Sonntag, 26. April 2020

Corona-Pandemie: „China wird politisch und wirtschaftlich gestärkt aus der Krise hervorgehen“


25.04.2020

Was ist dran an den Vorwürfen gegenüber China, vor allem aus den USA aber auch von der Bundesregierung, dass China die Corona-Epidemie anfangs vertuscht habe?
Frank Sieren lebt und arbeitet seit 1994 in Peking als Journalist, Korrespondent und Autor. Unter den Büchern, die er veröffentlicht hat, sind Bestseller wie „Der China-Code“ oder das Gespräch mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt „Nachbar China“.

Frank, ein ungewöhnlicher Einstieg in ein Interview, aber wir leben auch in ungewöhnlichen Zeiten, wie geht es Dir?
- Wir leben jetzt schon eine Weile in Hongkong, also nicht mehr in Peking, wo die Fallzahlen vergleichsweise gering sind. Hongkong hat etwa doppelt so viele Einwohner wie Berlin. Aber eben nur vier Tote, während Berlin über hundert Tote hat. Da sieht man schon den Unterschied und dass es dem Stadtstaat sehr gut gelungen ist, die Epidemie zu bekämpfen.

- Also Hongkong scheint das gut gelungen zu sein, wie ist die Lage aktuell in China?
- Nach alldem, was man weiß, sieht es in China auch so aus, dass man in diesem großen Land deutlich besser abgeschnitten hat als im Westen – in Europa und Amerika. In den Vereinigten Staaten gibt es inzwischen zehnmal so viele Tote wie in China. Selbst wenn es in China noch eine Dunkelziffer geben sollte – die haben ja auch schon einmal um 1000 Tote nachgebessert – ist das doch ein gewaltiger Unterschied, der schlicht und einfach damit zu tun hat, dass man früher reagiert hat und natürlich in einem autoritären System viel härter und konsequenter durchgreifen konnte.

- Könnte das chinesische Modell als Vorbild für den Westen gelten?
- Das ist schwierig, weil es unterschiedliche politische Systeme sind, einerseits und andererseits, weil – und das ist glaube ich ist wichtiger – in den asiatischen Gesellschaften insgesamt ein anderes Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft besteht. Man ist also eher bereit, sich im Sinne der Gemeinschaft zurückzunehmen. Das ist der große Unterschied und hat dazu geführt, dass über ganz unterschiedliche politische Systeme hinweg die Epidemie sehr gut bekämpft werden konnte: die Demokratie Südkorea auf der einen Seite, die Demokratie Japan und das autoritäre System China auf der anderen Seite, dann die kleineren Einheiten Taiwan, Singapur und Hongkong sind ja alles unterschiedliche politische Systeme. Aber überall ist eigentlich das Ergebnis ähnlich, nämlich, dass die Menschen selbst auch sehr früh reagiert haben und sich zurückgenommen haben, ein größeres Verständnis für die Durchgriffe das Staates hatten. Das hat dazu geführt, dass man viel früher eine größere Ausbreitung verhindern konnte.

- Nun gibt es viele Vorwürfe gegenüber China, vor allem aus den USA, das begann ja im März beim Treffen der G7-Außenminister: Eine gemeinsame Erklärung zur Corona-Krise ist da an den USA gescheitert. US-Außenminister Mike Pompeo beharrte damals – wie auch sein Präsident Donald Trump – auf der Bezeichnung Wuhan-Virus. Zu Recht?
- Natürlich nicht, das sieht man ja auch daran, dass die restlichen G7-Staaten nicht mitgespielt haben. Die Absicht dieses Vorstoßes, war etwas zu offensichtlich, als dass die anderen Länder darauf reingefallen wären. Das muss man vielleicht jetzt schon als Teil des Wahlkampfes in den USA sehen und als Versuch natürlich, von den eigenen Schwächen abzulenken. Donald Trump hat ja erst am 13. März den Notstand ausgerufen. Der Notstand hat dann nicht etwa dazu geführt, dass der „Spring Break“, also die Frühjahrsferien, sofort abgebrochen wurden, sondern die fanden noch statt und es gab noch große Strandpartys in Florida um den 20.  März herum. Da hat man viel Zeit verspielt, und jetzt muss man versuchen, im Wahlkampf irgendwie eine Position aufzubauen, die diese Schwächen verdeckt.

- Nun hat ja der US-Bundesstaat Missouri die chinesische Regierung wegen der Coronavirus-Pandemie verklagt. Peking habe die Welt über die Lungenerkrankung Covid-19 "belogen" und zu wenig zur Eindämmung des Virus unternommen. Dies habe zu Erkrankungen, Todesfällen und wirtschaftlichen Schäden weltweit und auch in Missouri geführt. Soweit die Vorwürfe von Missouris Generalstaatsanwalt Eric Schmitt. Wie beurteilst Du die Anklage?
- Die Chancen, dass die Anklage durchkommt, ist, glaube ich, relativ gering. Auch da muss man, glaube ich, von einer politischen Wahlkampfaktion sprechen. Natürlich war es so, dass die chinesische Regierung am Anfang die Information vertuscht und zurückgehalten hat. Dadurch ist wertvolle Zeit verloren gegangen. Dieser Vorwurf besteht, aber andererseits kann man schon sagen, dass Ende Januar, Anfang Februar und dann den ganzen Februar über die Informationen auf dem Tisch lagen und in internationalen, medizinischen und wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert worden sind – vor allem auch in Amerika –, so dass eigentlich alle Länder die Informationen hatten. Taiwan hat sich ja sehr vorbildlich verhalten. Die haben schon seit dem 31. Januar zusammen mit einer amerikanischen Fachzeitschrift am Ende dann über 124 Maßnahmen veröffentlicht. Es wird schwierig, mit dieser Argumentation zu gewinnen. Eine andere Frage ist noch: Was machen wir denn dann mit der Finanzkrise 2008/2009? Die ging eindeutig von Amerika aus. Damals hat ja auch niemand angefangen, die USA auf Schadenersatz zu verklagen. Deswegen sollte man das jetzt nicht zu ernst nehmen und immer daran denken, es ist Wahlkampf in den Vereinigten Staaten, da passieren dann schon mal eher außergewöhnliche Dinge.

- In den USA gibt es immer mehr Zweifel an der bisherigen Theorie, das Coronavirus sei auf einem Wildtiermarkt in Wuhan entstanden. US-Geheimdienste untersuchen derzeit den Verdacht, wonach das Virus in einem Bio-Labor nahe Wuhan entstanden sein soll.
- Erst einmal unterstellt das ja, dass das Virus künstlich sozusagen erzeugt wurde. Man hat inzwischen wissenschaftlich ziemlich eindeutig bewiesen, dass das kein menschlich erzeugtes Virus ist, sondern von diesen Fledermäusen stammt. Was man sagen kann, ist, dass in diesem Labor mit den Fledermäusen gearbeitet worden ist. Was man am Ende aber nicht belegen kann, ist, wo diese Fledermäuse herkommen. Kommen sei vom Tiermarkt oder aus dem Labor? Das bleibt in der Tat offen. Das ist aber am Ende wahrscheinlich eine eher sekundäre Frage. Wenn man das Thema geklärt hat, dass es sich hier nicht um ein menschlich fabriziertes Virus handelt, das dann irgendwie aus dem Labor entfleuchen konnte. Den anderen Punkt wird man nie klären können, da wird man nur mit Wahrscheinlichkeiten operieren können,und es ist natürlich sehr viel wahrscheinlicher, dass diese Fledermäuse einfach auf dem Markt verkauft wurden, als dass jemand diese Fledermäuse, die im Labor waren, dann sozusagen nach außen getragen haben soll.

- Der Autor Rüdiger Rauls schreibt in einem Artikel: „Was in China als fahrlässige Unterdrückung der Medienberichterstattung über das Virus gebrandmarkt wird, wird in Europa aufs eigene Beispiel angewandt ganz großzügig als „keine Panik in der Bevölkerung schüren, solange die Erkenntnislage so dünn ist“ verkauft. Wie siehst Du diesen Ansatz?
- In China wurde zensiert, manipuliert und vertuscht. Da müssen wir auch nicht drumherum reden. Das muss man auch nicht relativieren, und da ist ein wenig Zeit verloren gegangen. In Europa und im Westen ist die Zeit eher dadurch verloren gegangen, dass man vielleicht sogar zu viel Informationen hatte und dass es eine Art Wettbewerb der Politiker am Anfang gab: Wer ist der Coolste im Aussitzen dieses Virus? Dadurch ist wertvolle Zeit verloren gegangen. Sowohl in Europa als auch in Amerika, und der Coolste war sicherlich Donald Trump, der am allerspätesten reagiert hat und jetzt die Quittung dafür bekommt. Das sind aber zwei unterschiedliche Phänomene, die man fast nicht miteinander vergleichen kann. Zensur bleibt Zensur und Nichthandeln bleibt Nichthandeln. Das ist schon noch ein Unterschied.

- Befinden wir uns gerade in einem Wettbewerb der Systeme? Liberal gegen autokratisch?
- Es gibt natürlich immer einen Wettbewerb der Systeme. Der Erfolg in China, oder sogar allgemeiner, der Erfolg in Asien führt natürlich bei unterschiedlichen politischen Systemen dazu, dass das Selbstbewusstsein der Asiaten stärker wird, und es sieht im Moment so aus, als ob China und Asien eher gestärkt aus der Krise hervorgehen, auch wirtschaftlich und damit wiederum auch politisch, weil sie natürlich viel kürzere Ausfall- oder „Lockdown“-Zeiten hatten und jetzt schon wieder dabei sind, ihre Wirtschaft hochzufahren. Das wird natürlich Auswirkungen haben. Ich würde es weniger auf das Thema politische Systeme beziehen, sondern auf die Frage: Asien gegen Westen. Da wird es sicher eine Verschiebung der tektonischen Platten geben. Darauf müssen wir uns einstellen.

- Wie schon gesagt, die Wirtschaftskrise 2008 ging von den USA aus. Wenn die USA jetzt gerade kein so gutes Bild bei der Corona-Bekämpfung abgeben, was kann da noch auf uns zukommen?
- Ja, wenn ich das wüsste. Es gibt wahrscheinlich noch drei andere, die das gerne wüssten. Für Asien kann ich sagen: Es ist wahrscheinlich das Schlimmste vorbei. Man ist wieder beim Aufstieg, sozusagen. Das haben die Zahlen im März innerhalb des ersten Quartals ganz deutlich gezeigt. Im Westen wird es schlicht und einfach davon abhängen, wann man die Wirtschaft wieder anlaufen lassen kann. Das ist am Ende eine politische Entscheidung. Man sieht ja in Europa, aber auch in den USA, dieses Ringen der Unternehmer auf der einen Seite und der Politik und der Mediziner auf der anderen Seite um die Frage, wann man wieder loslegen kann. Insofern kann man diese Frage nicht beantworten. Ich glaube, es gibt aber einen ganz wichtigen Punkt. Es darf nicht passieren, dass ein Großteil der Menschen, die Unternehmen stilllegen mussten, nicht so über die Krise versorgt werden, dass sie danach wieder mit ihrem Geschäft anknüpfen können. Wenn das nicht gewährleistet werden kann, dann haben wir ein wirklich großes Problem. Wenn es politisch gewährleistet werden kann, dass diese Unternehmen und Unternehmer irgendwie über die Runden kommen und dann anknüpfen können, dann wird die Krise nicht ganz so schlimm, wie wir sie bisher befürchten. Aber ob das eine oder das andere passiert, kann man tatsächlich im Moment noch nicht sagen.

Frank Sieren lebt und arbeitet seit 1994 in Peking als Journalist, Korrespondent und Autor. Unter den Büchern, die er veröffentlicht hat, sind Bestseller wie „Der China-Code“ oder das Gespräch mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt „Nachbar China“.