Sonntag, 21. Juni 2020

Zündeln in Hongkong


Hongkong und Minneapolis - Vom gesellschaftlichen Verfall des Westens und seiner Angst davor
08.06.2020

Zwei Städte sind im Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit. Sie stehen nicht nur für sich alleine, sondern für Grundsätzliches. In Minneapolis offenbart sich der gesellschaftliche Verfall des Westens, besonders seiner Führungsmacht USA. An Hongkong offenbart sich seine Angst vor diesem Verfall. Hongkong belegt die Ohnmacht des Westens gegenüber China.
Über 100.000 Corona-Tote, etwa 40 Millionen Arbeitslose, Reiche, die immer reicher werden, und Arme, die immer mehr werden. Das ist die Lage im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Unbegrenzt sind die Möglichkeiten aber nur für Investoren und Kapitalbesitzer. Alle anderen stoßen sehr schnell an die Grenzen des american way of life. Besonders die schwarzen Bürger versinken immer mehr im Elend. Ihre Zahl an den Arbeitslosen ist mehr als doppelt so hoch wie ihr Anteil an der amerikanischen Bevölkerung. Dasselbe Verhältnis gilt auch für ihre Toten durch die Corona-Epidemie und durch Polizeigewalt.
Amerikanische Zustände
Im Mutterland der westlichen Werte scheinen diese für einen Großteil der eigenen Bevölkerung nicht zu gelten. Die Menschenrechte, denen die USA nicht nur unter Trump immer wieder gegenüber Russland und China Geltung verschaffen wollen, wären für die Wortführer im Weißen Haus am leichtesten im eigenen Land umzusetzen. Von Guantanamo ganz zu schweigen, das mittlerweile aus der westlichen Menschenrechtsheuchelei ganz verschwunden ist. Nicht dass dieses Problem gelöst wäre. Es interessiert die Wortführer nicht mehr, auch nicht die alternativen.
In Minneapolis entladen sich Wut und Verzweiflung über die gesellschaftlichen Verhältnisse, aber nicht nur dort. Dass der wiederholte Tod eines schwarzen US-Bürgers durch Polizeigewalt eine solche Welle der Empörung auslöste, macht deutlich, dass es sich um ein landesweites Problem handelt.
Die amerikanische Gesellschaft zerfällt unter dem Druck der Arbeitslosigkeit, der miserablen Gesundheitslage, dem zehntausendfachen Sterben infolge von Corona, dem Verfall der Städte und Infrastruktur, der Kriminalität, dem Niedergang der Industrie und zunehmend auch der Landwirtschaft. Die USA erscheinen immer deutlicher als ein aufgeblasener Heißluftballon, aus dem die Luft entweicht.
Unangemessen
Vermutlich werden die Proteste bald wieder abklingen, wie sie immer abgeklungen sind, nachdem die Wut erschöpft war. Sie laufen sich tot, weil es kein klares Ziel gibt. Und vor allem: Es gibt keine Organisation, die wie zu Zeiten von Martin Luther King und der Bürgerrechtsbewegung den Protest bündeln und ihm eine Stoßrichtung geben konnte. Die Gruppen in den einzelnen Städten scheinen im Moment noch weitgehend für sich zu agieren.
Es ist ein spontaner Protest, hervorgerufen durch ein aktuelles Ereignis. Eine landesweite Vereinheitlichung von Forderung und Handeln ist nicht zu erkennen. Es fehlt die politische Organisierung und die übergeordnete Organisation, der sich die Vielen freiwillig unterordnen im Bewusstsein, dass sie mit einem untereinander abgestimmten Verhalten und Vorgehen ihre Schlagkraft und Erfolgsaussichten erhöhen. Empörung ist kein Ziel.
Das wird es der Regierung und ihren paramilitärischen Kräften leicht machen, die Kontrolle zu behalten und die Oberhand zu gewinnen. Wenn auch bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, so kommt die US-Regierung bisher nicht in Bedrängnis. Sie setzt die Nationalgarde ein, droht mit militärischer Gewalt und zieht über tausend reguläre Soldaten der Armee zusammen. Das ist mehr als bei manchen Auslandseinsätzen.
Uneins
Nun ist die Lage sicherlich nicht so ernst, wie Trump sie zu sehen scheint, weshalb auch gerade altgediente Generäle sich heftig gegen den Einsatz regulärer Truppen gegen das eigene Volk stellen. Sie tun das aber nicht aus grundsätzlichen Erwägungen, nicht weil es der westlichen Menschenrechts-Beschallung widersprechen würde, die seit Jahren aus den Hauptstädten des Wertewestens die Hirne der Menschen verwirrt.
Sie stellen sich gegen den Einsatz von Militär, weil es unter den gegebenen Umständen nicht angemessen wäre, denn, so General Martin Dempsey, „Amerika sei kein Schlachtfeld“. Auch Verteidigungsminister Esper bestätigte: „Der Einsatz von aktiven Soldaten im Inland sollte nur das letzte Mittel in den dringlichsten und äußersten Situationen sein... Wir befinden uns derzeit nicht in einer solchen Situation“. Tags zuvor jedoch hatte sich Esper vollkommen anders geäußert. Da war er mit seinem Oberbefehlshaber Trump noch einer Meinung, dass es nötig sei, „das Schlachtfeld zu dominieren“.
Der Einsatz militärischer Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ist also nicht grundsätzlich tabu, sondern nur abhängig von der Situation. In diesem Grundsatz stimmen die Meinungen des amtierenden Verteidigungsministers und der altgedienten Generäle überein. Die Unterschiede zwischen ihnen bestehen alleine in der Einschätzung der Lage, was die Generäle zu ihrer Kritik bewogen hatte.
Vielleicht wollten gerade diese erfahrenen Militärs verhindern, dass die Erinnerung an die Zeiten wachgerufen werden, als amerikanische Präsidenten schon einmal Demonstranten zu Hunderten niederkartätschen ließen, weil sie für Bürgerrechte und gegen den Vietnam-Krieg protestierten. Menschenrechte hin – Menschenrechte her.
Seinerzeit hielt man es anscheinend der Situation angemessen, auf das eigene Volk zu schießen. Wären also die Umstände heute andere, hätte selbst das hohe Gut der Menschenrechtsorientierung, das man immer wieder gerne anderen Staatsführern unter die Nase reibt,  kein Hindernis dargestellt, nicht doch auf das eigene Volk anzulegen.
Von Balken und Splittern
Aber gelten solche Abwägungen zwischen den Freiheitsrechten der Bürger und dem Schutz des Staates nur für die Demokratien des Wertewestens? Gilt dasselbe Recht, die Stabilität des eigenen Staates und der Gesellschaft sicherstellen zu wollen, nicht auch für den chinesischen Staat und Hongkong? Während in Minneapolis und anderen amerikanischen Städten Demonstranten für ihre Freiheitsrechte demonstrieren, von amerikanischer Polizei zusammengeknüppelt und der amerikanischen Führung verunglimpft werden, macht sich der Präsident der USA trotzdem für  die Freiheitsrechte stark, zwar nicht in Minneapolis, aber in Hongkong.
Er droht China mit weiteren Sanktionen, wenn die chinesische Regierung dasselbe in Hongkong tut wie die amerikanische Regierung in Minneapolis und etwa hundert anderen amerikanischen Städten, nämlich für die Aufrechterhaltung der öffentliche Ordnung zu sorgen. Nach den Unruhen des vergangenen Jahres in Hongkong mit gewalttätigen Ausschreitungen will die chinesische Regierung mit einem neuen Sicherheitsgesetz dafür sorgen, dass sich solches nicht wiederholt. Steht solches Vorgehen nur den Staaten des Wertewestens zu?
Zwar ist noch nicht bekannt, was in diesem Gesetz stehen wird, denn es ist ja auch nicht veröffentlicht, aber die Medien im Westen wissen jetzt schon ganz genau, dass es die Freiheiten der Bürger einschränken wird. In den Stimmungsberichten der Frankfurter Allgemeine Zeitung kommen nur Kritiker dieses Gesetzes zu Wort. Auch sie kennen das Gesetz noch nicht, dennoch wird ihnen reichlich Raum gegeben, ihre Befürchtungen zu äußern.
Was aber ist mit den Menschen in Hongkong, die sich nach der Gewalt und den Ausschreitungen des letzten Jahres mehr Sicherheit wünschen? Diese kommen in den Berichten der westlichen Medien nicht zu Wort. Man tut so, als gäbe es solche Menschen in Hongkong und China nicht. Es wird durch das Verschweigen solcher Stimmen der Eindruck erweckt, als gäbe es nur Kritiker und Gegner des Gesetzes und der Regierungen in Hongkong und China. Vielleicht sind die westlichen Medienvertreten auch mittlerweile durch den Balken im eigenen Auge so blind geworden, dass sie nur noch das wahr nehmen, was sie wahr haben wollen.
Die Schwäche des Westens
Besonders beunruhigt scheint der Wertewesten darüber zu sein, dass die chinesische Regierung die Einflussnahme von NGOs auf die Vorgänge Hongkong in Schranken weisen will. Diese hatten während der Unruhen erheblichen Einfluss auf die sogenannte Demokratie-Bewegung. Aus Berichten der FAZ geht hervor, dass auch die Zeitung selbst in ständigem Austausch und Kontakt mit deren Vertreter stand.
Wie würden wohl die Vertreter des Wertewestens reagieren, wenn die hiesigen Corona-Demonstrationen von chinesisch oder russisch geförderten NGOs beeinflusst würden? Deutschen Medienvertretern und Politikern ist ja schon die alleinige Existenz und Gegenöffentlichkeit der russischen Medien RT und Sputnik ein Dorn im Auge. Und denen wurde bisher keine  Einflussnahme im Stile der westlichen NGOs vorgeworfen, geschweige denn nachgewiesen.
Selbst während der Coronakrise und den derzeitigen Unruhen in den USA hat keine der westlichen Regierungen Vorwürfe gegenüber China erheben können, diese Schwäche der westlichen Staaten auszunutzen, um Einfluss zu gewinnen und die Lage weiter zu destabilisieren. Diese Zurückhaltung erlegt sich der Wertewesten nicht auf. Die Versuche, sich in Hongkong und China einzumischen, gehen unvermindert weiter wie auch die Absicht, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu behindern.
Das ist eigentliche Hintergrund der Spannungen mit China und der Einmischungsversuche vonseiten des Westens. China ist auf dem Sprung, die Technologieführerschaft in der Welt zu übernehmen und dem Westen in jedem Bereich wirtschaftlicher Entwicklung den Rang abzulaufen. Das gelingt China durch Konzentration auf die eigene Kraft und die eigenen Fähigkeiten, unterstützt durch die Geschlossenheit seiner Gesellschaft. Vergleichbare Kraft zu entwickeln, gelingt dem Westen nicht mehr.
Seine Gesellschaften sind zerfressen durch die widerstrebenden Interessen der gesellschaftlichen Gruppen. Deshalb sind sie nicht mehr in der Lage, sich auf gemeinsame Ziele zu einigen, denen sich alle Gesellschaftsmitglieder unterordnen, weil sie darin auch den gemeinsamen Vorteil erkennen. Auf dieser Ebene ist der Westen China nicht gewachsen. Und weil er dem Land nicht kraftvoll entgegentreten kann, bleibt nur, Chinas Entwicklung zu behindern.
Die Menschenrechte der anderen
Das Aufbegehren der Katalanen, die Proteste der Gelbwesten in Frankreich, in Deutschland gegen die Corona-Maßnahmen und in den USA gegen die Polizeigewalt offenbaren die Zerrissenheit der westlichen Gesellschaften. Je schwieriger es wird, die auseinanderstrebenden Interessen der gesellschaftlichen Gruppen im Zaum zu halten, um so mehr greifen die Regierungen des Wertewestens zu den Mitteln, die er immer nur als Maßnahmen von Unrechtsstaaten dargestellt hatte. Umso schwieriger wird es auch, die Unterschiede noch darzustellen zu können zwischen dem eigenen Verhalten und dem jener Staaten und Regierungen, denen man die Missachtung der Menschenrechte vorwirft.
Dabei ist die Bedrohungslage in den USA, Deutschland, Frankreich und Spanien bei weitem nicht zu vergleichen mit den Angriffen, denen sich Syrien, Venezuela, der Iran und letztlich auch Chinas Hongkong gegenüber sahen. In den westlichen Staaten schlägt den Regierungen nur die  Unzufriedenheit von Teilen der eigenen Bevölkerung über die gesellschaftlichen Zustände entgegen. Da sind keine Kräfte von außerhalb am Werke.
Da gibt es keine von außen finanzierten und mit Waffen belieferten Milizen. Es stehen keine fremden Truppen im Land. Keine Stützpunkte feindlicher Staaten befinden sich in Grenznähe und richten ihre Waffen auf das eigene Staatsgebiet. Nicht einmal von fremden Kräften unterstützte NGOs treiben dort ihr Unwesen. Dennoch sind die Abwehrmaßnahmen der Staaten des Wertewestens kaum noch zu unterscheiden von denen der bedrängten „Schurkenstaaten“.
Aber trotzdem fühlt sich keine andere Regierung aufgerufen, die Staaten des Wertewestens zur Ordnung zu rufen, wenn diese ihre Bürger wie Feinde behandeln. Weder China, Russland, Venezuela, Iran, Syrien, Nordkorea, Libyen oder all die anderen Staaten maßen es sich an, den westlichen Staaten Lektionen zu erteilen, Vorschriften zu machen oder sie zu ermahnen, sich nach ihren Wertvorstellungen zu verhalten und zu richten. 
Während also der Westen immer wieder unter dem Deckmantel von Menschenrechten glaubt, andern Völkern die eigenen Vorstellungen von gesellschaftlichem Zusammenleben aufdrängen zu dürfen, bleibt er selbst von diesen Einmischungsversuchen der Bedrängten weitgehend verschont. 
Von Doppelmoral und Arroganz
Auf welcher Grundlage glaubt der Westen, anderen vorschreiben zu dürfen, wie sie ihr gesellschaftliches Leben zu gestalten haben? Würden sich die westlichen Staaten in innergesellschaftliches Leben hineinreden lassen?
Was aber unterscheidet die gewalttätigen Demonstranten in Minneapolis oder seinerzeit in Paris und in Katalonien von denen in Hongkong? Was unterscheidet den Einsatz von Polizei, Nationalgarde und eventuell der US-Armee im sogenannten Rechtsstaat von denen der Sicherheitskräfte in Hongkong, das zum „Unrechtsstaat“ China gehört? Das fällt den Vertretern des Wertewestens immer schwerer zu erklären. An die Stelle von Argumenten treten Glaube und Dogma.
Und je schwieriger dieser propagandistische Drahtseilakt wird, um so unverständlicher und verworrener werden die Erklärungsversuche und Rechtfertigungen der Meinungsmacher im Westen. Die antichinesische Propaganda entlarvt sich immer mehr als eine Mischung aus Neid und Hilflosigkeit. Es ändert nichts an den Verhältnissen in China. Es geht ihr nur um Einfluss auf das Denken der Menschen im eigenen Einflussbereich. Mit Menschenrechten hat das nichts zu tun.
Wer es mit den Menschenrechten wirklich ernst meint, soll im eigenen Land damit anfangen. Der soll den Menschen im eigenen Land eine verlässliche Lebensgrundlage geben, damit sie nicht bei jedem Konjunktureinbruch um ihren Arbeitsplatz bangen und sich um die Zukunft ihrer Kinder sorgen müssen. Der soll dafür sorgen, dass in Epidemien genug Betten, Beatmungsgeräte, Schutzmasken und gesundes Pflegepersonal vorhanden sind. Der soll dafür sorgen, dass man sicher sein kann vor staatlicher Gewalt und Kriminalität. Der soll dafür sorgen, dass die Menschen in Frieden zusammen leben können. Wenn die Menschen sich achten, klappt es auch mit den Werten.

Zündeln in Hongkong
Seit Wochen liefern die Proteste in Hongkong die Schlagzeilen für die westlichen Medien. Welche Teile der Bevölkerung sich an dem Protest beteiligen und welche Interessen außer denen der Hongkonger Geschäftswelt im Spiel sind, kann im Moment noch nicht klar gesagt werden 1. Besondere Bedeutung scheinen westliche Kräfte dem Verhalten der Hongkonger Mittelschicht beizumessen. So schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass die Protestierenden„die Sympathie von großen Teilen der Hongkonger Mittelschicht“2 genießen. Andererseits scheint das Wohlwollen der Bevölkerung nicht so eindeutig zu sein, wie die FAZ den Eindruck zu erwecken versucht.
So hatte sie bereits Anfang Juli nach der Besetzung des Hongkonger Parlaments durch Vertreter der Protestbewegung von „Rissen in den Reihen der Demonstranten“3 gesprochen. Schon damals hatte man befürchtet, dass die Bilder von beschmierten Wänden, zerschmetterten Scheiben und zertrümmerten Sicherheitskameras „die Protestbewegung in der Bevölkerung einige Sympathien kosten und der Regierung in die Hänge spielen“ könnte4.
Als dann Mitte August von „Demonstranten in der Nähe von Polizeistationen Brandbomben geworfen worden“5 und der Flugverkehr durch die Besetzung des Hongkonger Flughafens über Stunden stillgelegt worden war, hatte Peking die Hongkonger Bevölkerung aufgefordert, „sich von allen gewaltbereiten Elementen zu distanzieren“6. Anscheinend passte diese Aufforderung Pekings zur Stimmungslage in der Stadt.
Denn am Tag danach sahen sich die Aktivisten gezwungen, sich für ihre Gewalt gegenüber chinesischen Polizisten während der Flughafenbesetzung öffentlich zu entschuldigen. Nachdem sich eine Flut von Kritik über jene Demonstranten in den Foren ergossen hatte, stand zu befürchten, „dass hässliche Szenen wie jene vom Dienstagabend sie die Unterstützung der Bevölkerung kosten können, ohne die die Bewegung schnell am Ende wäre“7Zudem scheinen Befürchtungen zuzunehmen, „eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage könnte der Bewegung die Unterstützung durch die Mittelschicht entziehen“8.
Es scheint also nach Einschätzung der FAZ sehr viel von dieser Mittelschicht abzuhängen, der sich die Zeitung besonders verbunden zu fühlen scheint. Denn wie in den westlichen Medien selbst so sieht die Frankfurter in der an „freie Rede gewöhnte Hongkonger Mittelschicht“ 9 einen Verbündeten im Kampf gegen die Kommunistische Partei Chinas.
In ihr sehen die westlichen Medien mehr noch als das westliche Kapital selbst den Hauptfeind trotz aller wirtschaftlichen Verflechtungen und Vorteile für deutsche und westliche Unternehmen. Denn während den westlichen Industrien der chinesische Markt offen steht, ist er den westlichen Medienunternehmen weitgehend verschlossen und damit auch der Werbemarkt des Riesenreiches. Das erklärt die Feindseligkeit der westlichen Medien gegenüber China, aber auch gegenüber Russland, Iran und anderen, die nicht nur deren Vorstellung von Meinungsfreiheit unterdrücken sondern ganz besonders auch deren Wunsch nach Werbefreiheit.
Von der Stimmung anderer gesellschaftlicher Gruppen außerhalb der Geschäftswelt, des Mittelstands und des intellektuell-akademischen Milieus berichtet die FAZ dagegen nicht. Nur einmal erwähnt sie den Stadtteil North Point, den sie als Hochburg von pro-Pekinger Kräfte bezeichnet, die in Loyalität zu Peking eine Flaggenparade abhalten. Es scheint also auch Kräfte zu geben in Hongkong, die nicht in das Bild zu passen scheinen, das die FAZ von der Lage vorort zeichnet. Vermutlich hat sie keine Kontakte zu Menschen dieser Kreise oder ihr ist an deren Interessen und Sichtweise nicht gelegen.
Außerchinesische Kräfte
Bekannt wurde in der Zwischenzeit, dass „die amerikanische Stiftung National Endowment for Democracy (NED) prodemokratische Kräfte in Hongkong finanziell“10 unterstützt. Sehr aufschlussreich ist die Haltung der FAZ zu dieser Tatsache, die man über mehrere Zeile zuvor noch in die Nähe von Verschwörungstheorien und Propaganda zu bringen versucht hatte. Denn dann gibt die Zeitung unumwunden zu, dass die Unterstützung, die man wenig zuvor noch zu leugnen versucht hatte, „freilich für eine politische Stiftung, die sich der Förderung politischer Werte verschrieben hat, nicht ungewöhnlich ist“11.
Es wird also als das selbstverständliche Recht westlicher „pro-demokratischer“ Kräfte angesehen, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen und gewaltbereite Kräfte zu unterstützen. Es sei hier erinnert an die Empörung im Westen, als der Verdacht aufkam, dass Russland die US-Präsidenten-Wahlen beeinflusst haben könnte. Was bis heute nicht bewiesen werden konnte, ist im Falle der Einmischung vonseiten des Westens in Hongkong unzweifelhaft.
Da nun nicht mehr leugnen schien, was lange verheimlicht worden war, wird nun als Vorrecht des Westens dargestellt. Nicht wer mit zweierlei Maß misst, wird der Heuchelei bezichtigt, sondern wer es offenlegt. So wurde zudem wird auch noch gemeldet, dass die amerikanische Diplomatin Julie Eadeh, sich „vergangene Woche mit dem Demokratieaktivisten Joshua Wong getroffen hatte“12.
Auch die Deutschen mischen mit. Bei seiner Chinareise hielt sich Christian Lindner von der FDP zunächst in Hongkong auf, „wo er ein Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung eröffnete und Gespräche mit Oppositionspolitikern führte“13. Aber es blieb nicht nur bei der Eröffnung, sondern er hielt darüber hinaus eine öffentliche Ansprache, bei der er klar stellte, dass aus seiner Sicht „wirtschaftliche Freiheit und gesellschaftliche Freiheit zusammengehören“14Das erinnert doch sehr stark an die Ereignisse auf dem Kiewer Maidan, als sich dort westliche Politiker die Klinke in die Hand gaben, um mit ihren Erklärungen politischen Einfluss auf die Ereignisse zu nehmen.
Nun wäre es realitätsfremd, die Hongkonger Ereignisse alleine auf die Einflussnahme externer Kräfte zurückführen. Es scheint ernsthafte Konflikte in Teilen der Bevölkerung zu geben im Verhältnis zu Peking. Diese tieferen Ursachen und Hintergründe werden aber aus den Berichten der westlichen Medien nicht erkennbar. Dort beschränkt man sich auf das lieb gewonnene Erklärungsmuster des Kampfes einer Bevölkerung, die Demokratie fordert, gegen den übermächtigen Druck der kommunistischen Partei Chinas.
Dass der Westen diese Unruhen für die eigenen Interessen nutzt und versucht, Einfluss in Hongkong zu gewinnen oder auszubauen, dürfte nicht auszuschließen sein. Schon im Vorfeld hatten die westlichen Medien den dreißigsten Jahrestag der Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking umfassend in Erinnerung gerufen. Inwiefern die Vorgänge in Hongkong mit der Erinnerung an die Geschehnisse vor dreißig Jahren zusammenhängen, kann hier nicht festgestellt werden. Was aber erkannt werden kann, ist die doppelzüngige Einstellung westlicher Medien zur Gewalt.
Wenn auch die Teilnehmer der Bewegung in Hongkong Straßen und den Zugang zu Gebäuden blockieren, sogar das Hongkonger Parlamentsgebäude und den Flughafen besetzen, und den Flugverkehr über Stunden lahm legen, also Sachschäden anrichten und Gewalt anwenden, werden sie dennoch von der FAZ sehr wohlwollend als „prodemokratische Kräfte“ bezeichnet. In diesen Ruf kamen die Besetzer des Hambacher Forstes bei der FAZ und dem Rest der deutschen Medien nie. Auch die französischen Gelbwesten wurden in erster Linie als Gewalttäter dargestellt, ihre politischen und wirtschaftlichen Forderungen gingen in den Medien unter.
Aber es geht nicht um Demokratie oder sonstige westliche Werte. „Das Aufbäumen in Hongkong ist zugleich der sichtbarste Beleg für die mangelnde Strahlkraft des chinesischen Traums.“15Wenn schon der amerikanische Traum keine Strahlkraft mehr hat in der Welt, dann soll er nicht noch überstrahlt werden vom chinesischen.
Wenn der wirtschaftliche Aufstieg Chinas schon nicht verhindert werden kann, dann soll doch wenigstens nicht auch noch das chinesische Gesellschaftsmodell sich dem westlichen überlegen zeigen. Darum geht’s.