GOOGLE, APPLE, MICROSOFT, AMAZON, FB:Von Schattenbanken und Netz-Oligarchen
Fünf Konzerne dominieren das westliche Internet. Sie haben Milliarden Nutzer und sind Umschlagplatz für Unmengen an Daten. Wem gehören die digitalen Big Five?
Die fünf großen IT-Konzerne bestimmen den Markt, sei es auf den Märkten für PC-Betriebssysteme, mobile Betriebssysteme und App-Stores, sei es bei den Suchmaschinen, sozialen Netzwerken, Cloud-Dienstleistungen oder dem Onlinehandel. Mit ihrer Wirtschaftsmacht erreichen sie schwindelerregende Börsenwerte, die zwischen 510 Milliarden US-Dollar (Facebook) und 1,3 Billionen US-Dollar (Microsoft) liegen.
Inhalt:
- Google, Apple, Microsoft, Amazon, FB: Von Schattenbanken und Netz-Oligarchen
- Mächtige Gründer
- Die Digitalmacht der Schattenbanken
- Passives Kapital
- Die Schattenbanken als Anteilseigner
- Zuckerbrot und Peitsche
- Auswirkungen auf den Markt
So erfolgreich Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft sind, so geschickt scheinen sie sich gesellschaftlicher Verantwortung zu entziehen, etwa bei den Themen Datenschutz, Steuergerechtigkeit oder Arbeitnehmerrechte. Es wirkt, als ob diese fünf Konzerne machen können, was sie wollen; ihnen gehört schließlich das halbe westliche Internet. Allerdings haben sie selbst auch Eigentümer. Wer steht hinter den großen Silicon-Valley-Unternehmen, wer profitiert wirtschaftlich von ihnen und wer kann sie mit seinen Stimmrechten beaufsichtigen?
Um diese Frage zu beantworten, werfen wir einen Blick in die Welt der Finanzwirtschaft mit ihren komplizierten Konstrukten und ihrer teils kontra-intuitiven Logik. Die Protagonisten sind Menschen, die man als Oligarchen des westlichen Internets bezeichnen könnte, sowie junge, schwer greifbare Finanzakteure.
Ein Blick in die Berichte
Bei den digitalen Big Five handelt es sich um börsennotierte Unternehmen. Ihre Eigentümerstruktur lässt sich aus den Berichten der US-Börsenaufsicht SEC und den Listen der US-Börse Nasdaq herauslesen.
Stellenmarkt
Die Berichte zeigen, dass es zwei Typen von Eigentümern gibt, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Zum einen sind da die Gründer mit ihren Unternehmensanteilen, etwa Mark Zuckerberg (Facebook), Larry Page (Alphabet) oder Jeff Bezos (Amazon). Zum anderen zeigen die Berichte eine lange Liste von Finanzakteuren, von denen einige immer wieder auftauchen, etwa die Vanguard Group, Blackrock, State Street, T. Rowe Price oder Fidelity Investments.
Einer maximalen Personalisierung mit starken Gründern steht also eine extreme Entpersonalisierung mit technokratischen Finanzgebilden dar, die Gelder in Billionenhöhe verwalten.
Zunächst aber zu Zuckerberg, Page und Bezos.Mit ihren zu Weltkonzernen gewachsenen Startups sind die Gründer der Big Five zu Multimilliardären geworden und stehen allesamt in den Top 10 der reichsten Menschen der Welt.
Stellenmarkt
Amazon-Gründer Jeff Bezos gilt als reichster Mensch der Welt - und das, obwohl als Ergebnis einer Scheidung im Jahr 2019 etwa ein Viertel seines Aktienpakets an seine Exfrau, die Schriftstellerin MacKenzie Bezos ging. Aktuell besitzt Jeff Bezos 11,2 Prozent der Aktien an Amazon und MacKenzie Bezos etwa 3,9 Prozent. Allerdings verfügt Jeff Bezos über die Stimmrechte an ihren Anteilen und kommt somit auf 15,1 Prozent der Anteile am E-Commerce- und Cloud-Konzern Amazon.
Bei Microsoft ist der Gründeranteil bescheidener, Bill Gates hält 1,3 Prozent der Aktien. Gates hat sich im Laufe der letzten Jahre von immer mehr Anteilen getrennt.
Auch bei Apple gibt es keine dominierenden Einzelpersonen mehr. Auf Arthur Levinson, Vorsitzender des Boards von Apple, entfallen nur 0,03 Prozent und auf den Apple-CEO Tim Cook nur 0,02 Prozent der Aktien.
Die Oligarchen des Internets
Anders sieht es bei Facebook und Google aus. Spezielle Aktienkonstrukte sorgen dafür, dass die Gründer trotz ihrer Minderheitenanteile das Sagen im Unternehmen haben - und zwar durch eine Aufteilung in Aktien in unterschiedliche Klassen.
- 1 / 3
Der Jahresbericht von Facebook listet zum einen sogenannte Class-A-Aktien auf. Sie werden an der Börse gehandelt, eine Aktie entspricht einer Stimme. Mark Zuckerberg gehört weniger als ein Prozent dieser Anteile.
Daneben gibt es Class-B-Anteile mit dem zehnfachen Stimmrecht. Von diesen privilegierten Aktien hält Zuckerberg 81,8 Prozent. Das führt letztendlich dazu, dass er mehr als 53 Prozent aller Stimmrechte an Facebook Inc. auf sich vereint. Hinzu kommen noch die Stimmen der Class-B-Aktien von Facebook-Mitgründer Dustin Moskovitz - Zuckerberg übt aufgrund einer Vereinbarung dessen Stimmrechte aus. Insgesamt verfügt Mark Zuckerberg somit über 57,9 Prozent der Stimmrechte an Facebook. Eduardo Saverin, ebenfalls ein früher Mitgründer, hält 6,8 Prozent der Stimmrechte.
Auch bei Alphabet Inc., dem Mantel-Unternehmen von Google, gibt es ein solches System aus Class-A- und Class-B-Aktien. Hinzu kommen noch völlig stimmlose Class-C-Anteilsscheine. Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin halten keine der börsengehandelten Class-A-Aktien mit einfachem Stimmrecht, dafür aber zusammen 84 Prozent der Class-B-Aktien mit zehnfachem Stimmgewicht. Als Ergebnis kommt Page auf 26,1 Prozent und Brin auf 25,2 Prozent der Stimmrechte an Alphabet Inc.
Zuckerberg, Page und Brin könnte man als Oligarchen des westlichen Internets bezeichnen: Zuckerberg verfügt als Einzelperson über die Stimmenmehrheit an dem 510-Milliarden-Dollar-Unternehmen Facebook, zudem ist er dessen CEO. Page und Brin halten zusammen die Mehrheit an dem 870 Milliarden Dollar schweren Google-Mutterkonzern Alphabet. Zwar haben sie sich vor Kurzem aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Kraft ihrer Anteile können sie als Duo aber immer noch die grundlegenden Personal- und Strategieentscheidungen auf den jährlichen Hauptversammlungen treffen.
Die Digitalmacht der Schattenbanken
Nun zum zweiten Eigentümertypus, den Finanzakteuren. Deren Anteile an den digitalen Big Five bewegen sich zwischen wenigen Promille und mehr als acht Prozent. In den Börsenberichten fallen die immer gleichen Namen: The Vanguard Group, Blackrock, State Street Corp oder Fidelity Investments.
Stellenmarkt
Noch absurder ist es, dass die ersten beiden Plätze bei allen fünf IT-Konzernen identisch besetzt sind. Die Nummer eins ist stets The Vanguard Group Inc. Sie hält bei Amazon 6,4 Prozent der an der Nasdaq-Börse gehandelten Anteile, bei Apple 7,5 Prozent und bei Microsoft 8,2 Prozent. Die Nummer zwei ist Blackrock. Das Unternehmen hält bei Amazon 5,4 Prozent der Anteile, bei Apple 6,4 Prozent, bei Microsoft 6,8 Prozent. Bei Amazon, Apple und Microsoft ist der Anteil der Aktien identisch mit dem Stimmgewicht bei den Hauptversammlungen der Unternehmen.
Bei Alphabet und Facebook ist es wegen der unterschiedlichen Aktienklassen komplizierter. Vanguard hält 7,6 Prozent der Alphabet-Anteile (was 3 Prozent Stimmgewicht entspricht) und 7,6 Prozent der Facebook-Anteile (2,7 Prozent Stimmgewicht). Blackrock verfügt über 6,6 Prozent der Alphabet-Anteile (2,6 Prozent Stimmgewicht) und 6,6 Prozent der Facebook-Anteile (2,3 Prozent Stimmgewicht).
Vanguard, Blackrock und die anderen großen Geldverwalter werden oft auch Schattenbanken genannt. Sie stellen die Spitze der Kapitalwirtschaft dar und bündeln riesige Vermögen. Sie sammeln Gelder von Pensionsfonds ein, von wohlhabenden Stiftungen und Privatuniversitäten, von reichen Familien und teilweise auch von Kleinanlegern.
Die Vermögen bewegen sich in schwindelerregenden Sphären: Blackrock verwaltet laut letztem Quartalsbericht (1. Quartal 2020) 6,5 Billionen US-Dollar (6 Billionen Euro), Vanguard kommt laut Website - Stand Januar 2020 - auf 6,2 Billionen Dollar (5,7 Billionen Euro). Das ist jeweils deutlich mehr als das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik Deutschland. Allein der Microsoft-Börsenanteil von Vanguard ist 111 Milliarden US-Dollar wert, die Vanguard-Anteile an den fünf großen Internet-Konzernen summieren sich auf 342 Milliarden Dollar (Stand: Mitte April 2020).
Die Vanguard Group sitzt im US-amerikanischen Pennsylvania und ist der zweitgrößte Vermögensverwalter der Welt. Vanguard setzt sich aus etwa 400 einzelnen Fonds zusammen und hat Anteile an etwa 13.000 Unternehmen weltweit. Die Vanguard Group ist nicht an der Börse gehandelt, sondern basiert auf einer Art Genossenschaftsmodell. Die Eigentümer von Vanguard sind die einzelnen Fonds, allerdings nur die US-amerikanischen.
- 2 / 3
Außerhalb von Finanzkreisen ist Vanguard kaum bekannt, das ist bei Blackrock anders, dem größten Vermögensverwalter der Welt. Blackrock besteht aus mehreren Tausend Fonds und ist an etwa 16.000 Unternehmen beteiligt. Der Geldverwalter gilt als Prototyp einer Schattenbank.
Da Blackrock börsengelistet ist, sind Zahlen zu den Eigentumsverhältnissen verfügbar. Sie zeigen, dass es auch zwischen den beiden Schattenbanken erhebliche Verflechtungen gibt. Der zweitgrößte Anteilseigner von Blackrock ist mit 5,8 Prozent die Vanguard Group. Größter Blackrock-Eigner (mit 22 Prozent) ist die US-amerikanische Bank- und Vermögensverwaltungsgruppe PNC Financial Services Group. Der größte Anteilseigener von PNC ist mit 7,7 Prozent wiederum - die Vanguard Group. So schließt sich der Kreis.
Passives Kapital
Bei Vanguard und Blackrock handelt es sich um einen vergleichsweise jungen Typus von Finanzakteuren. Beim klassischen, aktiven Modell von Investmentfonds wählen Fondsmanager gezielt Firmen für ein Portfolio auf Basis von aufwendigen Marktrecherchen aus.
Stellenmarkt
Das Geschäftsmodell von Vanguard und Blackrock hingegen basiert überwiegend auf passiven Mechanismen: Die Fonds hängen sich schlicht an einen bestehenden Index an und bilden ihn nach. Sie kaufen beispielsweise Anteile an allen 500 Unternehmen im US-Börsenindex S&P 500 oder an allen 30 Unternehmen im Deutschen Aktienindex Dax - von jedem Unternehmen genau so viele, dass sie die Verteilung im S&P 500 oder im Dax replizieren.
Oft greifen sie auf externe Indizes zurück, erstellt von spezialisierten Index-Providern wie der britischen FTSE Group oder dem US-Unternehmen MSCI Inc. Solche Indizes sind Listen großer, mittelgroßer oder kleinerer Firmen aus verschiedenen Ländern und Weltregionen. Die Auswahl kann sich am Marktwert der Unternehmen orientieren oder bestimmte Wirtschaftsbereiche wie die Gesundheits-, Immobilien- oder IT-Branche abbilden.
Index-Fonds-Giganten wie Vanguard und Blackrock sind historisch gesehen eher neue Gebilde. Allein in den zwölf Monaten zwischen dem vierten Quartal 2018 und 2019 ist das von Blackrock verwaltete Vermögen um 24 Prozent gestiegen. Der Aufstieg geht auf zwei Entwicklungen zurück: Zum einen machen es niedrige Zinsen und Negativzinsen unattraktiv, Geld klassisch auf der Bank anzulegen.
Zum anderen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass der Mensch nicht den Markt schlagen kann. Die Wertentwicklung aktiv gemanagter Fonds, die aufwendig ein eigenes Portfolio zusammenstellen, ist langfristig nicht besser als die Performance des Marktes. Zumindest nicht so viel besser, dass es die oft hohen Gebühren rechtfertigt. Index-Fonds kommen mit weniger Personal aus und können deutlich niedrigere Gebühren verlangen.
Aufgrund der riesigen Summen, über die Vanguard und Blackrock verfügen, sind die beiden Schattenbanken an unzähligen großen Unternehmen weltweit beteiligt. Blackrock besitzt Aktien von allen 30 Dax-Unternehmen und ist bei etwa einem Viertel von ihnen größter Anteilseigener. Die Anteile, die Blackrock und Vanguard an den Unternehmen halten, setzen sich aus den Anteilen der jeweiligen Einzelfonds zusammen. Die insgesamt 7,5 Prozent, die Vanguard an Apple hält, sind die Summe aus den Apple-Aktien Dutzender Vanguard-Fonds.
Vanguard verwaltet absolut gesehen weniger Geld als Blackrock. Dass Vanguard mit seinen Anteilen bei allen digitalen Big Five vor Blackrock liegt, liegt daran, dass Vanguard lange Zeit fast ausschließlich in den USA aktiv war und sich erst vor Kurzem für andere Weltregionen geöffnet hat. Das Vermögen von Blackrock verteilt sich stärker über Unternehmen in der ganzen Welt.
Blackrock im Fokus der Kritik
Für viele ist Blackrock noch ein Buch mit sieben Siegeln. Larry Fink, dem umtriebigen Gründer und Chef von Blackrock, wird eigentlich nur ein Ziel nachgesagt: die Bedeutung privater Rentenvorsorge zu pushen - mit dem Kalkül, dass Sparer sowie private Rentenfonds in Zukunft Rentengelder bei Blackrock anlegen. Fink gilt als geschickter Lobbyist und Netzwerker. Blackrock gelingt es immer wieder, wichtige Figuren aus der Politik für das Unternehmen zu gewinnen und Blackrock-Personal in die Politik zu vermitteln.
Eine solche Personalie verhalf Blackrock auch hierzulande zu größerer Medienöffentlichkeit. Der Politiker und Anwalt Friedrich Merz, im Kampf um den CDU-Parteivorsitz erst gescheitert und jetzt erneut im Rennen, war lange Zeit Aufsichtsratschef und Chef-Lobbyist bei der deutschen Tochter von Blackrock. Er hat den Job Ende März aufgegeben, um sich wieder mehr der Politik zu widmen.
Blackrock wird nicht nur wegen seiner Anteile an Tausenden Unternehmen kritisch gesehen, sondern auch wegen eines zweiten Geschäftszweigs, einem Beratungs- und Datenanalyse-Geschäft. Kern ist die Aladdin-Datenbank. In die speist Blackrock riesige Mengen an Finanz- und Unternehmensdaten ein. Die Nutzung dieses Datenschatzes bietet Blackrock als Dienstleistung an.
Kunden sind andere Investmentverwalter, Industrieunternehmen und die Politik. Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank und Ministerien lassen sich von Blackrock beraten, in Europa wurde Blackrock beispielsweise mit der Durchführung des Stresstests von Banken betraut.
Somit hat das Blackrock-Management privilegierten Zugang zu Informationen und zu politischen Entscheidungsgremien. Zwar verspricht Blackrock, dass eine "chinesische Mauer" innerhalb des Unternehmens den Fluss sensibler Informationen vom politischen Beratungszweig hin zum Investmentzweig verhindere, doch das überzeugt nicht alle Kritikerinnen und Kritiker.
Die Schattenbanken als Anteilseigner
Was für ein Typ Anteilseigner sind Vanguard und Blackrock, diese schwer zu fassenden Finanzgebilde? Der absolute Börsenwert der Vanguard- und Blackrock-Anteile an den Big Five ist atemberaubend groß, prozentual bewegt sich der jeweilige Stimmrechts-Anteil aber zwischen überschaubaren 2,3 und 8,2 Prozent.
Stellenmarkt
Haben sie mit ihren Anteilen überhaupt einen tatsächlichen Einfluss? Drängen sie die Unternehmen auf maximale Profitabilität, auch unter Missachtung ethischer Standards? Oder nehmen sie, gemäß dem Motto "Eigentum verpflichtet" gesellschaftliche Verantwortung wahr, etwa wenn es Konflikte zwischen Profitabilität und Themen wie Datenschutz, Arbeitnehmerrechte oder Steuergerechtigkeit geht?
Die Vermutung liegt nahe, dass sich die überwiegend mit passiven Index-Fonds arbeitenden Geldverwalter auch als Anteilseigner passiv verhalten. Ihr Job ist auf den ersten Blick entspannt. Auch wenn Google oder Apple rapide an Wert verlieren sollten, müssten sie sich nicht dafür rechtfertigen. Sie haben die Unternehmen nicht selbst ausgewählt, sondern sich an einen bestehenden Index gehängt, etwa an den Index S&P 500, der nun einmal Google- und Apple-Aktien enthält.
Zudem fehlt ihnen ein wichtiges Mittel, um Druck auszuüben: Sie können nicht drohen, aus einem Unternehmen auszusteigen, wenn das Management nicht spurt. Bei Index-Fonds haben sie schlicht nicht die Möglichkeit, die Google- oder Apple-Aktien zu verkaufen, da sie sich verpflichtet haben, den betreffenden Index so abzubilden, wie er aussieht.
Dennoch stehen die großen Schattenbanken aber gerade in der Kritik, einen illegitim großen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen zu haben. Vom damaligen Vanguard-Chef William McNabb stammt ein Zitat, das in eine solche Richtung weist: "In der Vergangenheit haben manche fälschlicherweise angenommen, dass unser überwiegend passiver Management-Stil auch eine passive Herangehensweise an Unternehmensführung bedeuten muss. Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein."
Politik und Wissenschaft beginnen gerade erst zu verstehen, wie diese Einflussnahme aussieht.
"Hidden Power"
Der Politikwissenschaftler Jan Fichtner hat in seiner Studie Hidden power of the Big Three? für das Corpnet-Projekt der Universität Amsterdam das Abstimmungsverhalten der drei großen passiven Index-Fonds-Verwalter analysiert. Neben Blackrock und Vanguard zählte er noch den Geldverwalter State Street Corp hinzu, dessen Anteile an den digitalen Big Five allerdings deutlich hinter denen von Vanguard und Blackrock liegen. Golem.de hat sich mit Jan Fichtner über die Studie unterhalten.
Eine Erkenntnis von Fichtner und seinen Kollegen: Die Geldverwalter scheinen klar eine zentralisierte Abstimmstrategie zu haben. Obwohl sich das Stimmgewicht von Vanguard und Blackrock aus den Anteilen Dutzender Fonds zusammensetzt, agieren sie bei Abstimmungen als Block.
Das Abstimmverhalten könnte man als managementfreundlich bezeichnen, in mehr als 90 Prozent der Fälle folgen Vanguard und Blackrock den Empfehlungen des Managements der jeweiligen Firma. Das heißt, dass sie für beziehungsweise gegen einen Antrag stimmen, wenn das Management das empfiehlt.
Wenn die großen Geldverwalter (in Übereinstimmung mit dem Management) gegen einen Antrag stimmen, geht es oft um Vorstöße aus dem Themenbereich Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung (Environmental, Social and Governance). Bei Blackrock richteten sich 77 Prozent, bei Vanguard 44 Prozent der Gegenstimmen gegen solche Anträge.
Zuckerbrot und Peitsche
Und was ist mit den wenigen Fällen, in denen Vanguard und Blackrock gegen das Management stimmen? Laut Fichtners Erkenntnissen geht es in jeweils etwa der Hälfte der Fälle um Wahlen oder Wiederwahlen in das Board of Directors, den Machtkern des jeweiligen Unternehmens.
Stellenmarkt
Fichtners Folgerung: Üblicherweise verhalten sich Vanguard und Blackrock gegenüber dem Management kooperativ und stärken ihm auf Hauptversammlungen den Rücken. Ihren Einfluss machen sie in Hinterzimmer-Gesprächen geltend. Nur wenn sich das Management den Wünschen dauerhaft verweigert, strafen sie es öffentlich ab.
Die Strategie lautet: Zuckerbrot und Peitsche.
Gegen das Management zu stimmen, sagte Fichtner im Gespräch mit Golem.de, sei eher eine Ultima Ratio, die oft nicht zum Einsatz komme. Fichtner glaubt, dass die jeweilige Unternehmensführung vielleicht schlicht die Werte von Blackrock & Co verinnerliche. "Für das Management ist es rational, sich im Interesse der wichtigen Geldverwalter zu verhalten." Um zu verhindern, dass sie vielleicht irgendwann abgestraft werden und weil sie wissen, dass sie eventuell einmal auf das Wohlwollen von Blackrock und Vanguard angewiesen sind - beispielsweise, wenn es um kontroverse Themen wie Firmenübernahmen geht oder wenn aktivistische Aktionäre gegen das Management Stimmung machen.
Engagements heißen die persönlichen Hintergrundtreffen in der Sprache der Finanzverwalter, und über die Engagement-Aktivität gibt es viele Legenden. In Deutschland kursiert eine Aussage des Chefs des Energiekonzerns E.on über Blackrock: "Die lassen einen in ihr Headquarter antanzen."
Blackrock berichtet in seinen Annual Engagement und Votings Statistics von insgesamt 2.050 Treffen zwischen Sommer 2018 und Sommer 2019. Vanguard nennt keine absoluten Zahlen zu den Treffen, gibt in seinem Investment-Stewardship-Bericht aber die Zahl der Firmen an, mit denen es solche Treffen gegeben hat: Mit 868 der 13.225 Unternehmen im Portfolio, also längst nicht mit allen, habe es Engagements gegeben. In einer Liste der 868 Unternehmen stehen alle digitalen Big Five.
Anders als oft vermutet, scheinen die Geldverwalter die Unternehmen nicht an der kurzen Leine zu halten und längst nicht mit allen Unternehmen persönlich zu interagieren. Blackrock gibt an, dass in seinem Investment-Stewardship-Team nur "45+" Leute für die Beziehungen mit den Unternehmen zuständig sind.
"Die Stewardship-Abteilung ist natürlich ein Kostenblock", meint Jan Fichtner. "Bei 45 Leuten machen sich die Personalkosten kaum bemerkbar. Wenn man sich aber detailliert bei allen Firmen auskennen will, sei es beim Klimawandel und bei IT-Themen, müsste man Hunderte von Experten einstellen." Index-Fonds seien gerade deswegen so erfolgreich, weil sie wegen ihres kleinen Personalapparats so geringe Gebühren haben.
Auswirkungen auf den Markt
Insgesamt sind Blackrock und Vanguard jeweils an weit mehr als 10.000 Unternehmen beteiligt, die in ihrem jeweiligen Land oder ihrer Branche relevant sind. Mit dieser Konstellation geht einher, dass sie oft auch in etwa gleich große Anteile an direkten Wettbewerbern halten.
Stellenmarkt
Common Ownership heißt dieses Phänomen in der Wissenschaft: Ein Finanzakteur ist nicht nur an einem Konzern beteiligt, sondern gleichermaßen an allen großen Unternehmen einer Branche. Das sorgt nicht nur in der Zivilgesellschaft für Bauchschmerzen, sondern auch in wirtschaftsliberalen Kreisen. Man fragt sich dort, ob eine solche Konstellation nicht das Grundprinzip des Kapitalismus aushebelt.
Üblicherweise hat ein Anteilseigner ein Interesse daran, dass das jeweilige Unternehmen möglichst aggressiv und innovativ Marktanteile gewinnt - auch auf Kosten der Wettbewerber. Wenn wichtige Anteilseigner aber an allen Unternehmen einer Branche beteiligt sind, können sie daran kaum interessiert sein, sondern eher daran, dass es den Großen der Branche gleichermaßen gut geht.
Für Aufsehen sorgte eine 2017 veröffentlichte Studie zu Anti-Wettbewerbseffekten von Common Ownership in der US-Flugbranche. Durch statistische Verfahren hatte die Studie berechnet, dass Common-Ownership-Besitzverhältnisse bei Fluggesellschaften für einen drei- bis elfprozentigen Anstieg von Ticketpreisen verantwortlich waren. Eine spätere Studie zum Wettbewerb im US-Bankensektor sah einen auffälligen Zusammenhang zwischen überlappenden Eigentumsverhältnissen und höheren Bank-Gebühren.
Noch gibt es keine Untersuchung zur Auswirkung vom Common Ownership auf die Internet- und Technologiebranche. Fest steht, dass es auch hier große Überlappungen gibt. Vanguard und Blackrock sind größter beziehungsweise zweitgrößter institutioneller Anteilsinhaber bei Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft.
Und sie sind es in der gleichen Konstellation auch bei weiteren Schlüsselunternehmen: beim größten Router-Hersteller Cisco, dem größten Hersteller von PC-Chips Intel, dem größten Hersteller von Smartphone-Chips Qualcomm und auch bei IBM, Twitter und Ebay. Das bedeutet: Die Schattenbanken haben privilegierten Zugang zu Informationen und Entscheidungsgremien in allen relevanten Bereichen der Digitalwirtschaft.
Das globale Dorf
Vor allem die digitalen Big Five sind die Firmen, die das Netz bedeuten. Zu den Unternehmenswelten von Google, Facebook, Amazon, Microsoft und Apple gehören hunderte Millionen Macs und Windows-PCS, iPhones und Android-Smartphones sowie Milliarden an Nutzern von Facebook, Whatsapp, Linkedin, Google, Gmail, Youtube und Amazon.
So einmalig diese Unternehmen sind, so sehr ähneln sie anderen Großkonzernen auf der Welt. In puncto Eigentumsverhältnisse sind sie schlicht Kinder ihrer Zeit. Als börsengehandelte US-Unternehmen sind sie zum Teil im Besitz der immer gleichen Finanzakteure, an erster Stelle Vanguard und Blackrock.
Zum anderen unterscheiden sie sich grundsätzlich von anderen Großkonzernen. Auch bei Amazon, Facebook und Google sind Vanguard und Blackrock die größten institutionellen Anteilseigner, der 15,1-prozentige Stimmanteil von Jeff Bezos übersteigt jedoch die Anteile der beiden großen Schattenbanken zusammen.
Die Gründer von Facebook und Google haben es geschafft, über Aktienkonstruktionen bis heute die Stimmmehrheit an ihren einstigen Startups zu halten, aus denen hunderte Milliarden Dollar schwere Firmen geworden sind. Gesprächen mit Schattenbanken werden sich auch Mark Zuckerberg, Larry Page und Sergey Brin nicht gänzlich verweigern können. Wenn auf den Jahresversammlungen der Unternehmen über wichtige Strategie- und Personalentscheidungen abgestimmt wird, kommen Zuckerberg alleine sowie Page und Brin als Duo jedoch auch ohne die Stimmen der Finanzakteure auf eine Mehrheit.
Schaut man sich die Eigentumsverhältnisse der digitalen Big Five zusammen an, schrumpft das vielfältige, weltumspannende Universum des Internets auf eine überschaubare Gruppe zusammen. Würde man die Gründer der digitalen Big Five sowie das Personal der immer gleichen Finanzakteure an einem Ort versammeln, dürfte der Marktplatz eines kleinen bayerischen Dorfs ausreichend groß sein.
Das Internet ist also doch ein globales Dorf, ein "Global Village", wie es der frühe Medientheoretiker Marshall McLuhan einst ausgedrückt hat. Nur vielleicht auf eine andere Art, als man sich das damals vorgestellt hat.