Mittwoch, 25. November 2020

Russland kostengünstig in die Knie zwingen

 

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Strategien der US-Denkfabrik „Rand Corporation“

 25.11.2020
Von Ilona Pfeffer

Wirtschaftssanktionen, Destabilisierung im Inneren oder doch lieber die militärische Konfrontation? In einer Analyse der Denkfabrik „Rand Corporation“ werden Wege erörtert, wie die USA Russland möglichst viel Schaden zufügen könnten. Die Studie aus dem Jahr 2019 könnte unter Biden neue Aktualität bekommen.

Mit Michele Flournoy und Lisa Sawyer könnten zwei Frauen künftig im Team des gewählten Präsidenten Joe Biden sein, die nicht nur militärischen Background mitbringen, sondern mit ihren Äußerungen Russland und China zu den größten Bedrohungen für die USA hochstilisieren. Die beiden Großmächte gelte es zu schwächen – das geht aus verschiedenen Aussagen von Flournoy und Sawyer hervor. Flournoy wurde von Friedensaktivisten als „Todesengel des amerikanischen Imperiums“ betitelt, und unter Biden werde es mit Sicherheit wieder Krieg und Invasionen geben, sagte unlängst der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray. Da scheint die 2019 erstellte Analyse des Thinktanks „Rand Corporation“ unter dem Titel „Russland überfordern und aus dem Gleichgewicht bringen“ aktueller denn je.

„Todesengel des amerikanischen Imperiums“

„Mit Biden wird es wieder Krieg und Invasion geben“ – Britischer Ex-Botschafter Craig MurrayAutor James Dobbins setzt sich darin nicht zum ersten Mal damit auseinander, wie Russland geschwächt werden kann. Ähnliche Arbeiten gibt es zu China. Grundsätzlich wird Russland auf kurze Sicht wegen seiner militärischen Kraft als der gefährlichere Gegner eingestuft, China dafür auf lange Sicht als der ernstere Konkurrent um die Vorherrschaft in der Welt. Dobbins selbst hat in seiner langen Karriere zahlreiche mächtige Posten innegehabt, darunter als Botschafter der Vereinigten Staaten in der Europäischen Union, als stellvertretender Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten und als Sonderbeauftragter für Afghanistan und Pakistan.

Was steckt hinter Rand?

Laut Selbstauskunft beschäftigt der Thinktank 1950 Mitarbeiter in 50 Ländern und operiert in 80 Sprachen. Zu den bekanntesten Namen darunter gehören die frühere US-Außenministerin Condoleezza Rice und Ex-Verteidigungsminister der USA Donald Rumsfeld. „Die Rand Corporation ist eine Forschungsorganisation, die Lösungen für Herausforderungen des öffentlichen Lebens entwickelt, um Gemeinschaften auf der ganzen Welt sicherer, gesünder und wohlhabender zu machen“, so die Beschreibung in der Sparte „Über uns“ auf der Webseite von Rand. Ein genauerer Blick in die Publikationen des Thinktanks führt zu dem Ergebnis, dass ein großer Teil davon strategische Planspiele enthält, oft vom US-Militär in Auftrag gegeben. Die Denkfabrik finanziert sich auch größtenteils durch Auftragsarbeiten für das Pentagon, wie Hermann Ploppa in seiner Publikation zum Thema auf der Plattform „AG Friedensforschung“ betont.

Die Kernthemen bei Rand: Russland und China

Entstanden direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, war es von Anfang an Ziel der Denkfabrik im kalifornischen Santa Monica, militärische Planung mit Forschung und Entwicklung zu verbinden. Wie der Luftwaffengeneral und Gründungsvater von Rand, H. H. Arnold es in seinem Bericht an den damaligen Kriegsminister formulierte:

„Während des Krieges haben Army, Air Force und Navy in bis dahin ungekanntem Ausmaße Gebrauch von wissenschaftlichen und industriellen Ressourcen gemacht. Das führt unausweichlich zu der Schlussfolgerung, dass wir es noch nicht geschafft haben, eine Balance herzustellen, die die Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen Militär, staatlichen Behörden, der Industrie und den Universitäten sicherstellt. Wissenschaftliche Planung muss der eigentlichen Forschung und der Entwicklungsarbeit um Jahre voraus sein.“

Im Kalten Krieg lief die Organisation bereits auf Hochtouren, mit teils äußerst fragwürdigen Ergebnissen. So brachte sie 1960 eine Studie des Systemtheoretikers Herman Kahn zum Szenario eines Atomkriegs. Einen solchen Krieg stufte Kahn als beherrschbar ein und schlug unter anderem vor, verstrahlte Lebensmittel an alte Menschen abzugeben, da diese wahrscheinlich tot sein würden, bevor sie an Krebs erkranken könnten. Damit qualifizierte sich der Wissenschaftler als eines der Vorbilder für Stanley Kubricks legendäre Satire „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“.

Auch wenn der Kalte Krieg und die Sowjetunion längst Geschichte sind, gehört die Destabilisierung Russlands neben einem möglichen Krieg mit China zu den Kernthemen bei Rand. Eingedenk der Tatsache, dass der Stab des neuen US-Präsidenten Kader enthalten wird, die eben diese zwei Länder als größte Bedrohung für die USA titulieren und enge Kontakte zum Pentagon unterhalten, dürfte die Rand Corporation zukünftig eine wichtige Rolle für die US-amerikanische Außen- und Verteidigungspolitik spielen.

Russland effektiv und kostengünstig ins Abseits drängen

In der Analyse geht es um verschiedene Ansätze, wie die USA und ihre Verbündeten gewaltfrei und für Russland kostspielig dessen Wirtschaft, Militär und das Ansehen der politischen Führung im Inland überreizen und aus dem Gleichgewicht bringen können. Obwohl Russland schwache Seiten habe – wie die Abhängigkeit von Öl- und Gaspreisen und eine immer älter werdende, schrumpfende Bevölkerung, sowie tief verwurzelte Ängste, beispielsweise vor einem vom Westen initiierten „Regime Change“ oder einem militärischen Angriff – bleibe Russland ein mächtiges Land und in manchen Bereichen einer der größten Konkurrenten der USA, heißt es einleitend. Deshalb hätten die Forscher von Rand kostensparende Optionen ausgewertet, die Russland schwer belasten könnten, ohne dass die USA dabei zu sehr betroffen wären.

Auch Verteidigungsamt betroffen: Trumps Regierung bereitet umfassende Sanktionen gegen Russland vorIm ersten Abschnitt werden Szenarien ökonomischen Drucks erstellt und nach den Gesichtspunkten Erfolgsaussichten, Nutzen und Kosten und Risiken ausgewertet. In allen drei Bereichen schneidet am besten das Szenario ab, wonach die USA die eigene Energieproduktion hochfahren, die Ausfuhren erhöhen und zugleich die Preise auf dem Weltmarkt drücken könnten, wodurch Russlands Wirtschaft in Bedrängnis gebracht und seine Einnahmen im Energiesektor gesenkt werden würden. Auch die Erfolgsaussichten und der Nutzen von weiteren möglichen ökonomischen Sanktionen gegen Russland werden als sehr gut eingestuft. Doch müssten andere Länder dabei mitziehen und diese Option könnte mit Kosten und Risiken verbunden sein. Als noch weniger effizient werden die Szenarien eingestuft, wonach Europa unabhängiger vom russischen Gas wird und auf Flüssigerdgas ausweicht, ebenso wie der Abzug junger, gut ausgebildeter Russen aus dem Land.

Versorgung der Ukraine mit „tödlicher Hilfe“

Als noch weniger aussichtsreich werden in der Analyse geostrategische Optionen bewertet, weil sie durchweg entweder zu riskant oder zu wenig aussichtsreich sind. Auf der anderen Seite kann ihr Nutzen in Zweifel gezogen werden. Am besten schneidet hier das Szenario ab, dass man die Ukraine mit „tödlicher Hilfe“ versorgen könnte.

„Die Versorgung der Ukraine mit letaler Hilfe würde Russland an seiner größten externen Schwachstelle treffen. Aber jedwede Zunahme an Beihilfe der US-Armee bezüglich Waffen und Beratung für die Ukraine sollte vorsichtig abgewogen werden: um Russland zu größeren Ausgaben zu zwingen, wenn es seine Position halten will, ohne einen sehr viel größeren Konflikt zu provozieren, in dem Russland aufgrund der geografischen Nähe erhebliche Vorteile hätte.“

Michele Flournoy, in der Biden Administration zukünftige Verteidigungsministerin

© AP PHOTO / ANDY WONG„Imperialismus in Pumps“ oder Was ist von Bidens Kabinett zu erwarten?Ein Vorschlag übrigens, den Lisa Sawyer in ganz ähnlicher Weise geäußert hatte.

Die anderen in der Analyse betrachteten, jedoch verworfenen Varianten sind die verstärkte Unterstützung der syrischen Rebellen; die Unterstützung von Freiheitsbewegungen in Belarus; die Stärkung der Beziehungen zum Kaukasus; die Eindämmung des russischen Einflusses in Zentralasien und die Vertreibung russischer Truppen aus Transnistrien.

Ideologische Maßnahmen: Um die Position der russischen Führung zu schwächen

Im dritten Abschnitt geht es um ideologische Maßnahmen, die die Position der russischen Führung im In- und Ausland schwächen sollen. Die Szenarien umfassen die Erschütterung des Vertrauens ins russische Wahlsystem, das Streuen des Glaubens, die russische Führung würde nicht im Interesse ihres Volkes handeln, die Anregung von Protesten und gewaltfreiem Widerstand sowie die Schädigung des Rufes Russlands im Ausland. Sämtliche Varianten werden als nicht besonders aussichtsreich und zugleich riskant und kostenintensiv bewertet, einzig die Rufschädigung im Ausland erhält in allen drei Kategorien die Bewertung „moderat“. Das vorgeschlagene Vorgehen liest sich hierbei wie folgt:

„Russlands Image im Ausland zu unterminieren würde hauptsächlich durch die Schwächung von Russlands Position und Einfluss geschehen, wodurch dessen Anspruch, Russland zu seiner einstigen Größe zurückzuführen, beschnitten würde. Weitere Sanktionen, der Ausschluss Russlands von internationalen Nicht-UN-Foren und der Boykott von Veranstaltungen wie dem Weltcup könnten durch westliche Staaten implementiert werden, um Russlands Prestige zu zerstören. Aber inwiefern das Russlands innere Stabilität beschädigen würde, ist nicht klar.“

„Ich bin sehr besorgt, weil sogar von Bürgerkrieg die Rede ist“ – Sohn von Martin Luther KingDie restliche Analyse möglicher Strategien, um Russland zu schwächen, behandelt ausschließlich militärische Optionen, von Luftwaffe über Marine bis hin zu Land. Dass das mehr als die Hälfte der Studie einnimmt und sehr detailliert besprochen wird, dürfte nicht verwundern, schließlich wurde die Analyse im Auftrag der US-Armee erstellt. Nach Betrachtung diverser Optionen kommen Dobbins und seine Mitautoren zu dem Schluss, dass eine Schwächung Russlands hauptsächlich durch nicht-militärische Mittel erfolgen sollte. Russland versuche nicht, mit den USA in militärischer Hinsicht zu konkurrieren und werde unter Umständen nicht auf US-Provokationen antworten. Für die USA hingegen entstünden erhebliche Kosten.

Dennoch empfehlen die Verfasser der US-Armee drei Vorgehensweisen in Bezug auf Russland. Sie sollte in linguistische und analytische Russland-Expertise investieren, denn Russland sei auf lange Sicht eine Bedrohung und die amerikanischen Streitkräfte täten gut daran, Humankapital für den strategischen Wettstreit aufzubauen. Ferner sollte die Armee in taktische Raketensysteme, verschiedene Luftabwehrsysteme sowie futuristische Systeme wie unbemannte Flugobjekte investieren. Zudem stellten die Streitkräfte einen wichtigen Schutz dar, sollte Russland durch die anderen Strategien provoziert werden. Daher sollten die abschreckende Haltung in Europa und die Verstärkung der US-Militärkapazität Hand in Hand mit den Anstrengungen gehen, Russland zu reizen und zu schwächen.

Die Schlüsse: Russische Konter-Eskalation

Abschließend kommen die Autoren noch einmal darauf zu sprechen, dass der beste Weg, Russland zu reizen und zu schwächen, darin besteht, seine Schwächen, Ängste und Stärken gezielt anzusprechen – die besonders schwachen Bereiche auszunutzen und seine derzeitigen Vorteile zu unterminieren. Aufgrund seiner im Vergleich mit den USA kleinen und von Energie-Exporten abhängigen Wirtschaft sei gerade der ökonomische Bereich Russlands größte Schwäche. Die größte Angst seiner Staatsführung betreffe die Stabilität und Haltbarkeit des Regimes. Seine größten Stärken hingegen lägen beim Militär und dem Bereich der Informationskriege.

„Die meisten hier besprochenen Optionen sind zu einem gewissen Grade eskalierend und würden sehr wahrscheinlich russische Konter-Eskalation provozieren. Deswegen besteht neben den spezifischen Risiken, die mit den jeweiligen Optionen direkt verbunden sind, auch das zusätzliche Risiko, das von einem intensivierten Wettstreit mit einem nuklear bewaffneten Gegner herrührt, und sollte in die Überlegungen mit einfließen. Jede Option sollte gut geplant und vorsichtig abgewogen werden, um den gewünschten Effekt erzielen zu können. Nicht zuletzt werden beide Seiten nationale Ressourcen von anderen Projekten abziehen müssen. Auch wenn Russland die Kosten eines verschärften Wettstreits nicht so leicht wird schultern können, wie die Vereinigten Staaten. Russland einfach nur reizen zu wollen, ist daher nicht Grund genug, die hier vorgestellten Optionen zu erwägen. Sie sollten vielmehr Teil einer nationalen Strategie der Verteidigung und Abschreckung sein, und wo sich russische und US-amerikanische Interessen treffen, der Kooperation“, so das Schlusswort der Untersuchung.