25.04.2020
Was ist dran an den Vorwürfen
gegenüber China, vor allem aus den USA aber auch von der Bundesregierung, dass
China die Corona-Epidemie anfangs vertuscht habe?
Frank Sieren lebt und arbeitet seit 1994 in Peking als Journalist, Korrespondent und Autor. Unter den Büchern, die er veröffentlicht hat, sind Bestseller wie „Der China-Code“ oder das Gespräch mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt „Nachbar China“.
- Frank, ein ungewöhnlicher
Einstieg in ein Interview, aber wir leben auch in ungewöhnlichen Zeiten, wie
geht es Dir?
- Wir leben jetzt schon eine Weile in
Hongkong, also nicht mehr in Peking, wo die Fallzahlen vergleichsweise gering
sind. Hongkong hat etwa doppelt so viele Einwohner wie Berlin. Aber eben nur
vier Tote, während Berlin über hundert Tote hat. Da sieht man schon den
Unterschied und dass es dem Stadtstaat sehr gut gelungen ist, die Epidemie zu
bekämpfen.
- Nach alldem, was man weiß, sieht es
in China auch so aus, dass man in diesem großen Land deutlich besser
abgeschnitten hat als im Westen – in Europa und Amerika. In den Vereinigten
Staaten gibt es inzwischen zehnmal so viele Tote wie in China. Selbst wenn es
in China noch eine Dunkelziffer geben sollte – die haben ja auch schon einmal
um 1000 Tote nachgebessert – ist das doch ein gewaltiger Unterschied, der
schlicht und einfach damit zu tun hat, dass man früher reagiert hat und
natürlich in einem autoritären System viel härter und konsequenter durchgreifen
konnte.
- Könnte das chinesische Modell als
Vorbild für den Westen gelten?
- Das ist schwierig, weil es unterschiedliche
politische Systeme sind, einerseits und
andererseits, weil – und das ist glaube ich ist wichtiger – in den asiatischen
Gesellschaften insgesamt ein anderes Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft
besteht. Man ist also eher bereit, sich im Sinne der Gemeinschaft
zurückzunehmen. Das ist der große Unterschied und hat dazu geführt, dass über
ganz unterschiedliche politische Systeme hinweg die Epidemie sehr gut bekämpft
werden konnte: die Demokratie Südkorea auf der einen Seite, die Demokratie
Japan und das autoritäre System China auf der anderen Seite, dann die kleineren
Einheiten Taiwan, Singapur und Hongkong sind ja alles unterschiedliche
politische Systeme. Aber überall ist eigentlich das Ergebnis ähnlich, nämlich,
dass die Menschen selbst auch sehr früh reagiert haben und sich zurückgenommen
haben, ein größeres Verständnis für die Durchgriffe das Staates hatten. Das hat
dazu geführt, dass man viel früher eine größere Ausbreitung verhindern konnte.
- Nun gibt es viele Vorwürfe
gegenüber China, vor allem aus den USA, das begann ja im März beim Treffen der
G7-Außenminister: Eine gemeinsame Erklärung zur Corona-Krise ist da an den USA
gescheitert. US-Außenminister Mike Pompeo beharrte damals – wie auch sein
Präsident Donald Trump – auf der Bezeichnung
Wuhan-Virus. Zu Recht?
- Natürlich nicht, das sieht man ja
auch daran, dass die restlichen G7-Staaten nicht mitgespielt haben. Die Absicht
dieses Vorstoßes, war etwas zu offensichtlich, als dass die anderen Länder
darauf reingefallen wären. Das muss man vielleicht jetzt schon als Teil des
Wahlkampfes in den USA sehen und als Versuch natürlich, von den eigenen
Schwächen abzulenken. Donald Trump hat ja erst am 13. März den Notstand ausgerufen.
Der Notstand hat dann nicht etwa dazu geführt, dass der „Spring Break“, also
die Frühjahrsferien, sofort abgebrochen wurden, sondern die fanden noch statt
und es gab noch große Strandpartys in Florida um den 20. März herum. Da
hat man viel Zeit verspielt, und jetzt muss man versuchen, im Wahlkampf
irgendwie eine Position aufzubauen, die diese Schwächen verdeckt.
- Nun hat ja der US-Bundesstaat
Missouri die chinesische Regierung wegen der Coronavirus-Pandemie verklagt.
Peking habe die Welt über die Lungenerkrankung Covid-19 "belogen" und
zu wenig zur Eindämmung des Virus unternommen. Dies habe zu Erkrankungen,
Todesfällen und wirtschaftlichen Schäden weltweit und auch in Missouri geführt.
Soweit die Vorwürfe von Missouris Generalstaatsanwalt Eric Schmitt. Wie
beurteilst Du die Anklage?
- Die Chancen, dass die Anklage
durchkommt, ist, glaube ich, relativ gering. Auch da muss man, glaube ich, von
einer politischen Wahlkampfaktion sprechen. Natürlich war es so, dass die
chinesische Regierung am Anfang die Information vertuscht und zurückgehalten
hat. Dadurch ist wertvolle Zeit verloren gegangen. Dieser Vorwurf besteht, aber
andererseits kann man schon sagen, dass Ende Januar, Anfang Februar und dann
den ganzen Februar über die Informationen auf dem Tisch lagen und in
internationalen, medizinischen und wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert
worden sind – vor allem auch in Amerika –, so dass eigentlich alle Länder die
Informationen hatten. Taiwan hat sich ja sehr vorbildlich verhalten. Die haben
schon seit dem 31. Januar zusammen mit einer amerikanischen Fachzeitschrift am
Ende dann über 124 Maßnahmen veröffentlicht. Es wird schwierig, mit dieser
Argumentation zu gewinnen. Eine andere Frage ist noch: Was machen wir denn dann
mit der Finanzkrise 2008/2009? Die ging eindeutig von Amerika aus. Damals hat
ja auch niemand angefangen, die USA auf Schadenersatz zu verklagen. Deswegen
sollte man das jetzt nicht zu ernst nehmen und immer daran denken, es ist
Wahlkampf in den Vereinigten Staaten, da passieren dann schon mal eher
außergewöhnliche Dinge.
- In den USA gibt es immer mehr
Zweifel an der bisherigen Theorie, das Coronavirus sei auf einem Wildtiermarkt
in Wuhan entstanden. US-Geheimdienste untersuchen derzeit den Verdacht, wonach
das Virus in einem Bio-Labor
nahe Wuhan entstanden sein soll.
- Erst einmal unterstellt das ja,
dass das Virus künstlich sozusagen erzeugt wurde. Man hat inzwischen
wissenschaftlich ziemlich eindeutig bewiesen, dass das kein menschlich
erzeugtes Virus ist, sondern von diesen Fledermäusen stammt. Was man sagen
kann, ist, dass in diesem Labor mit den Fledermäusen gearbeitet worden ist. Was
man am Ende aber nicht belegen kann, ist, wo diese Fledermäuse herkommen.
Kommen sei vom Tiermarkt oder aus dem Labor? Das bleibt in der Tat offen. Das
ist aber am Ende wahrscheinlich eine eher sekundäre Frage. Wenn man das Thema
geklärt hat, dass es sich hier nicht um ein menschlich fabriziertes Virus handelt,
das dann irgendwie aus dem Labor entfleuchen konnte. Den anderen Punkt wird man
nie klären können, da wird man nur mit Wahrscheinlichkeiten operieren
können,und es ist natürlich sehr viel wahrscheinlicher, dass diese Fledermäuse
einfach auf dem Markt verkauft wurden, als dass jemand diese Fledermäuse, die
im Labor waren, dann sozusagen nach außen getragen haben soll.
- Der Autor Rüdiger Rauls schreibt in
einem Artikel: „Was in China als fahrlässige Unterdrückung der
Medienberichterstattung über das Virus gebrandmarkt wird, wird in Europa aufs
eigene Beispiel angewandt ganz großzügig als „keine Panik in der Bevölkerung
schüren, solange die Erkenntnislage so dünn ist“ verkauft. Wie siehst Du diesen
Ansatz?
- In China wurde zensiert,
manipuliert und vertuscht. Da müssen wir auch nicht drumherum reden. Das muss
man auch nicht relativieren, und da ist ein wenig Zeit verloren gegangen. In
Europa und im Westen ist die Zeit eher dadurch verloren gegangen, dass man
vielleicht sogar zu viel Informationen hatte und dass es eine Art Wettbewerb
der Politiker am Anfang gab: Wer ist der Coolste im Aussitzen dieses Virus?
Dadurch ist wertvolle Zeit verloren gegangen. Sowohl in Europa als auch in
Amerika, und der Coolste war sicherlich Donald Trump, der am allerspätesten
reagiert hat und jetzt die Quittung dafür bekommt. Das sind aber zwei
unterschiedliche Phänomene, die man fast nicht miteinander vergleichen kann.
Zensur bleibt Zensur und Nichthandeln bleibt Nichthandeln. Das ist schon noch
ein Unterschied.
- Befinden wir uns gerade in einem
Wettbewerb der Systeme? Liberal gegen autokratisch?
- Es gibt natürlich immer einen Wettbewerb der
Systeme. Der Erfolg in China, oder sogar
allgemeiner, der Erfolg in Asien führt natürlich bei unterschiedlichen
politischen Systemen dazu, dass das Selbstbewusstsein der Asiaten stärker wird,
und es sieht im Moment so aus, als ob China und Asien eher gestärkt aus der
Krise hervorgehen, auch wirtschaftlich und damit wiederum auch politisch, weil
sie natürlich viel kürzere Ausfall- oder „Lockdown“-Zeiten hatten und jetzt
schon wieder dabei sind, ihre Wirtschaft hochzufahren. Das wird natürlich
Auswirkungen haben. Ich würde es weniger auf das Thema politische Systeme
beziehen, sondern auf die Frage: Asien gegen Westen. Da wird es sicher
eine Verschiebung der tektonischen Platten geben. Darauf müssen wir uns
einstellen.
- Wie schon gesagt, die
Wirtschaftskrise 2008 ging von den USA aus. Wenn die USA jetzt gerade kein so
gutes Bild bei der Corona-Bekämpfung abgeben, was kann da noch auf uns
zukommen?
- Ja, wenn ich das wüsste. Es gibt
wahrscheinlich noch drei andere, die das gerne wüssten. Für Asien kann ich
sagen: Es ist wahrscheinlich das Schlimmste vorbei. Man ist wieder beim
Aufstieg, sozusagen. Das haben die Zahlen im März innerhalb des ersten Quartals
ganz deutlich gezeigt. Im Westen wird es schlicht und einfach davon abhängen,
wann man die Wirtschaft wieder anlaufen lassen kann. Das ist am Ende eine
politische Entscheidung. Man sieht ja in Europa, aber auch in den USA, dieses
Ringen der Unternehmer auf der einen Seite und der Politik und der Mediziner
auf der anderen Seite um die Frage, wann man wieder loslegen kann. Insofern
kann man diese Frage nicht beantworten. Ich glaube, es gibt aber einen ganz
wichtigen Punkt. Es darf nicht passieren, dass ein Großteil der Menschen, die
Unternehmen stilllegen mussten, nicht so über die Krise versorgt werden, dass
sie danach wieder mit ihrem Geschäft anknüpfen können. Wenn das nicht
gewährleistet werden kann, dann haben wir ein wirklich großes Problem. Wenn es
politisch gewährleistet werden kann, dass diese Unternehmen und Unternehmer
irgendwie über die Runden kommen und dann anknüpfen können, dann wird die Krise
nicht ganz so schlimm, wie wir sie bisher befürchten. Aber ob das eine oder das
andere passiert, kann man tatsächlich im Moment noch nicht sagen.
Frank Sieren lebt und arbeitet seit 1994 in
Peking als Journalist, Korrespondent und Autor. Unter den Büchern, die er
veröffentlicht hat, sind Bestseller wie „Der China-Code“ oder das Gespräch mit
dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt „Nachbar China“.