11 Apr. 2021
von Bernd Murawski
Nach 30 Jahren
Abwesenheit ist der Begriff "Systemwettbewerb" wieder
allerorts präsent. Diesmal heißt der Kontrahent nicht Sowjetunion, sondern China.
Das Land wird als größere Herausforderung für die westlichen Demokratien
angesehen als seinerzeit das Sowjetimperium.
Der Hauptgrund ist das
bedeutendere Wirtschafts potenzial bei gleichzeitig starker Verflechtung mit
den westlichen Volkswirtschaften.
Während das
US-amerikanische Bruttosozialprodukt das sowjetische Mitte der 80er-Jahre um
den Faktor drei übertraf,
wird China noch in dieser Dekade zu den USA aufschließen.
Nach Kaufkraftparität ist
die chinesische Wirtschaftsleistung bereits jetzt größer.
Ebenfalls befindet sich
die Infrastruktur in einem weitaus besseren Zustand, dasselbe wird von
der Innovationskraft angenommen.
Im
Kalten Krieg gegen China haben die USA schlechte Karten (Teil 1)
Im Westen ist die
Auffassung verbreitet, dass die immensen wirtschaftlichen Fortschritte Chinas
nicht nur auf dem Rücken der Bürger, sondern auch durch Anwendung von Zwang
erreicht wurden. Berichte über extreme Ausbeutung in
Exportproduktionsstätten, eine gewaltige Zahl an Wanderarbeitern,
massive Umsiedlungen im Zuge von Staudammprojekten und unerträgliche Umweltbedingungen
erschienen während der letzten Jahrzehnte wiederholt in den Medien.
Das Bild drangsalierter
chinesischer Bürger deckt sich jedoch nicht mit den Ergebnissen internationaler
Vergleichsstudien:
Nach dem Edelman
Trust Barometer vertrauen 90 Prozent der
Landesbewohner ihrer Regierung. Für Deutschland wird ein Wert von 45 Prozent
angegeben, für die USA 39 Prozent und für Großbritannien nur 36
Prozent. Den höchsten Betrag eines westlichen Staats erreichen die
Niederlande mit 59 Prozent.
Nicht nur der hohe
Zufriedenheitsgrad der Bevölkerung stellt westliche Narrative in Frage. Wer
sich heute in China bewegt, wird ein Entwicklungsniveau vorfinden, das mit
jenem südeuropäischer Länder vergleichbar ist.
Unterschied zu Indien
Der Unterschied zu Indien
– ich habe beide Staaten während der letzten Jahre bereist – ist gewaltig: keine
Slumgürtel um die Großstädte, keine unterernährten, in Lumpen
gekleideten Kinder und Greise an den Straßenrändern, geordnete
Verkehrsverhältnisse mit ausgebautem öffentlichen Netz, attraktive
Grünviertel anstelle der in Indien allerorts vorfindbaren Müllberge. Die Schadstoffbelastung
der Luft ist in chinesischen Großstädten deutlich gesenkt worden, während
sie bei meinem Aufenthalt in Neu-Delhi unerträglich war.
Hierbei ist
hervorzuheben, dass sich beide Länder noch vor 30 Jahren auf einem ähnlichen
Entwicklungsniveau befanden und ebenso Indien wirtschaftlich aufgeholt hat.
Es ist naheliegend
anzunehmen, dass es diktatorischer Vollmachten einer Regierung bedarf, um
Hunderte Millionen Menschen innerhalb weniger Dekaden aus der Armut zu führen,
eine wachsende Mittelschicht zu generieren und ein Land zu einem
wirtschaftlichen Powerzentrum umzuformen.
Wer tiefer in die
chinesische Geschichte und Kultur eindringt, findet eine weitaus
differenziertere Erklärung. Um die Unterschiede zum westlichen politischen
System zu begreifen, seien dessen Prinzipien kurz skizziert.
Kooperationsabkommen
zwischen Iran und China: Ein alternatives Modell zur globalisierten Weltordnung
Das unterschiedliche
Menschenbild
Unsere abendländische Zivilisation
stellt das Individuum in den Mittelpunkt.
Der Staat
erscheint als Gegenspieler, der als Verwalter des Allgemeininteresses geneigt
ist, den Entfaltungsspielraum der Bürger zu beschneiden.
Das Rechtssystem
inklusive der Unabhängigkeit der Gerichte dient daher nicht nur dem Schutz vor
kriminellen Akteuren, sondern auch vor der Übermacht des Staates.
Die Existenz von
Interessendivergenzen führt zur Gründung von Parteien und Verbänden, die
sich um Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse bemühen.
Es besteht nun aber die Gefahr,
dass führende Mitglieder jener Organisationen im Verbund mit mächtigen
Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur Sonderinteressen verfolgen.
Westliches
Werteverständnis
Da das Postulat
maximaler persönlicher Entfaltung nach westlichem Werteverständnis einen höheren
Rang besitzt als gesamtgesellschaftliche Verantwortung, kann es als Vehikel
dienen, eine elitäre Position zum eigenen Vorteil zu nutzen und
abzusichern.
Damit dieser Fall nicht
eintritt, verfügen die westlichen Gesellschaftssysteme über Instrumente, die
den Aktionsspielraum der Eliten beschränken und eine demokratische
Entscheidungsfindung gewährleisten:
ein allgemeines
Wahlrecht, öffentliche Meinungsfreiheit, das Recht zur Gründung politischer
Vereinigungen, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenrechte.
Das konfuzianische
Weltbild
Dagegen ist die
chinesische Denkweise durch das konfuzianische Weltbild geprägt, das
harmonische zwischenmenschliche Beziehungen zum Leitziel erhebt. Vom
Individuum wird ein Höchstmaß an Rücksichtnahme auf seine Mitbürger verlangt.
Der Einzelne wird aufgefordert, von Begierden und Interessen Abstand zu nehmen,
die dem Allgemeinwohl schaden.
Besondere Erwartungen
richten sich an Personen, die sich in einer einflussreichen Position befinden. Korruption,
Steuerhinterziehung und andere Bereicherungsformen zulasten der
Gemeinschaft gelten als schweres Delikt und werden im Extremfall mit
dem Tod bestraft. In der Allgegenwart des Korruptionsthemas spiegelt sich
mehr ein hoher moralischer Anspruch als ein tatsächliches gesellschaftliches
Problem wider.
Dies wird durch
westliche Vergleichsstudien bestätigt,
die ein relativ geringes Ausmaß an Korruption in China konstatieren,
obwohl die verwendeten Beurteilungskriterien eine prowestliche Interpretation
begünstigen.
Aufstieg
Eurasiens: Neue Konzepte zur Eindämmung von globalen Ambitionen des Westens
Wie weit persönliche
Freiheitsrechte im gesellschaftlichen Gesamtinteresse zu beschneiden sind,
legt in letzter Instanz die kommunistische Führung fest. Sie übernimmt damit
die historische Rolle von kaiserlicher Exekutive und konfuzianischen Gelehrten.
sozioökonomische
Menschenrechte
Es wird ein Menschenrechtsbegriff
als Basis unterlegt, der die sozioökonomischen Rechte der
Grundversorgung (Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinische Behandlung) und
des Zugangs zu Bildung und Kultur favorisiert.
Andere in der
UN-Menschenrechtskonvention enthaltenen Rechte und Freiheiten werden den
Bürgern so weit zugestanden, wie sie in Einklang mit gesellschaftlichen
Interessen und Erfordernissen stehen.
Strukturen und
Mechanismen, mittels derer im Westen die freie Entfaltung der Individuen
organisiert und in gemeinsames politisches Handeln überführt wird,
erscheinen im gesellschaftlichen Umfeld Chinas als unnötig und sind daher kaum
entwickelt.
Der Hauptort politischer
Willensbildung und Entscheidungsfindung ist die kommunistischen Partei,
der immerhin rund zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung angehören.
Laut Parteistatut wird
ein offener Meinungsaustausch angestrebt, ebenso wird das Einbringen
abweichender Sichtweisen als wünschenswert deklariert. Wenn diese
Gelegenheit unzureichend genutzt wird, dann weniger, weil Repressalien durch
höhere Instanzen befürchtet werden. Der wohl gewichtigste Grund ist das große Vertrauen
in die Kompetenz und moralische Integrität der Parteielite, was zu einer
passiven Haltung verleitet.
Historischer Wandel in
China und im Westen
Seit dem Bestehen der
Volksrepublik China war die Vertrauensbasis mehrfach gestört.
Im Zuge der Konsolidierung administrativer Strukturen breiteten sich Korruption
und Selbstgefälligkeit aus, was zu wachsender Unzufriedenheit und sinkender
Leistungsbereitschaft der Bürger führte und die wirtschaftliche Entwicklung
bremste.
Die "Revolutionäre
der ersten Stunde" mit Mao Tsetung an der Spitze sahen sich aufgefordert,
ihre Autorität einzusetzen und Korrekturmaßnahmen zu ergreifen. Sowohl der "Große
Sprung nach vorn" Ende der 50er-Jahre als auch die Kulturrevolution
von 1966 bis 1976 zielten vornehmlich auf die Wiederherstellung der
moralischen Integrität der politischen Elite ab.
Wegen der damit
einhergehenden wirtschaftlichen Rückschläge bedurfte es bald einer
weiteren Korrektur mit pragmatischem Gehalt, um das Vertrauen der Bürger
wiederzuerlangen.
China
kritisiert USA für Spannungen: "Fahren unsere Kriegsschiffe in den Golf
von Mexiko?"....
Während der 80er-Jahre
entschied sich nicht nur die chinesische Führung für eine grundlegende wirtschaftspolitische
Neuausrichtung, sondern ebenfalls die Regierungen der westlichen Welt. Die
jeweiligen Wertesysteme blieben zwar in ihren Grundfesten erhalten, sie wurden
jedoch auf die neuen Herausforderungen hin justiert.
Während die Umorientierung
Chinas eine Vielzahl positiver Impulse brachte, war die im Westen
vollzogene neoliberale Wende das Startsignal für wirtschaftliche Stagnation
und eine wachsende Unzufriedenheit der Bürger.
Gemäß der Annahme von
Adam Smith, dass der wirtschaftliche Erfolg Einzelner den allgemeinen Wohlstand
anhebe, überließen die Führungen der westlichen Staaten der "unsichtbaren
Hand" des Marktes und der Privatinitiative ein immer größeres
Wirkungsfeld.
Zwingend folgte ein Machtverlust
politischer Instanzen. Staaten gerieten in Konkurrenz zueinander und sahen
sich veranlasst, potenzielle Investoren durch Vorleistungen,
Steuerermäßigungen, günstige Kredite und Bürgschaften zu ködern. Damit
Großsteuerzahler nicht Vermögenswerte in Steueroasen verschieben, wurden
sie durch geringere Steuersätze und Verzicht auf Vermögensbesteuerung günstig
gestimmt.
Ein Wachstum der Einkommens-
und Vermögensunterschiede war die unausweichliche Folge. Da reiche
Privathaushalte ihr Konsumvolumen nicht steigerten, weil dieses ja bereits ein
maximales Niveau erreicht hatte, führte die Umverteilung von Arm zu Reich
zu einem tendenziellen Nachfrageschwund der
Endverbraucher.
Eine Ausweitung der
Produktion lohnte sich immer weniger, sodass Investitionen vorrangig dem Zweck
von Kosteneinsparungen dienten, was die Lage weiter verschärfte. Die Wirtschaft
begann zu stagnieren, die Mittelschicht erodierte, öffentliche Haushalte
gerieten unter wachsenden Finanzdruck und gesellschaftliche Leistungen wurden
reduziert, was an den Grundlagen des westlichen Gesellschaftsmodells nagte.
Bidens
Anti-China-Kampagne zieht nicht: Südkorea und China vereinbaren weitere
Kooperation
Der Gelbwesten-Aufstand
in Frankreich, die Querdenker-Demonstrationen in Deutschland und
vielfältige Proteste in der gesamten westlichen Welt signalisieren neben dem Vormarsch
rechtspopulistischer Parteien eine wachsende Unzufriedenheit.
Zu den am härtesten
betroffenen Staaten gehören bezeichnenderweise die Wegbereiter des
Neoliberalismus unter dem Gespann Reagan-Thatcher:
Die Wahl Donald Trumps
zum US-Präsidenten und die Brexit-Entscheidung der britischen Bürger sind ein
unverkennbares Zeugnis.
Chinas wirtschaftlicher
Aufstieg
Die chinesische Führung
hat das Heft des Handelns in keiner Phase aus der Hand gegeben, wenn sie auch
nach der wirtschaftlichen Öffnung mit neuen Partnern kooperieren musste.
Der Aufstieg des Landes
begann mittels einer ausgeprägten Exportorientierung nach dem Vorbild der
"asiatischen Tiger". Diese stützte sich wesentlich auf die
geschäftlichen Kontakte und Marketing-Erfahrungen chinesischstämmiger Experten
aus Hongkong, Taiwan und Singapur. Nur allmählich gelang es Festlandchinesen,
Einfluss auf die Exportproduktion und die Handelsbeziehungen zu bekommen.China konnte
sich fortan dem Druck global agierender Kapitalgesellschaften weitgehend
entziehen.
Als 1997 die Asien-Krise ausbrach,
war das Land dank hoher Devisenreserven nur wenig betroffen und konnte in der
Folgezeit die Exporte wesentlich steigern.
Einen weiteren Schub
bewirkte der Eintritt in die Welthandelsorganisation im Jahr 2001.
Der wachsende
Mittelzufluss ermöglichte die Realisierung ehrgeiziger Infrastrukturvorhaben,
was ausländische Investoren trotz Auflagen und Restriktionen zu einem
verstärkten Engagement animierte. Einheimische Unternehmen wuchsen zu
Kapitalriesen und erschlossen neue Wirtschaftsbereiche, Technologieparks wurden
errichtet, Produktionsstätten wurden ins chinesische Hinterland verlagert.
Der "Turbokapitalismus"
war nicht mehr zu stoppen. Die damit einhergehenden immensen Belastungen für
die Bürger wurden von der kommunistischen Führung für unvermeidlich
gehalten, da es sich nach ihrem Verständnis um eine notwendige
Zwischenetappe handelte: Aus marxistischer Sicht galt es, die
"ursprüngliche Kapitalakkumulation" nachzuholen....
Peking
geht mit EU ins Gericht: "Sie werden einen Preis für Ignoranz und Arroganz
zahlen"
Wolfram
Elsner ist in seiner Beurteilung zuzustimmen, dass sich
China letztlich keine Alternative bot, um den Vorsprung des Westens
aufzuholen und die Grundlage für eine prosperierende Gesellschaft zu
schaffen.
Aus Sicht der politischen
Elite war Eile erforderlich, da die westliche
Kooperationsbereitschaft mit der Hoffnung verbunden war, den dominanten
Einfluss der kommunistischen Partei zurückzudrängen.
Hierbei kommt den
Ereignissen im Jahr 1989, die fälschlicherweise als "Tian'anmen-Massaker"
tituliert werden, eine Schlüsselbedeutung zu.
Aus später
veröffentlichten Dokumenten geht
hervor, dass die damaligen Protestaktionen vom Westen nicht nur
unterstützt und propagandistisch begleitet, sondern auch
gesteuert wurden. Zu diesem Zweck wurden die historisch ersten NGOs
ins Leben gerufen, die sich auf das von Gene Sharp entwickelte Konzept
"friedlicher Revolutionen" und "gewaltfreien
Widerstands" stützten.
In einem zentralistisch
organisierten Staat galt die Einnahme der Landeshauptstadt als entscheidender
Schritt für einen Regierungssturz. Was in China misslang, wurde anderswo
erfolgreich umgesetzt, zuletzt im Jahr 2014 in der Ukraine.
Der Übergang vom
Turbokapitalismus zum Sozialstaat
In seinem Werk "Das
chinesische Jahrhundert" verweist Elsner auf eine vor
etwa zehn Jahren begonnene Korrektur, mit der die negativen
Begleiterscheinungen der wirtschaftlichen Aufbauphase eliminiert und
zugleich das neue Potenzial genutzt werden sollen.
Innerhalb einer halben
Dekade wurde ein flächendeckendes Rentensystem aus dem Boden gestampft,
das es zuvor nicht ansatzweise gab.
Ferner wurden die rechtliche
Position der Arbeitnehmer gestärkt und die Rechtssicherheit für
Privatpersonen und Unternehmen erhöht, wobei westliche Modelle als
Vorlage dienten.
Ebenso wurden die Sozial-,
Bildungs- und Gesundheitssysteme beträchtlich ausgebaut. Meist ging eine
Testphase in verschiedenen Landesteilen voraus, nach der die Erfahrungen
gebündelt und in Gesetze und allgemeine Richtlinien überführt wurden.
Verlieren
die USA den Wettlauf um Energietechnologien gegen China?
Sowohl die ungebrochene wirtschaftliche
Dynamik als auch die hohe Zufriedenheit der Bürger beruhen zu einem
wesentlichen Teil auf dieser Neuorientierung.
Vor dem Hintergrund des
gestärkten Vertrauens wurde das 2014 beschlossene Sozialkreditsystem überwiegend
positiv aufgenommen. Die kritische Positionierung im Westen verstellt den Blick
auf den Tatbestand, dass es sich aktuell in der Erprobungsphase befindet
und zunehmend Zweifel an einer späteren Realisierung geäußert werden. Zudem
sind die Hauptadressaten nicht einfache Bürger, sondern Unternehmen,
administrative Einheiten und Parteiorganisationen...
Chinas gewaltige
Fortschritte beruhen nicht allein auf staatlichen Entscheidungen, sondern sind
gleichermaßen Resultat eines hohen Engagements der Bürger. Ohne den
Einsatz Zehntausender Freiwilliger wäre die Eindämmung des SARS-CoV-2-Virus vor
einem Jahr in Wuhan und Umgebung nicht gelungen. Breit angelegte Kampagnen gab
es bereits zuvor, wie etwa die Unterweisung der Landbevölkerung im Gebrauch
neuer Technologien durch Millionen Studenten, die einen Teil ihrer
Semesterferien in den Dörfern verbrachten...
Ein wichtiger Garant für
das hohe Entwicklungstempo Chinas ist das konstruktive Zusammenspiel von
Wirtschaft und Staat. Unverkennbar sind Parallelen zum "Rheinischen
Kapitalismus" der 50er-Jahre, als in der Bundesrepublik Deutschland
das Primat der Politik noch Bestand hatte...
Um jedoch
Zukunftsvisionen entwickeln und glaubhaft ansteuern zu können, bedarf es eines
angemessenen politischen Handlungsspielraums, der im Westen aufgrund neoliberaler
Sachzwänge nicht mehr existiert.
Die unreflektierte
Übertragung des Freiheitspostulats auf die Wirtschaftspolitik hat sich
nicht nur als ausgesprochen schädlich erwiesen, sondern erscheint angesichts
der veränderten Interessenkonstellationen und Machtverhältnisse als kaum
korrigierbar.
Vierergipfel:
Die USA schmieden anti-chinesische Allianz im indopazifischen Raum
Die Strategie der dualen
Kreisläufe
Die im Herbst letzten
Jahres beschlossene Strategie der "dualen
Kreisläufe" ist eine konsequente Fortsetzung der chinesischen
Politik, wobei zwei Aspekte in den Fokus gerückt werden: die Nutzung des
vorhandenen wirtschaftlichen Potenzials zur Steigerung der Lebensqualität und
die Abwehr externer Bedrohungen.
Den Schwerpunkt des
inländischen Kreislaufs bilden die Anhebung der privaten Einkommen und
die Entwicklung zurückgebliebener Landesregionen. Die Kluft zwischen
Arm und Reich soll bis Ende der Dekade auf europäisches Niveau reduziert
werden. Als weitere wichtige Aufgabe wird der ökologische Umbau der
Wirtschaft betrachtet, wobei bis zum Jahr 2060 Klimaneutralität erreicht
werden soll.
Mit dem Konzept des
internationalen Kreislaufs wird das Ziel verfolgt, die Importabhängigkeit
von unverzichtbaren Vorprodukten wie Halbleitern zu senken und die Exportlastigkeit
der Wirtschaft zu vermindern, die sich in gewaltigen Handelsüberschüssen
niederschlägt. Dahinter steht die Angst vor einem weiteren Drehen an der Sanktionsspirale
durch die USA.
Die Aktivitäten dürften
sich gleichwohl auf eine Sicherung der Handelswege erstrecken, was den
Argwohn einer zunehmenden Einflussnahme auf die Staaten entlang der
Handelsrouten wie auch eines wachsenden militärischen Engagements
schürt. Das von China reklamierte Postulat der Nichteinmischung wird
damit auf die Probe gestellt.
Tatsächlich hat die
chinesische Führung in den letzten Jahren die wirtschaftliche Machtposition des
Landes mehrmals genutzt, um Druck auf andere Staaten und Unternehmen auszuüben.
So wurde der Güterimport
aus Australien gedrosselt,
nachdem dessen Regierung Huawei beim 5G-Netzausbau ausgeschlossen und
wiederholt Vorwürfe einer Vertuschung des SARS-CoV-2-Ursprungs erhoben hatte.
Seit vorletzter Woche werden mehrere Textilwarenhersteller auf dem chinesischen
Markt schikaniert, weil sie ihre Baumwollimporte aus Xinjiang stoppten
und dies mit vermeintlicher Zwangsarbeit in den Anbauregionen begründeten.
Besonders harsch wird auf abweichende Interpretationen des Status von Hongkong,
Taiwan und einigen dem Festland vorgelagerten Inselgruppen reagiert.
China
schickt erneut Kampfflugzeuge in taiwanischen Luftraum
Aus chinesischer Sicht
handelt es sich bei den eigenen Maßnahmen um reine Vergeltung für unfaire
und unrechtmäßige Handlungen der Gegenseite.
Nun gibt es aber
unterschiedliche Auffassungen, etwa die territorialen Ansprüche
betreffend. Auch wäre angesichts der schwächeren Position mancher
Kontrahenten zu hinterfragen, ob die Gegenschläge angemessen sind.
Chinesische Globalpolitik
China kann schon deshalb
nicht auf eigenen Machtgebrauch verzichten, weil es zunehmend von den USA
herausgefordert wird.
Dennoch sind keine
Ambitionen erkennbar, anderen Ländern das eigene System aufzuoktroyieren.
Damit unterscheidet sich die chinesische Außenpolitik sowohl von der
sowjetischen Praxis des "Revolutionsexports" als auch von
westlichen Strategien des "Regime-Change" und "humaner
Interventionen".
Ebenso maßt sich die
chinesische Führung nicht an, über die Menschenrechtslage in anderen Staaten
zu urteilen und Bedingungen zu stellen. Diese Haltung wird mit der Anerkennung
eines Wertepluralismus erklärt, wonach jedes Land einzigartige
historisch-kulturelle Besonderheiten aufweist.
Indem deren Respektierung
verlangt wird, verschafft sich China zugleich eine argumentative Grundlage, ausländische
Kritik als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückzuweisen...
Eine eurozentrische
Brille, verbunden mit einem hohes Maß an Überheblichkeit, macht es
vielfach unmöglich, das Verhalten und die Motive einfacher chinesischer Bürger
wie auch ihrer Regierung korrekt zu deuten.
Befürchtungen, dass im
Zuge eines "Great
Reset" chinesische Entscheidungsstrukturen
auf den Westen übertragen werden könnten, mögen berechtigt
sein, sie werden jedoch keineswegs durch Äußerungen der dortigen Führung
genährt.
Die vielbeschworene
mediale Einflussnahme Chinas beschränkt sich weitgehend auf Selbstdarstellung
und eine Zurückweisung erhobener Vorwürfe. Anders als westliche und
russische Medien mit vornehmlich ausländischem Publikum fungieren chinesische
Informationsdienste nicht als Bühne für oppositionelle Kräfte jener Länder.
Alles
für die "Menschenrechte"? China fordert von westlichen Staaten Ende
der Einmischung
Strebt China eine globale
Dominanz an, oder beschränkt sich das Land darauf, Win-win-Konstellationen
zu nutzen?
Die USA proklamieren
ihren Führungsanspruch explizit, mal begründet als oberster Hüter der
Menschenrechte, mal als "God's Own Country".
Auch Hitler verhehlte
nicht seine Pläne einer "Eroberung von Lebensraum", und das
britische Königreich bezweckte mit der Erweiterung des Kolonialbesitzes
erklärtermaßen die Festigung seiner internationalen Herrschaftsposition.
Gleichfalls wurden bei
den Feldzügen des Mittelalters und der Antike imperiale Intentionen offen
ausgesprochen.
Dagegen bekundet die
chinesische Führung wiederholt, nur Teil einer multipolaren Welt sein zu
wollen. Sollte dies reine Augenwischerei sein, hinter der sich ein globaler
Machtanspruch verbirgt, dann handelte es sich um ein geschichtliches Novum.
https://de.rt.com/meinung/115728-der-aufstieg-chinas-eine-bedrohung-fuer-den-westen/