenüber den eigenen
Bürgern verurteilen. Bis auf jene Staaten natürlich, die für gewöhnlich selbst
wegen solcher Vorwürfe auf der Anklagebank sitzen. Ihnen ist es geradezu ein
Genuss, den Finger in diese offene Wunde der USA zu legen.
20.03.2020
Gerne
sieht man sich in Washington als globale moralische Instanz und Streiter für
Menschenrechte. Mit Kritik gerade auch an China geizt man nicht. Jetzt
veröffentlichte Peking einen eigenen Menschenrechtsbericht. In diesem kommen
die USA alles andere als gut weg.
Überall
auf der Welt werden tagtäglich die Menschenrechte entweder verletzt oder gar
mit Füßen getreten – leider. Auffällig ist allerdings, dass die selbst ernannte
"westliche Wertegemeinschaft" und die ihnen angeschlossenen
Menschenrechtsorganisationen darauf mal mit lautem Schweigen bzw. vorsichtiger
Zurückhaltung und mal mit Empörung reagieren.
Es
wird fein säuberlich unterschieden zwischen Staaten, bei denen es aus
geopolitischen Erwägungen geboten ist, die Moralkeule zu schwingen, und
Ländern, mit denen man wirtschaftlich und politisch gut Freund ist. Als
transatlantische Gemeinschaft ist man ohnehin über jeden Zweifel erhaben.
In
Zeiten der sogenannten "great power competition" ist China für das
beschriebene Phänomen ein Paradebeispiel. Wohl aus diesem Grund entschied sich
Peking nun dazu, den Spieß einmal umzudrehen – und holte dafür mächtig aus.
Anhand
einer ausführlichen Bestandsaufnahme mit
dem Titel "Die Bilanz der Menschenrechtsverletzungen in den Vereinigten
Staaten im Jahr 2019" legt die Volksrepublik erneut die Doppelmoral des
Weltpolizisten und damit auch dessen westlicher Kollegenschaft schonungslos
offen.
Den
Auftakt bildet ein unmissverständliches und bezüglich seiner Tragweite doch
kaum beachtetes Zitat des US-Außenministers Mike Pompeo.
Wir
haben gelogen, wir haben betrogen, wir haben gestohlen. [...] Es erinnert einen
an den Ruhm des amerikanischen Experiments", brüstete sich Pompeo in einer
Rede am 15. April 2019 mit seiner Rolle als CIA-Direktor.
Nicht
ohne Grund orientiert sich das Dokument in seiner Struktur und Aufbereitung der
menschenrechtlichen Vergehen an den zahlreichen Berichten westlicher
Organisationen wie Freedom House, Human Rights Watch und Amnesty International
(AI).
Bei
letzterer Organisation mit Hauptsitz in London handelt es sich wohl um die
bekannteste Menschenrechtsorganisation der Welt; und doch werfen historische
und zeitgenössische Ereignisse einen dunklen Schatten auf die Arbeit und Agenda
der Organisation. So wurde etwa im vergangenen Jahr enthüllt, dass es sich bei
dem AI-Mitbegründer Peter Benenson nicht nur um einen erklärten Antikommunisten
mit Verbindungen zum britischen Außen- und Kolonialamt handelte. Wie das
Investigativmagazin Mindpress
News zu Tage förderte, agitierte
Benenson auch im Namen seiner Regierung gegen die Anti-Apartheid-Bewegung in
Südafrika.
Der
Einfluss des Kommunismus sollte sich in diesem Teil Afrikas [das südliche
Afrika, Anm. d. Red.] nicht ausbreiten dürfen, und in der gegenwärtigen heiklen
Situation würde Amnesty International die Regierung Ihrer Majestät bei einer
solchen Politik unterstützen wollen", schrieb Benenson demnach im Jahr
1963.
Im
nächsten Jahr stellte Amnesty International demzufolge seine Unterstützung für
die Anti-Apartheid-Ikone und den ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas,
Nelson Mandela, ein.
Das Buch "Crimes of the Powerful:
State Violence, Torture, and Political Prisoners" behandelt vor allem die
Rolle von Amnesty International während der Jahre des brasilianischen
Militärregimes. In dem Werk wird Benenson wie folgt zitiert:
Ich
möchte unsere Auffassung bekräftigen, dass diese (britischen) Gebiete [die
Nachbarstaaten Südafrikas, Anm. d. Red.] nicht für offensive politische
Aktionen der Gegner der südafrikanischen Regierung genutzt werden sollten.
Bei
einem weiteren Mitbegründer, Luis Kutner, handelt es sich um einen ehemaligen
FBI-Mitarbeiter, der an der Ermordung des Black-Panther-Anführers Fred Hampton
durch die US-Regierung beteiligt war. Kutner gründete gar eine Organisation
namens "Friends of the FBI", die sich der Bekämpfung der
Kritik an der US-Bundesbehörde widmete.
Peking
führt eine Fülle von Fakten und Zahlen auf, um die Mängel des US-amerikanischen
Systems aufzudecken.
So
wird etwa in Bezug auf rassistische Polizeiarbeit festgestellt, dass
"Erschießungen und brutale Misshandlungen von Afroamerikanern durch
Polizisten üblich ist. Afroamerikanische Erwachsene werden 5,9-mal häufiger
inhaftiert als weiße Erwachsene".
Im
Dokument wird darauf verwiesen, dass sich ein UN-Sonderberichterstatter dieses
Themas annahm und die rassistische Polizeipraxis als "ein Überbleibsel der
Sklaverei und der Rassentrennung" bezeichnete.
Wie
unter Politgranden in Washington, London, Paris und Berlin üblich, bringt auch
Peking seine "tiefe Besorgnis" zum Ausdruck, allerdings über die
Zunahme rassistischer Gewalt in den USA.
Die
Vorherrschaft der Weißen (White Supremacy) erlebt in den Vereinigten Staaten
einen Aufwärtstrend", wird festgehalten.
Zudem
wird darauf verwiesen, dass die Mehrheit der Verhaftungen innerhalb der USA in
Zusammenhang mit inländischem Terror erfolgten, vornehmlich mit Verbindungen zur
White-Supremacy-Fraktion.
Amnesty International verschweigt
Al-Qaida-Kriegsverbrechen, um Syriens Regierung zu kriminalisieren
Belegt
wird dies anhand einer FBI-Studie vom November 2019, in der auf Tausende
rassistisch motivierte Verbrechen verwiesen wird. Auch die Intoleranz gegenüber
Muslimen und Menschen jüdischen Glaubens nehme demnach weiter zu. . .
Bereits
im Vorwort legt der chinesische Menschenrechtsbericht den Finger in die
offenkundig schwelende Wunde. So heißt es:
Die
Vereinigten Staaten behaupten, dass die Menschenrechte ihr Fundament bilden,
und geben sich selbst als weltweiter Verteidiger der Menschenrechte aus. Im
Rahmen ihres eigenen eng gefassten Menschenrechtsverständnisses und mit dem
Ziel der globalen Hegemonie als Orientierungspunkt, veröffentlichen die
Vereinigten Staaten jedes Jahr Jahresberichte über den Stand der Menschenrechte
in anderen Ländern, in denen sie Anspielungen und Hörensagen zusammenfügen.
Diese Berichte verzerren mutwillig die Menschenrechtslage in Ländern und
Regionen, die nicht den strategischen Interessen der USA entsprechen. Andererseits
verschließt man die Augen vor den anhaltenden, systematischen und erheblichen
Menschenrechtsverletzungen in den Vereinigten Staaten.
Anders
als die allermeisten in westlichen Hauptstädten verfassten Berichte, schließt
das chinesische Dokument auch die Betrachtung der wirtschaftlichen und sozialen
Rechte in seine ausführliche Kritik mit ein.
Die
entsprechenden Rechte sind nicht ohne Grund zudem in der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 verankert und gelten als Grundpfeiler
der Menschenrechtspolitik.
Für
Washington spielt die soziale und wirtschaftliche Dimension der Allgemeinen
Menschenrechtserklärung jedoch so gut wie keine Rolle. . .
Wie
die Analyse aus China festhält, handelt es sich bei den Vereinigten Staaten
derzeit um das einzige Land der sogenannten entwickelten Welt, in dem Millionen
Menschen täglich um ihre Existenz bangen müssen.
Der
Bericht weist darauf hin, dass nach den 2018 veröffentlichten Zahlen des für
Volkszählungen zuständigen United States Census Bureau in den Vereinigten
Staaten 39,7 Millionen Menschen in Armut leben.
In
einer einzigen Nacht im Vorjahr fehlte demnach mehr als einer halben Million
US-Amerikanern eine permanente Behausung.
65
Millionen Erwachsene können sich aus Kostengründen nicht in medizinische
Behandlung begeben.
Kinderarmut
ist ein schockierendes Problem. Rund 12,8 Millionen US-Kinder lebten in Armut,
und insgesamt 3,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren waren arm, wobei 1,6
Millionen dieser Kinder in extremer Armut lebten", ruft Peking in Erinnerung.
Der
Bericht befasst sich jedoch nicht nur mit dem scheinheiligen Umgang mit
Bürgerrechten im eigenen Land, sondern widmet sich auch der entsprechenden
Doppelzüngigkeit gegenüber dem Ausland.
Um
ihre weltweite Hegemonie aufrechtzuerhalten, betreiben die Vereinigten Staaten
Unilateralismus und treten die internationale Ordnung sowie das internationale
System basierend auf den Zielen und Prinzipien der UN-Charta mit Füßen", heißt es etwa.
Dabei
berufen sich die Verfasser des Berichts auf die Rechte der Afghanen, Iraker
und Syrer, deren Leben durch die US-amerikanischen Interventionen zerstört
worden sei.
Beim
Thema Krieg und Frieden haben sich die USA Peking zufolge ohnehin nicht gerade
mit Ruhm bekleckert.
Die
Vereinigten Staaten sind "die kriegerischste Nation in der Geschichte der
Welt". Die Vereinigten Staaten haben seit 2001 6,4 Billionen US-Dollar für
Kriege ausgegeben, [...] in denen mehr als 800.000 Menschen starben und zig
Millionen Menschen vertrieben wurden", hält der Bericht unmissverständlich
fest.
Zudem
werden die Sanktionen gegen Kuba und Venezuela verurteilt. Laut einem
Bericht der Vereinten Nationen vom 28. Mai 2019 mit dem Titel
"Notwendigkeit der Beendigung des von den Vereinigten Staaten von Amerika
gegen Kuba verhängten Wirtschafts-, Handels- und Finanzembargos" stellt
das sechs Jahrzehnte währende Wirtschafts- und Handelsembargo eine massive,
eklatante und systematische Verletzung der Menschenrechte aller Kubaner dar.
Das
Fass zum Überlaufen mag für Peking die Tatsache gebracht haben, dass
US-Präsident Donald Trump – trotz ausdrücklichem Hinweis der Weltgesundheitsorganisation
(WHO), dass dies zu unterlassen sei – COVID-19 zuletzt immer wieder als
"chinesisches Virus" bezeichnete.
Professor
Ian Haney López von der Universität Berkeley, ein Experte für rassistische
Sprache in der amerikanischen Politik, erklärte dazu:
Die
Bezeichnung von COVID-19 als "chinesisches Virus" entspricht ganz und
gar Donald Trumps Muster des Hundepfeifen-Politik (dog whistling). Der Begriff
soll rassistische Ängste auslösen (Ausländer als Krankheitsüberträger), wobei
die plausible Bestreitbarkeit dessen erhalten bleibt (als bloße Aussage über
die Geographie).
Die
gerne für moralische Erhabenheitsgefühle gegenüber anderen Ländern genutzte
"Pressefreiheit" kommt in dem Bericht aus Peking auch nicht zu kurz.
So wird auf Erkenntnisse des US Press Freedom Tracker vom 29. Dezember 2019
verwiesen, wonach in diesem Jahr in den USA 38 Journalisten angegriffen worden
seien, in 28 Fällen sei Journalisten demnach der Zugang zu
Regierungsveranstaltungen verweigert worden, neun sahen sich strafrechtlicher
Verfolgung ausgesetzt.
Seit
2017 wurden mindestens 54 Journalisten vorgeladen oder ihre Unterlagen
beschlagnahmt, und 36 Journalisten wurden bei der Berichterstattung über
Proteste in den Vereinigten Staaten verhaftet", hält der Bericht fest.
Um
die demokratische Verfasstheit der USA ist es demnach ebenfalls nicht
sonderlich gut bestellt.
Das
große Geld in der Politik hat den politischen Prozess überwältigt und
wohlhabenden Sonderinteressen mehr Macht eingeräumt als je zuvor in der
jüngeren amerikanischen Geschichte.
Die
Autoren schließen mit einer Generalkritik an der moralischen Überheblichkeit
Washingtons, die nach Ansicht Pekings jeglicher Grundlage entbehrt.
Die
Menschen können selbst sehen und urteilen. Die Vereinigten Staaten haben sich
lange Zeit in betrügerischer Weise als sogenanntes "Vorbild" für die
Einhaltung der Menschenrechte ausgegeben, während sie in Menschenrechtsfragen
eklatant mit doppelten Standards agieren. Die Menschenrechte, die von den
Vereinigten Staaten als Instrument zur Aufrechterhaltung ihrer Hegemonie
angesehen werden, wurden von ihnen je nach ihren eigenen Bedürfnissen
verteidigt oder verletzt. Taten sprechen lauter als Worte. Die Vereinigten
Staaten, ein Land, das mit Menschenrechtsproblemen im eigenen Land konfrontiert
ist, tritt die Menschenrechte von Menschen in anderen Ländern skrupellos mit
Füßen, was zu unsäglichem Leid führt.
Das
laute Schweigen der westlichen Wertegemeinschaft
Westliche
Politik, Medien und auch Menschenrechtsorganisationen verhalten sich auffällig
still. Niemand mag die offensichtliche Gewalt der US-Sicherheitskräfte
gegenüber den eigenen Bürgern verurteilen. Bis auf jene Staaten natürlich, die
für gewöhnlich selbst wegen solcher Vorwürfe auf der Anklagebank sitzen. Ihnen
ist es geradezu ein Genuss, den Finger in diese offene Wunde der USA zu legen.