Corona als Chance zur
Neuordnung
06.02.2021
Norbert Häring
Merkel, Macron, von der
Leyen und andere internationale Spitzenpolitiker haben die Corona-Krise als
Chance zur Neuordnung der Weltpolitik auf Basis des Multilateralismus
bezeichnet...
In einem gemeinsamen
Plädoyer, das in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, (03.02.2021, S. 8)
und einer Reihe wichtiger internationaler Zeitungen abgedruckt wurde, fordern
António Guterres, Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron, Angela Merkel, Charles
Michel und Macky Sall “Mit multilateraler Kooperation die Krisen überwinden”.
Guterres ist Generalsekretär
der UN... Angela Merkel wurde früh vom Weltwirtschaftsforum als Young
Global Leader entdeckt und gefördert, ebenso wie Emmanuel Macron.
Ursula von der Leyen kennen wir als EU-Kommissionspräsidentin, der
Belgier Charles Michel ist EU-Ratspräsident und der senegalesische
Präsident Macky Sall darf den globalen Süden an den Tisch bringen, damit
die Runde wenigstens ein bisschen multilateral aussieht.
Beim digitalen Davos
Agenda Event des Weltwirtschafts- forums vom 26.-29.1. waren von der Leyen,
Macron und Merkel die ersten drei der auf
der Website des Forums präsentierten zehn Keynote-Speaker, Guterres
war der achte. Macky Sall ist im Newsletter des Forums von dem
Event mit einem langen Autorenbeitrag vertreten...
“Multilateralismus für
die Massen” heißt in zynisch anmutender
Offenherzigkeit (https://www.project-syndicate.org/commentary/multilateralism-for-the-masses-by-emmanuel-macron-et-al-2020-02) der Weblink unter dem das Werk
bei Project Syndicate abrufbar ist.
Project Syndicate ist
ein vom Milliardär und weltweiten Demokratisierungsunterstützer George Soros
finanziertes Publikationsorgan, über das die Botschaften der Mächtigen
an Zeitungen in aller Welt verbreitet werden, an diejenigen in
Entwicklungsländern umsonst.
Gemeinsam erfolglos gegen
die Übel der Menschheit
Der
Project-Syndicate-Beitrag fängt an mit “… Millenniumserklärung … gemeinsame
Ziele …. multilaterale Ordnung … Hunger und extreme Armut,
Umweltzerstörung, Krankheiten, wirtschaftliche Erschütterungen und
Konfliktprävention … 2015 UN-Agenda 2030 …”, dann wird eingeräumt,
dass alles, was man in diesen Zusammenhängen bisher getan und vereinbart hat,
allenfalls ein bisschen geklappt hat.
Und jetzt auch noch
Corona! Jetzt müssen wir es aber unbedingt multilateral
und diesmal richtig machen, lautet die Botschaft “für die Massen”:
“Wir glauben, dass diese
pandemische Krise eine Gelegenheit sein kann, durch effiziente
Zusammenarbeit, Solidarität und Koordination wieder einen Konsens über eine
internationale Ordnung zu erzielen – eine Ordnung, die auf Multilateralismus
und Rechtsstaatlichkeit beruht.”
Die Covid-19-Krise
als die seit Generationen größte Bewährungsprobe für die weltweite Solidarität
erinnert die sechs daran, dass angesichts einer Pandemie unser eigener
Gesundheitsschutz nur so stark sei wie das schwächste Glied in der globalen
Kette.
Die Pandemie
erfordere einen beschleunigten und breiteren Zugang zu Tests, Behandlungen
und Impfstoffen.
In diesem Zusammenhang
unterstützen die sechs uneingeschränkt die Plattform ACT-Accelerator,
die im April von der WHO und den G-20-Partnern auf den Weg gebracht wurde, die
(wer auch immer) stärker politisch und finanziell unterstützt werden soll.
Freie Übersetzung:
Wir denken überhaupt
nicht daran, die in lästiger Hartnäckigkeit von Südafrika und Indien
vorgetragene Forderung (heute sogar offiziell bei der Welthandelsorganisation
als Antrag) zu unterstützen und den Patentschutz für Covid-Impfstoffe und
-Medikamente auszusetzen, damit diese auch den Menschen in den ärmeren Ländern
zugute kommen können. Unsere Freunde beim Weltwirtschaftsforum und unsere
eigenen Pharmakonzerne, die an extrem hohe Gewinnmargen gewöhnt sind, würden
uns ganz schön den Marsch blasen, wenn wir so einen Präzedenzfall zuließen.
Dann wären wir immer wieder mit der Forderung konfrontiert, den doch so
einträglichen Patentschutz für unsere Konzerne aufzuheben oder zu lockern. Das
könnte irgendwann sogar – Gott behüts – dazu führen, dass die ärmeren Länder
ihren technologischen Rückstand teilweise aufholen und selber Dinge
produzieren, die sie bisher von uns teuer kaufen. Nein, da geben wir lieber ein
bisschen Geld, damit die ganz armen Länder wenigstens die kleinen Mengen
Impfstoffe, die wir nicht für unsere eigene Bevölkerung gesichert haben,
vergünstigt oder umsonst bekommen.’
Außerdem fordern die
sechs “den freien Fluss von Daten zwischen Partnern und die freiwillige
Lizenzierung geistigen Eigentums.” Freiwillig ist das Schlüsselwort.
“Langfristig”
brauche man zudem eine “unabhängige und umfassende Evaluierung unserer
Krisenreaktion”, damit man aus dieser Pandemie die notwendigen Lehren ziehen
und uns besser auf die nächste vorbereiten könne.
Übersetzung:
Es ist Krise und wir sind
uns alle selbst die Nächsten. Punkt. Langfristig, (politischer Ausdruck für
“wenn wir nicht mehr im Amt sind”) sind wir durchaus bereit, das zuzugestehen.
Lasst uns also jetzt mit eurer fruchtlosen kurzfristigen Kritik in Ruhe.’
Es geht weiter mit
Umweltthemen: “… Notlage … UN-Klimakonferenz in Glasgow … nachhaltiger
gestalten … ehrgeizige Verpflichtungen zur CO2-Neutralität…” Alle
Regierungen, Unternehmen, Städte und Finanzinstitutionen sollten jetzt der
globalen Koalition zur Reduzierung der CO2-Emissionen auf netto null beitreten,
wie sie das Pariser Klimaabkommen vorsieht – und konkrete Pläne und Maßnahmen
entwickeln, fordern die sechs.
Übersetzung:
Nehmt Euch ein Beispiel
am weltgrößten Finanzinvestor Blackrock, der für manche seiner Fonds äußerst
ehrgeizige CO2-Ziele aufstellt und entsprechende Briefe an Vorstandschefs schreibt,
während er mit anderen Fonds die größten Verschmutzer und Klimasünder
finanziert. Macht mit beim großen Öko-Bluff “Klimaneutralität”, der es uns und
unseren Konzernen erlaubt, den Massen eine grüne Fassade zu zeigen, ohne dass
es der Bilanz schadet.’
Dann wird die
Wirtschaftskrise bedauert und in vielen Worten die zunehmende Kluft zwischen
arm und reich, immer verdünnt und gleichgesetzt mit dem Geschlechter-Gleichberechtigungsproblem: “In
vielen Ländern ist die Kluft zwischen Arm und Reich untragbar geworden; Frauen
sind immer noch nicht gleichberechtigt, und viele Menschen müssen von den
Vorteilen der Globalisierung überzeugt werden.”
Dann wird es interessant.
Der Weltwirtschaft aus
der Krise zu helfen, die Millionen verhungern und verarmen lässt, passiert nur
unter der Nebenbedingung, dass dabei die Globalisierung in Gang zu halten ist:
“Während wir unseren
Volkswirtschaften helfen, die schwerste Rezession seit 1945 zu überwinden,
bleibt unsere Kernpriorität die Gewährleistung eines regelbasierten freien
Handels.”
“Regelbasierter freier
Handel”, heißt Handel nach den Regeln der Reichen Länder und ihrer
Konzerne, unter voller Wahrung ausufernder Rechte auf sehr langfristigen
Schutz patentierten geistigen Eigentums und der Möglichkeiten der
Konzerne dort keine Steuern zu bezahlen, wo sie ihre Geschäfte machen.
Er schließt
entwicklungspolitisch begründete Handels- und Kapitalverkehrskontrollen oder
Präferenzen für heimische Produzenten aus.
Man müsse sicherstellen,
dass der globale Aufschwung jeden erreicht, durch Stärkung der Unterstützung
für Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika: “Dabei sind bestehende
Partnerschaften wie die G-20-Initiative “Compact with Africa” und ihre
gemeinsamen Bemühungen mit dem Pariser Club im Rahmen der Initiative zur
Aussetzung des Schuldendienstes zu nutzen und auszubauen.”
Übersetzung:
Ja, wir lassen die
Entwicklungsländer und Afrika mit ihren Problemen allein, aber wir reden
wenigstens davon, ihnen zu helfen. Zum Beispiel reden wir wieder über den unter
deutscher G20-Präsidentschaft groß verkündeten und danach vergessenen und finanziell nicht bestückten “Compact
with Africa”, mit dem wir ohnehin nur die Bedingungen für ausländische Investoren dort verbessern wollten.
Und wir preisen die
Aktivitäten des Pariser Clubs der staatlichen Gläubiger, der bereit ist,
den uneinbringlichen Schuldendienst von Staaten, die besonders unter der
Covid-Krise leiden, vorübergehend auszusetzen.
Silicon Valley als
Nothelfer
Den letzten und wohl
wichtigsten Teil ihres Beitrags widmen die sechs der Propaganda für das
Silicon Valley, etwa so:
“Das Aufkommen neuer
Technologien ist ein großer Vorteil für den Fortschritt und die soziale
Integration: Sie trugen zur Offenheit und Resilienz von Menschen und
Gesellschaften, Volkswirtschaften und Staaten bei und erwiesen sich in der
Pandemie zugleich als lebensrettend.
Doch fast die Hälfte
der Weltbevölkerung – und mehr als die Hälfte aller Frauen und Mädchen auf
der Welt – ist weiterhin offline und kann diese Vorteile nicht nutzen.”
Es ist also zur
Krisenbewältigung eine der Top-Prioritäten der EU-Kommissionschefin, des
Generalsekretärs der UN und der Regierungschefs von Deutschland, Frankreich,
den Konzernen des Silicon Valley dabei zu helfen, die ganze Welt an ihre
Systeme anzuschließen, um mit deren Daten noch mehr Gewinn zu machen und noch
mehr Macht auszuüben.
Weil aber die Macht neuer
Technologien auch missbraucht werden könne, für Freiheitseinschränkungen,
Hetze und Straftaten, müsse man “einschlägige Akteure in eine wirksame
Regulierung des Internets einbeziehen, um eine sichere, freie und offene
digitale Umgebung zu schaffen”.
Es müsse sichergestellt
werden, “dass Datenströme in einem vertrauenswürdigen Umfeld fließen”. Mit
anderen Worten:
Die Massen und ihre
Regierenden in Afrika und andernorts sollen genug Vertrauen bekommen oder
behalten, dass sie dem anschwellenden Abfluss ihrer Daten ins Silicon Valley
und der Macht über sie, die sich dadurch dort ansammelt, ohne Widerstand
zuschauen.
Es folgt ein Plädoyer für
“integrativen Pluralismus” zur Bewältigung der Krise und Probleme der
Menschheit und danach eine Erläuterung, was damit gemeint ist, nämlich
Veranstaltungen wie das “Pariser Friedensforum”, die dazu dienten, “diese
Herausforderungen mit einer klaren Zukunftsvision zu
bewältigen.” Führungspersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Religion
und anderen Bereichen seien eingeladen, sich an diesem globalen
Gedankenaustausch zu beteiligen. Das klingt wie die Global Governance des
Stakeholder Kapitalismus nach Klaus Schwab und tatsächlich liest man in einem
werblich anmutenden Artikel auf Wikipedia über das “Pariser
Friedensforum” im ersten Absatz den aufschlussreichen Satz:
Das Pariser Friedensforum
vervollständigt die bestehende Weltagenda multilateraler Zusammenkünfte, indem
es eine spezielle Veranstaltung für Fragen der globalen Governance schafft, so
wie wirtschaftliche und finanzielle Fragen auf dem Weltwirtschaftsforum von
Davos und Sicherheitsfragen auf der Münchner Sicherheitskonferenz behandelt
werden.”
Das also ist mit
multilateraler global Governance gemeint, Weltwirtschaftsforum, Münchner
Sicherheitskonferenz und jetzt noch das Pariser Friedensforum.
Veranstaltungen, bei denen globale Konzerne der IT-, Rüstungs- und sonstigen
Industrie Gelegenheit bekommen, ihre Globalisierungs-Anliegen den
Regierungschefs und den Entscheidungsträgern der transnationalen Institutionen
nahezubringen – alles weitab von jeder Aufsicht durch gewählte Volksvertreter
und ohne jede Rechenschaft diesen gegenüber. Das ist ja schließlich das
Hauptanliegen der Global Governance: stabile Leitplanken für das Tun der
demokratisch kontrollierten und legitimierten Institutionen zu errichten.
Zum Steuerungskomitee des
Pariser Friedensforums gehören Wikipedia zufolge der Direktor des Global
Governance-Programms des Council on Foreign Relations und der Präsident
der Open Society Stiftung von George Soros.
https://kenfm.de/corona-als-chance-zur-neuordnung-von-norbert-haering/