Feindbildpflege als journalistisches Kerngeschäft -
Ein Kommentar
"Was
China uns jetzt schon schuldet" - mit diesem Aufreißer zieht
Deutschlands größte Tageszeitung wieder einmal gegen China zu Felde und
verlangt in detaillierter "Rechnung" das, was die Corona-Pandemie
"uns" kostet, von der Volksrepublik in Heller und Euro zurück.
Die chinesische
Botschaft weist die Vorwürfe in einem Brief an den
BILD-Chefredakteur Reichelt zurück, erklärt, dass China die WHO frühzeitig
informiert habe, die anderen Staaten insofern ausreichend Zeit hatten, sich
vorzubereiten und wirft ihm vor, Nationalismus zu schüren.
Reichelt legt
daraufhin mit einem Brandbrief an Chinas Präsidenten Xi Jinping nach und
verbreitet ihn unter dem Titel "Sie
gefährden die ganze Welt" über YouTube mit chinesischen
Untertiteln. Großer Applaus der hiesigen Leserschaft - Tenor: Endlich traut
sich mal jemand, gegen dieses Unterdrücker-Regime aufzustehen, Kriegstreiberei
ist das Gebot der Stunde, Leute zieht euch warm an.
Man könnte an
dieser Stelle natürlich abwinken und sagen: eben typisch BILD. Mit Speck fängt
man Mäuse und mit einem großen Maul viele zahlende Leser. Man könnte auch
fragen, wer auf einen solchen Mist eigentlich hereinfällt. Hat schon mal jemand
gefragt, wer die letzte Grippe-Epidemie ausgelöst hat? Und wenn man schon mal
dabei ist: Haben die USA eigentlich schon für Aids gezahlt? VW für die
Feinstaub-Toten? BILD kann sich solche Idiotien offenbar leisten - die
Redaktion weiß sich in der Feindschaft gegen China so einig mit ihren Lesern,
dass das Prinzip Draufhauen um jeden Preis völlig ausreicht.
BILD-Redakteur
Reichelt entlarvt Xi Jinping
Was Chefredakteur
Reichelt dann in seinem offenen Brief an Chinas Präsidenten loslässt, ist
allerdings - bei allem, was man von BILD sowieso schon gewohnt ist und erwartet
- von einer extra-ordinären Boshaftigkeit. Das ist, da haben die erfreuten Kommentare
völlig Recht, Kriegs-Rhetorik.
Erster Vorwurf: "Sie
regieren durch Überwachung. Ohne Überwachung wären Sie nicht Präsident."
Plädiert der
BILD-Chefredakteur hier gerade etwas überraschend für die Abschaffung der
"Dienste" in Deutschland und weltweit? Das Ende für die NSA?
Konsequenzen aus den "Crypto-leaks"? Nö, natürlich nicht. Reichelt
übt sich einfach nur mal wieder in der Kunst des Einteilens. Hier, im eigenen
Land, sind Geheimdienste mit all ihren Methoden des Abhörens und Bespitzelns
fraglos notwendig. Hier sind sie als Schutz der Demokratie vor ihren Feinden
(den bösen Terroristen, den Linksextremen, den Chinesen) völlig gerechtfertigt,
bei anderen Staatswesen dagegen einfach böse.
Dort, in China,
hat der Staat keinen Grund (und schon gar keinen guten, d.h. von
"uns" anerkannten Grund) für seine Maßnahmen. Der chinesische Staat
und seine Politiker sind vom Charakter her übel, repressiv und überwachen
einfach alles: "jeden Bürger", "jede kritische Zeitung"
(auch für so etwas entdeckt BILD, wenn es passt, sein Herz!). Nur die
"seuchenriskanten Tiermärkte" lässt der notorische Überwachungsstaat
außen vor. Warum? Ach scheißegal bzw. noch böser: "Sie überwachen ihr Volk
nicht nur, Sie gefährden es auch - und damit die ganze Welt."
Zweiter Vorwurf: "Überwachung
führt zu Unfreiheit. Wer nicht frei ist, ist nicht kreativ. Wer nicht innovativ
ist, erfindet nichts. Deswegen haben Sie ihr Land zum Weltmeister im Diebstahl
von geistigem Eigentum gemacht."
Es ist zwar ganz
in der Tradition des Hauses Springer, wenn Journalist Reichelt hier einen
Hauptvorwurf der USA gegenüber China nachbetet. Aber vielleicht ist er da doch
nicht so ganz auf der Höhe der Zeit.
Das könnte er bei
seinem Kollegen, dem Handelsblatt-Journalisten Sieren, problemlos nachlesen:
Der chinesische
Konzern Huawei belegte ihm zufolge bereits dreimal den Spitzenplatz der
globalen Rangliste der Weltorganisation für geistiges Eigentum; beim
Europäischen Patentamt liegt Huawei ebenfalls vorn; und 2017 kamen der National
Science Foundation zufolge aus China mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen
als aus jedem anderen Land der Welt. Sieren zitiert auch Peter Jungen, den
Ex-Präsidenten der europäischen Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in
Bezug auf "start ups": "Die Chinesen sind heute
experimentierfreudiger als wir."
Nebenbei:
Vielleicht sollte
Reichelt auch einmal den Ursprung des Labels "made in germany"
nachschlagen, das heute für "unsere" besondere Qualität stehen soll;
erfunden wurde es jedenfalls im 19. Jahrhundert von England, um deutsche Waren
international zu desavouieren, weil sich die englische Wirtschaft fortgesetzter
Industriespionage durch deutsche Unternehmen ausgesetzt sah …
Und:
Dass der
"größte chinesische Exportschlager, den keiner haben wollte, der aber
trotzdem um die Welt gegangen ist, Corona ist" - das hätte der deutsche
Patriot Julian Reichelt vielleicht gerne so. Stammt vielleicht aus dieser Ecke,
also schlicht aus dem Neid auf Chinas Erfolge, der Kern seines Ärgers?
Dritter Vorwurf: "Als
Sie, Ihre Regierung und Ihre Wissenschaftler längst wissen mussten, dass Corona
von Mensch zu Mensch übertragen wird, haben Sie die Welt im Dunkeln darüber
gelassen."
Die chinesische
Botschaft hatte bereits zuvor auf die entsprechenden BILD-Vorwürfe geantwortet:
Bereits am
31.12.2019 haben die chinesischen Behörden die WHO über Fälle von
Lungenentzündung unbekannter Ursache in Wuhan informiert. Ab dem 3. Januar 2020
informierte China die WHO und andere Länder wie die USA regelmäßig über den
Verlauf. Zu dieser Zeit meldete Wuhan 44 Patienten mit der mysteriösen
Krankheit. Am 8. Januar 2020 wurde der Krankheitserreger SARS-CoV-2 erstmals
identifiziert. Am 11. Januar stellte China vollständige Genomsequenzen des
neuartigen Coronavirus öffentlich online und teilte die genetischen Daten mit
der WHO. Am 20. Januar bestätigte China aufgrund von fundierten
epidemiologischen Untersuchungen die Übertragung des neuartigen Coronavirus von
Mensch zu Mensch. Drei Tage danach wurde die Millionenmetropole Wuhan
abgeriegelt und noch nie dagewesene umfassende, gründliche und rigorose
Quarantänemaßnahmen wurden landesweit ergriffen. Die WHO bestätigt exakt diese
Timeline und sie ist hier nachzulesen. Am 11. März schließlich erklärte die
WHO die durch das Covid-19-Virus verursachte Krankheit zur Pandemie.
Man kann der
chinesischen Politik sicherlich vorwerfen, dass sie auf das erste Auftauchen
des Virus (inzwischen auf den 17.11. datiert) mit dem Versuch der
Bagatellisierung reagiert hat. Auch in China haben zunächst die lokalen
Behörden, später übergeordnete Stellen die Haltung eingenommen: Der
erfolgreiche marktwirtschaftliche Betrieb soll nicht gestört werden, auch nicht
durch Besorgnis erregende Mitteilungen über neuartige Krankheiten. Dazu gehörte
auch die polizeiliche Aufforderung an Ärzte, keine Panik durch angebliche Fake
News zu verbreiten.
Das ist - im Ziel
wie in der Form - Bestandteil einer staatlichen Politik, die wirtschaftliches
Wachstum nur mit sehr bedingter Rücksicht auf gesundheitliche Belange ihrer
Bürger durchsetzt. Eine solche Politik, die mit gesundheitlichen Schäden der
Bevölkerung kalkuliert, ist zu kritisieren - in China ebenso wie in
Deutschland, wo genau diese Kalkulation keineswegs unbekannt ist, sondern Prinzip.
Vierter Vorwurf: "Die
'Washington Post' berichtet, dass Labore in Wuhan an Corona-Viren in
Fledermäusen geforscht haben, ohne höchste Sicherheitsstandards einzuhalten.
Warum sind ihre toxischen Labore nicht so abgesichert wie Ihre Gefängnisse für
politische Gefangene?"
Schlamperei in
"toxischen Laboren" - schon mal schön, wenn man einen solchen
Allerweltsvorwurf verbreiten kann. Aber so richtig gut und giftig wird er, wenn
man ihn kombiniert mit dem Feld, wo die Chinesen nicht schlampen, sondern
einfach Spitze sind. Und das sind - na klar doch: Gefängnisse für politische
Gefangene.
Ob Reichelt
wirklich etwas über die Behandlung von politischen Gefangenen in China weiß
oder Behauptungen einfach nur so raushaut - völlig egal. Ebenso egal, dass zur
Zeit gerade das gelobte Land der Freiheit mit allen Mitteln politischer
Erpressung gegenüber anderen Staaten versucht, jemanden für Jahrzehnte hinter Gitter
zu bringen, weil er US-amerikanische Schandtaten im Irak-Krieg publik gemacht
hat. Beziehungsweise nicht egal: BILD, Freund aller politischen Gefangenen, hat
kräftig mitgehetzt gegen Assange, den man ganz offenbar gerne in ein
"Gefängnis für politische Gefangene" schicken will …
Fünfter Vorwurf: "In
Ihrem Land tuschelt man bereits über Sie. Ihre Macht bröckelt."
Ja, das wünscht
ein deutscher Journalist einem Land wie China selbstverständlich aus ganzem
Herzen: eine schöne Führungskrise. Am liebsten auch noch eine, an der er selbst
ein bisschen mitgewerkelt hat - also schnell auf YouTube und darauf setzen,
dass seine ebenso dummen wie gemeinen Vorwürfe im repressiven China, in dem
angeblich "jede kritische Internetseite" dicht gemacht wird, Gehör
finden. Vielleicht gelingt der US-freundlichen BILD-Zeitung so ja auch ein
wenig "zivilgesellschaftliche" Diplomatie, wenn die Volksrepublik
sich auf diese Art und Weise düpiert fühlt und ihre Beziehungen zu Deutschland
verschlechtert …
Im Abspann seines
Briefs macht Reichelt jedenfalls noch deutlich, was für ihn der Anlass dieser
schönen Kampagne war. China hat nicht nur das Virus auf die Welt losgelassen.
Nein, es stellt sich der Welt nun auch noch großzügig als Helfer dar, liefert
Atemschutzmasken, Schutzbekleidung, medizinisches Gerät und Hilfspersonal. Der
BILD-Chef weiß auch hier zu unterscheiden: Das ist "nicht
Freundschaft", sondern "lächelnder Imperialismus".
Richtig erkannt,
Herr Reichelt - und wirklich interessant, was für linke Begriffe einem
völkischen Beobachter zur Verfügung stehen, wenn es aufs Desavouieren
missliebiger Staaten und die Verhetzung ganzer Völker ankommt. Apropos:
Schicken "wir" eigentlich Ärzte oder Waren in die Welt? Und
tituliert BILD in Zukunft auch deutsche Entwicklungshilfe, Katastrophenschutz
im Ausland und vielleicht sogar das "Brunnenbohren" in Afghanistan
als "Imperialismus", von mir aus als "lächelnden"? Oder ist
unser Schießen einfach schon per se Hilfe und deren Hilfe einfach per se
Imperialismus und schwarz ist weiß und weiß ist schwarz, weil es sowieso um
permanente Gehirnwäsche für deutsche Nationalisten geht.
Insgesamt
jedenfalls ein schönes Beispiel für deutschen Qualitätsjournalismus. Größere
Einwände "seriöser" Zeitungen oder der öffentlich-rechtlichen gegen
den Bild-Redakteur wurden bisher nicht gesichtet. Insofern kann man davon
ausgehen, dass - von Formfragen und einzelnen Übertreibungen einmal abgesehen -
die anti-chinesische Stoßrichtung nicht aus dem allgemeinen Rahmen fällt, das
Feindbild China im "weltoffenen", "toleranten" und
"aufgeklärten" Deutschland also allgemein geteilt wird.
Warum das so ist,
dazu in aller Kürze noch Folgendes.
Feindbild und
Feindschaft
Ein solches
Feindbild entspringt immer einer realen Konkurrenz und einer tatsächlichen
Feindschaft. Die Gründe dafür liegen im Fall China einerseits auf der Hand:
China ist das neue
ökonomische, politische und auch militärische Schwergewicht auf der Welt. Es
macht den EU-Europäern, die ihrerseits die Dominanz der USA attackieren wollen,
das Leben schwer, und die USA wiederum leiden darunter, dass ihre einzigartige
Supermachtstellung angegriffen ist und sie dieses Land nicht in ihre Weltordnung
einsortieren können.
Andererseits ist
mit diesem lapidaren Befund noch nicht viel erklärt. Denn auf diese Weise wird
die gesamte ökonomische und politische Ordnung dieser Welt als gegeben und
selbstverständlich unterstellt. Von da aus werden dann Chancen und Risiken der
einzelnen Konkurrenten betrachtet, deren jeweilige Strategien erörtert, um sich
entweder auf die eine oder andere Seite zu schlagen oder unparteilich
darüberzustehen. Die wesentliche Frage, warum und um was alle Staaten
konkurrieren und wieso sie das immer wieder in ein feindseliges, am Ende sogar
kriegsträchtiges Verhältnis zueinander treibt, bleibt dabei ungeklärt. Hier
zumindest einige Hinweise.
Moderne Staaten
leben nicht von Raub oder Plünderung, sondern von dem Wirtschaftswachstum, das
sie - zunächst an ihren "Standorten" - bewerkstelligen. Das aber
reicht weder ihren heimischen Unternehmen, die auf grenzenloses Kaufen,
Verkaufen und Investieren sinnen, noch ihnen selbst.
Auf der Basis
wechselseitiger Anerkennung souveräner Staaten haben sie deshalb den gesamten
Globus zu einem Weltmarkt als Mittel ihrer Bereicherung hergerichtet. Es hat
etliche kleine, große und kalte Kriege gedauert, bis es soweit war. Dann erst
war der exklusive, "kolonialherrschaftliche" Zugriff auf die Gebiete
in Übersee beendet und der "kommunistische Block", der das Prinzip
des freien Kapitalverkehrs ablehnte, überwunden.
Inzwischen gibt es
eine weltweit gültige Geschäftsordnung, nach der im Prinzip freier Austausch
von Waren und Kapital auf der ganzen Erde herrscht. Was damit etabliert wurde,
ist allerdings kein Verhältnis wechselseitigen Vorteils, keine
Win-win-Situation, wie gerne behauptet wird. Handel und Kapitalverkehr zwischen
kapitalistischen Nationen dienen der Bereicherung. Es gibt zwar Phasen, in denen
die diversen Regierungen davon schwärmen, dass ihre Handels- und
Investitionsverträge allen Beteiligten von Nutzen sind und es für alle
aufwärtsgeht. Letztlich aber werden die Erfolge eines Landes auf Kosten eines
anderen errungen - das zeigen Handels- und Leistungsbilanzen und vor allem der
Verlauf der Währungskonkurrenz. Und irgendwann - spätestens in aufkommenden
Krisensituationen - werden sich die Staaten auch dessen bewusst, dass ihre
schöne "Kooperation" durchaus ausschließenden Charakter hatte und hat.
Ökonomische
Kooperation macht also Konfrontation, am Ende sogar eine militärische
Auseinandersetzung, keineswegs überflüssig. Die populäre Vorstellung, dass
nicht geschossen wird, solange Handel getrieben wird, ist darin ganz und gar
verkehrt. Denn geschossen wird irgendwann, weil gehandelt wurde.
Auch wenn sich die
USA bisher an China ungemein bereichert haben, stellt sich für sie inzwischen
die Frage, ob sie weiterhin den Nutzen aus China-Geschäft und Welthandel ziehen
oder ob sich die Verhältnisse nicht umgedreht haben und China nun stärker
profitiert.
Zum
"friedlichen" Handel gehört die Gewalt notwendigerweise dazu, und
zwar von allem Anfang an, damit die Staaten einander überhaupt respektieren und
in ein ökonomisches Verhältnis miteinander treten, dann als stetige
Begleiterscheinung zur Abwicklung der ökonomischen Interessengegensätze und
schließlich als selbständiges strategisches Programm, um im globalen
Gewalthaushalt für sich günstige Positionen zu erobern.
Auch die
Bundesrepublik entwickelt - seit geraumer Zeit macht ihre politische Elite das mehr
und mehr deutlich - das Bedürfnis nach einer autonomen, vom "Schutz"
des amerikanischen Freundes emanzipierten geostrategischen Absicherung ihrer
"nationalen Interessen". Stichwort "Unsere globale
Verantwortung".
Dazu gehört dann
auch, das inzwischen schon sehr mächtig gewordene China irgendwie "in den
Griff zu bekommen" - gerade weil man dieses Land, das inzwischen bereits
seit drei Jahren in Folge wichtigster Handelspartner und auch drittgrößter
Investitionsstandort deutscher Unternehmen ist, ökonomisch unbedingt braucht.
Also versucht auch
Deutschland, geostrategische Positionen in Asien aufzubauen - als Teilnehmer am
Shangri-La-Dialog (dem asiatisch-pazifischen Pendant zur Münchner
Sicherheitskonferenz) und als Waffenlieferant an Singapur.
Gleichzeitig
möchte sich Berlin von der US-amerikanischen "Konfrontationspolitik"
absetzen. Bei der ist man erstens nicht gefragt worden, und man hält sie
zweitens auch nicht unbedingt für förderlich, schon allein deshalb, weil
angesichts bestehender Uneinigkeit in der EU und mangelnder eigener Mittel kein
hinreichend großer Einfluss auf China genommen werden kann. Um so wichtiger ist
es, wenn Deutschland seine diplomatischen Verhandlungspositionen mit einigen
kleinen Druckmitteln unterfüttern kann, die der chinesischen Regierung die
Verletzbarkeit ihres Erfolgswegs vor Augen führen:
Neben der
bewährten Menschenrechtswaffe (der Klage über mangelnde Pressefreiheit
und schlechte Behandlung der Oppositionellen) kommen vor allem die bereits
latent bestehenden Separatismusprobleme in Xinjiang und Tibet sowie
neuerdings in Hongkong aufs Tableau.
Gerade diese
Fragen eignen sich hervorragend, weil sie China in einem Kern treffen - der
souveränen Verfügung über Land und Leute als Mittel seines ökonomischen
Aufstiegs.
Dass eine uigurische
"Exilregierung" in München sitzen darf, der Dalai Lama
verehrter Gast bei deutschen Politikern ist, Joshua Wong, der Führer
der Hongkong-Demonstrationen, vom deutschen Außenminister Heiko Maas empfangen
wird, sind die Nadelstiche, mit denen die deutsche Diplomatie China berechnend
ärgert und die sie, wenn nötig, jederzeit zum ernstzunehmenden
Erpressungsmittel ausbauen kann.
Und gerade die
Grünen tun sich auf diesem Feld als moralische Scharfmacher hervor.
Die deutsche
Presse kann sich bei ihrem patriotischen Publikum darauf verlassen, dass es
Vorbehalte gegen jedes "Ausland" gibt. Die Feindschaft erzeugen muss
sie also nicht und könnte das auch nicht. Beim Feindbild aber ist sie in ihrem
Metier. Sie setzt die Konjunkturen der deutschen Außenpolitik im wahrsten Sinne
des Wortes ins BILD und bietet dem Publikum Orientierung bei der Frage, welche
"Regime" für "uns" gerade unten durch sind und welche
nicht. Ob erschütternde Reportagen des Alltags, Berichte über drangsalierte
Minderheiten oder korrupte und bösartige Herrschaften - dem Weltspiegel wie der
Bildzeitung sind da alle Mittel ihrer journalistischen Kunst recht, wenn es
darum geht, für jeden Bildungsgrad auf angemessene Art und Weise nationale
Stimmung zu machen.
Und wenn
irgendwann der nächste Tobias R. das alles bitter ernst nimmt und diejenigen
abknallt, die er für Deutschlands Feinde hält, hat Chefredakteur Reichelt schon
wieder schöne Schlagzeilen von einem "wirren Täter",
"Verschwörungstheorien", einem "grotesken Manifest" und so
weiter … (Renate Dillmann)