Montag, 20. April 2020

War es das mit der Globalisierung?


Weltwirtschaft im Corona-Schock

Containerschiffe liegen in Chinas Häfen fest, Lastwagen stauen sich an innereuropäischen Grenzen. Die Corona-Krise führt die Grenzen der globalisierten Weltwirtschaft vor Augen.

von Marina Kormbaki

18.04.2020

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sieht die Welt vor einem Epochenwandel. Die Corona-Krise werde “die Natur der Globalisierung, wie wir sie seit 40 Jahren kennen, verändern”, verkündete Macron am Freitag in der “Financial Times”.

Von der Leyen: Lieferketten sollten verkürzt werden

Weniger apodiktisch, aber ebenso selbstgewiss klang EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, als sie kürzlich im Europäischen Parlament eine Exit-Strategie skizzierte. In einem Nebensatz gab sie der Wirtschaft des Kontinents einen diskreten Rat. Künftige Investitionen, so von der Leyen, müssten so angelegt sein, dass sie die Abhängigkeit von einzelnen Staaten mindern. Lieferketten sollten verkürzt und diversifiziert werden.
Zuvor hatte bereits Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire französischen Unternehmern aufgetragen, ihre Handelsbeziehungen zu überprüfen – mit dem Ziel, Abhängigkeiten von China und Asien im Allgemeinen zu reduzieren. Die US-Zollbehörde ist derweil dazu übergegangen, Masken, Handschuhe und Beatmungsgeräte, die für den Export bestimmt waren, zu beschlagnahmen.

40 Prozent wollen globale Handelsbeziehungen überdenken

In der Corona-Pandemie gerät der freie Warenverkehr ins Stocken. Regierungen und staatliche Akteure, die bisher auf die Unabhängigkeit des Marktes verwiesen, setzen diesem plötzlich Grenzen. Schlagartig treten Politikern und Unternehmern die Risiken grenzüberschreitender, weltweiter Produktion vor Augen. In Chinas Häfen stockt die Beladung von Containerschiffen, an europäischen Grenzen stauen sich die Lkw.
Ein jahrzehntelang um den Globus gesponnenes Handelsgeflecht erweist sich jetzt als Risiko. Corona zeigt die Grenzen der Globalisierung auf. Und die Wirtschaft zieht bereits Konsequenzen: Einer kürzlich durchgeführten, weltweiten Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young zufolge will jeder zweite Konzern seine Lieferketten verändern.
Weitere 40 Prozent wollen ihre globalen Handelsbeziehungen überdenken. Wird die Globalisierung jetzt zurückgedreht? Diese bange Frage treibt jetzt viele hierzulande um. Schließlich fußt der Wohlstand Deutschlands auf dem Export seiner Waren.

Politik versus Wirtschaft

Die Wirtschaft ist besorgt. “Corona und die politischen Antworten darauf haben die Wertschöpfungsketten massiv gestört”, sagt Stormy-Annika Mildner, zuständig für die Außenwirtschaftspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie.
“Ein Beispiel: Die EU-Kommission hat den Export von Schutzausrüstung an Nicht-EU-Staaten unter einen strengen Genehmigungsvorbehalt gestellt. Damit haben deutsche Unternehmen, die in den USA oder in China produzieren, plötzlich einen deutlich eingeschränkten Zugang zu Schutzausrüstungen aus Deutschland.”
Dies gefährde mitunter die Produktion. “Die politischen Reaktionen zur Eindämmung der Pandemie stehen mitunter im Widerspruch zu den Bemühungen, die ökonomische Krise in den Griff zu bekommen”, sagt Mildner.

China: Im Fokus der Auseinandersetzung

Ein Staat steht wie kein zweiter im Fokus der Auseinandersetzung mit den Sollbruchstellen der Globalisierung: China. Das Land, in dem das Coronavirus seinen Ausgang nahm, ist Deutschlands wichtigster Handels- und Importpartner. Der bis heute nicht behobene Mangel an Atemschutzmasken hierzulande ist das augenfälligste Beispiel für die Abhängigkeit Deutschlands von Importen aus China. Eine Abhängigkeit, die die deutsche Wirtschaft schon vor Corona plagte.

Amerikas Wirtschaft entkoppelt sich von China

“Hoffnungen auf eine Öffnung und Demokratisierung des Landes haben sich nicht erfüllt, stattdessen haben sich die Bedingungen für deutsche Unternehmen in China weiter erschwert”, sagt Mildner vom BDI. “Erzwungener Technologietransfer, Missachtung des Schutzes geistigen Eigentums und der subventionierte Aufbau von Überkapazitäten sind nur drei Beispiele für einen unfairen Wettbewerb.”
Die USA ziehen daraus längst Konsequenzen. “Decoupling” lautet die Losung der US-Wirtschaft – die “Entkopplung” vom chinesischen Markt steht weit oben auf der wirtschaftspolitischen Agenda. Sie begann nicht erst mit Donald Trump als US-Präsident, wird von ihm aber forciert.
Der Handelsstreit zwischen den geopolitischen Rivalen setzt auch die Europäer unter Druck, sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden. Der Streit um den Ausbau des 5G-Netzes unter Beteiligung des chinesischen Huawei-Konzerns ist dafür das prominenteste Beispiel.

Europa zwischen den Fronten

“Schon der Handelsstreit zwischen den USA und China hat uns die Risiken globaler Lieferketten vor Augen geführt”, sagt Max Zenglein vom Mercator-Institut für China-Studien in Berlin. “Im Unterschied zu Japan oder auch Taiwan, die bereits begonnen haben, ihre Lieferketten auf den Prüfstand zu stellen, reagiert Europa noch zu langsam”, sagt er.
Doch auch hier sei allmählich Bewegung spürbar, beobachtet Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament. “Viele Unternehmen verpflichten mindestens zwei Zulieferer für ein Teil und rücken vom ‘Just in time’-Prinzip ab, indem sie Lagerkapazitäten aufbauen”, sagt der SPD-Politiker.

“China wird der große Verlierer sein”

Lange ist sich sicher: “China wird der große Verlierer dieser Krise sein, wir werden eine große Produktionsverlagerung sehen.” Profitieren würden davon südliche und östliche Partnerländer außerhalb der EU, aber auch EU-Staaten in Süd- und Osteuropa mit niedrigeren Produktionskosten.
“Einige behaupten, jetzt zeige sich das hässliche Gesucht der Globalisierung. Aber ich warne davor, ihr Ende auszurufen”, sagt der Sozialdemokrat. “Ohne Globalisierung und Investitionen gibt es keine ökonomische Entwicklung auf dieser Erde. Wir können die Globalisierung nicht zurückdrehen, aber wir können sie fair gestalten”, betont Lange.
RND