Der Unterschied ist rasant: Während die USA und die EU beim Umgang mit China immer tiefer in eine verbale Hysterie verfallen, zeigt sich der östliche Wirtschaftsgigant eher gelassen. Woran liegt das? Ein Annäherungsversuch.
„Die Starken tun, was sie wollen, und die Schwachen ertragen, was sie müssen“, so der altgriechische Philosoph Thucydides. Vor dem Hintergrund einer sich ändernden Weltordnung wird die Stärke nicht zuletzt an den medialen Botschaften der führenden Politiker gemessen. Werden diese zu laut oder aggressiv, kommt der „Haltet den Dieb“-Vergleich wie gerufen.Diese „neue“ Aggressivität richtete sich zuletzt hauptsächlich gegen China. Die US-Mächtigen beschuldigen Peking nun aller Todsünden – von der Verbreitung des neuartigen Coronavirus über den Diebstahl von amerikanischem geistigem Eigentum bis hin zu Ansprüchen auf die globale Hegemonie. Es tauchen immer wieder Aufrufe auf, die US-Schulden an China in Höhe von über einer Billion US-Dollar nicht zu begleichen oder Peking für die Pandemie zur Rechenschaft zu ziehen und damit „Wiedergutmachung“ für die Verluste zu erpressen.
Die Rhetorik wird dabei immer härter. US-Außenminister Mike Pompeo erklärte kürzlich bei einem Auftritt in der Richard-Nixon-Bibliothek China praktisch den Kalten Krieg – so hat seine Rede selbst der Lieblingssender des US-Präsidenten Donald Trump, „Fox News“, interpretiert. Pompeo hat die Politik der chinesischen Behörden – auf die Kommunistische Partei reduziert – als eine „neue Tyrannei“ verurteilt, über die „die freie Welt“ triumphieren und dadurch die eigene „regelbasierte Ordnung“ verteidigen müsse, am besten im Rahmen einer neuen „Allianz der Demokratien“. Während Präsident Ronald Reagan sich beim Umgang mit der Sowjetunion noch auf die Strategie „Vertraue, aber prüfe nach“ gestützt hätte, wäre im Umgang mit China „Vertraue nicht und prüfe nach“ die richtige, so Pompeo.
Die EU erklärte ihrerseits vor kurzem China eine Art Infokrieg. Man werde gegen die Desinformation aus Russland und China, die „Infodemie“, stärker vorgehen, sagte Kommissions-Vizechefin Věra Jourová Anfang Juni in Brüssel. Auf die Nachfrage des Blogs „Lost in Europe“, inwiefern die beiden Länder in der Coronakrise systematisch Falschmeldungen gestreut und so die Gesundheit gefährdet hätten, erklärte Jourová, man habe keine Folgenabschätzung gemacht und könne daher auch keine Zahlen liefern. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell pochte seinerseits auf einer Zusammenarbeit der EU mit der Nato und den G7-Staaten gegen die chinesische Propaganda. Daraufhin leitete der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer sofort die sogenannte „Interparlamentarische Allianz zu China“ (Inter-Parlamentary Alliance on China – IPAC) in die Wege, eine Initiative, die China als „Systemrivalen“ postuliert. Ganz im Einklang forderte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Juni das Verteidigungsbündnis auf, sich stärker gegen Bedrohungen durch China zu wappnen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warf China in einem „Welt“-Interview vor, parallel zur neuen Seidenstraßen-Strategie Spionage zu betreiben und als „Systemwettbewerber“ seine Interessen „knallhart“ zu vertreten, auch in Hongkong. Das sei etwas anderes, als „wir im Kalten Krieg erlebt haben“, warnte Seehofer.
Es drängt sich die Frage auf: Und wie reagieren Peking bzw. seine Medien auf derartige Kampfansagen des Westens? Sind ihre Töne ebenfalls wie aus dem Kalten Krieg?
„Es ist für die Chinesen vorteilhafter…“
Die Chinesen seien für ihre „Soft Power“ in der Außenpolitik bekannt, kommentiert der Chefredakteur von Sputnik News in Peking, Andrej Kasparson. Dieses Prinzip komme zwar nicht in den offiziellen Dokumenten vor, werde aber in den Staatszeitungen wie „Renmin Ribao“ getragen. „Das heißt: Die Chinesen versuchen, Konfrontationen so weit wie möglich zu vermeiden, und selbst bei direkten Angriffen der USA reagieren sie, zumindest bis vor kurzem, so sanft wie möglich.“
Nach der Schließung des chinesischen Generalkonsulats in Houston durch die USA ließ Peking das US-Generalkonsulat in Chengdu schließen. Parallel hat Trump die Schließung weiterer chinesischer Auslandsvertretungen nicht ausgeschlossen. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, kommentierte die Beziehungslage als „unerwünscht“ und beschwor die USA, diese auf einen „normalen Entwicklungspfad“ zurückzubringen. „In China heißt es, dass die Spannung von den USA initiiert worden sei und die USA alle Grenzen überschritten und die Prinzipien zerstört haben, auf denen die Beziehungen zwischen den beiden großen Ländern aufgebaut waren“, sagt Kasparson weiter. Weiter weist er auf den rasanten Unterschied zwischen Trump und Xi Jinping hin.
„Hätten die Chinesen einen Anführer wie Trump, der sich zu jedem politischen Anlass auf Twitter – oder auf Weibo – echauffieren würde, dann stünde China bei seiner Bevölkerungszahl längst in Flammen. Klar ist es für die Chinesen vorteilhafter, sich nicht auf verbale Scharmützel oder Ping-Pong mit Pompeo einzulassen, sondern ihr Ding weiter zu machen. Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter.“
Was Peking jetzt viel mehr beschäftige als die Außenpolitik, seien das Wohlergehen des Volkes und die Sozialpolitik. Die Chinesen würden jetzt ihre gesamte Propagandakraft im Kampf gegen die Pandemie einsetzen. Auch werden in China die Ansprüche auf die Weltführung nicht öffentlich ausgesprochen. Ein gewisser Patriotismus und Kollektivismus seien dagegen bei den Chinesen schon im Blut, sodass sie nicht immer wieder aufgeklärt werden müssten.
Konfrontation gegen die Interessen der Völker?
Laut dem Professor am Institut für Internationale Beziehungen des Chinesischen Instituts für Massenkommunikation, Yang Mian, versucht Trumps Administration, sich als Held im Kampf gegen China darzustellen und im Wahlkampf einen persönlichen Gewinn für Trump zu erzielen. Eine Konfrontation laufe den Interessen der Völker der Vereinigten Staaten und Chinas zuwider, so Yang gegenüber Sputnik. Trump setze auf Provokationen, um die Aufmerksamkeit von den inneren Problemen abzulenken.Parallel ist aus unterschiedlichsten Ecken zu hören, dass China an freundschaftlichen Beziehungen zu allen Ländern interessiert sei. Wie lässt sich das erklären?
„Klar verfolgt jedes Land in der Außenpolitik seine eigenen Zwecke“, kommentiert Kasparson weiter.
„In diesem Sinne propagiert China nicht anderen Ländern freundschaftliche Beziehungen, sondern zugunsten des eigenen Volkes. Im Fall mit den USA ist das schon allein das wirtschaftliche Interesse. Dazu haben sie in der Sprache viele Redewendungen, die das Gesicht betreffen – wie etwa ‘das Gesicht wahren’. Es sind allgemein akzeptierte Spielregeln, wie etwa am Verhandlungstisch zu lächeln, und eine Reihe von Formulierungen, die chinesische Propagandisten kennen, basierend auf der Gleichheit, der Achtung der gegenseitigen Interessen, der Freundschaft, der Entwicklung und so weiter.“
Wie sich diese „Freundschaft“ einzuschätzen lässt, dürfte ein Blick auf Afrika zeigen. Da würden die einen sagen, China kaufe Afrika auf. „Wenn China aber in die Infrastruktur des afrikanischen Kontinents investiert, warum nicht? Die Afrikaner dürften froh sein, dass ein so technologisch fortschrittlicher Staat ihnen hilft“, weist Kasparson auf die andere Seite der Medaille hin.
Mentalitätsunterschiede als Schlüssel
Die Politologen gehen ebenfalls davon aus, dass die Vereinigten Staaten in der nächsten Runde der Handelsverhandlungen mit China neue Trümpfe brauchen würden, um mit dem Land der Mitte am Tisch aus der Position der Stärke zu sprechen. Ob das alles so für China passt? Laut dem Professor am Institut für Internationale Beziehungen der Volksuniversität von China, Shi Yinhong, sind die Anmaßungen Pompeos nichts weiter als ein Versuch, Druck auf China auszuüben und letztendlich durch Sanktionen und Zwangsmaßnahmen seine weitere Entwicklung zu verhindern. „Dies dürfte es den Vereinigten Staaten erleichtern, die Kontrolle im Asien-Pazifik-Bereich und auf der ganzen Welt zu behalten.“
Natürlich wirke die Aktivität Chinas alarmierend, gibt Kasparson zu. Der Staat sei stark und agiere stark, wobei manche Schritte der Amerikaner bei einem ein Gefühl der Schwäche hervorrufen würden. Eine Gefahr durch China schließt der Chefredakteur der chinesischen Sputnik-Redaktion nicht komplett aus, hält sie aber für überzogen. Grundlegend gebe es dort „einen sehr tiefen Unterschied in der Mentalität“ der Menschen, die China nicht kennen.Wie stark sich die westliche Mentalität von der chinesischen unterscheidet, zeigt unter anderem die Popularität des Ausdrucks Baizuo (ausgesprochen wie Bei-tsua) im chinesischen Netz seit 2015. Als Baizuo wird ein vermeintlich gebildeter, aber sehr naiver Mensch aus dem Westen bezeichnet, der sich offensiv für Frieden, Gleichheit und gegen Rassismus einsetzt, dies aber nicht der Sache wegen tut, sondern schlicht, um sein eigenes Gefühl der moralischen Überlegenheit zu befriedigen. Ein Baizuo kümmert sich grundsätzlich nur um Themen, bei denen im Westen leicht gesellschaftlicher Applaus verdient werden kann (wie Einwanderung, Migration, LGBT, Klimawandel) und klammert dabei geopolitische, historische und tiefere Zusammenhänge grundsätzlich aus. Dies soll meist aus Unwissenheit, oft aber auch aus Angst geschehen, den Weg der (vermeintlichen) politischen Korrektheit zu verlassen und damit auch den gesellschaftlichen Beifall für sein Gratis-Engagement zu verlieren. Auch Angela Merkel wurde 2017 öfter als Baizuo verunglimpft.