Von Rüdiger Rauls
Das Covid-19-Virus ist nicht nur eine
Gefahr für Leib und Leben, es bedroht auch das Gefüge der globalen Beziehungen
und stellt die Stabilität besonders der westlichen Gesellschaften in Frage.
Verspekuliert
Im Jahre 2015 hatte China die Initiative
„Made in China 2025“ ausgerufen. Damit hatte das Land gewagt, seinen Anspruch
auf die technologische Führerschaft in der Welt zu anzumelden.
Dieser Plan sägte am Thron des Wertewestens, der
damals immer noch gefangen war in der Vorstellung, dass China die Werkbank der
Welt sei und auf absehbare Zeit auch bleiben werde.
Wieder einmal ist der Wertewesten über die eigene
Überheblichkeit gestolpert. China hatte nicht zerlegt werden können, wie
seinerzeit die UdSSR durch die Strategie des „Wandels durch Annäherung“,
und das Projekt Seidenstraße, das der Wertewesten anfangs noch belächelt
hatte, wurde zu einem überwältigenden Erfolg. Nun steht er abseits und muss
mitansehen, wie sich die Seidenstraße zu einem gewaltigen Konjunkturprogramm
für Chinas Wirtschaft entwickelt. Durch seine wirtschaftliche und
finanzielle Kraft wächst zudem Chinas politischer Einfluss in der Welt.
Für den Wertewesten unverständlich und unvorstellbar,
hatte sich das Land ausgerechnet unter der Führung einer Kommunistischen Partei
so gewaltig entwickelt, dass man darin nicht nur eine wirtschaftliche, sondern
zunehmend auch eine politische Bedrohung sah. So erklärte die EU im März
2019 China nicht nur zum wirtschaftlichen, sondern auch zum strategischen
Rivalen und Systemgegner.
Da man aber auf China als Abnehmer europäischer,
hier besonders deutscher Waren angewiesen war, beließen es die Europäer bei
einer politischen Auseinandersetzung unterhalb der Schwelle massiver
Konfrontation. Zudem ist man in Brüssel angesichts des chinesischen
Wirtschaftsengagements in einigen EU-Ländern nicht immer einer Meinung im
Umgang mit China.
Dagegen versuchen die USA besonders unter Trump,
Chinas wirtschaftlichen Aufstieg zu behindern, um die eigene Wirtschaft
gegen die chinesische Konkurrenz zu schützen.
Technologisch führende Unternehmen wie Huawei, ZTE
und neuerdings auch Tiktok, Tencent und Alibaba werden behindert oder
sollen gar ganz aus den westlichen Märkten gedrängt werden. Dabei
argumentierten die USA in erster Linie politisch mit der Menschenrechtslage in
Hongkong und der Situation der Uiguren, oder aber schüren Ängste mit
unbewiesenen Spionagevorwürfen und verhängen Sanktionen.
Westliche Fehleinschätzung
Bei all diesen Maßnahmen des Wertewestens geht es
nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch um politische Destabilisierung.
Dabei ist nicht klar, ob man tatsächlich selbst
glaubt, was man der westlichen Bevölkerung als Chinabild verkauft, also der eigenen
Täuschung aufsitzt.
Oder betreibt man bewusste Manipulation, indem
man ein Bild von der chinesischen Gesellschaft zeichnet, von dem man weiß, dass
es falsch ist?
Wirkt man darauf hin, durch einen Regime-Change
andere politische Kräfte in China an die Macht bringen zu können, die den
westlichen Interessen dienlicher sind, oder will man durch die politischen
Kampagnen nur eine Schwächung des Landes und damit eine Verlangsamung der
Entwicklung erreichen? Jedenfalls wird von westlicher Seite nichts
unversucht gelassen, Chinas Aufstieg zu behindern.
Neben der Uigurenfrage und den Versuchen der Einflussnahme
in Hongkong war die Corona-Epidemie ein weiterer Ansatzpunkt in der
westlichen Strategie der Einmischung und Destabilisierung. Schon früh war
deutlich geworden, dass die Seuche nicht nur ein medizinisches Problem war, sondern
in ganz besonderem Maße auch zu einem politischen aufgebauscht wurde. Es sollte
Auskunft geben über die Stärke der jeweiligen gesellschaftlichen Systeme.
So orakelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Chinas autoritäre Regierung kämpft nicht nur gegen das Virus. Das gesamte
System steht in Frage“. Wenige Tage später fragt Reinhard Veser in seinem
Kommentar: „Wird am Ende das Coronavirus zum Entzündungsherd für das politische
System Chinas? Wenn auch nicht ausgesprochen, so ist der Wunsch doch unüberhörbar,
dass dies so eintreten möge.
Angesichts der ständigen Einmischungsversuche
vonseiten des Westens schien man in Peking keine Zweifel zu hegen, dass auch
Corona zu politischen Zwecken benutzt werden würde. Dessen eingedenk erklärte
die Kommunistische Partei Chinas, „das Virus sei ein Test für die
Überlegenheit des chinesischen Systems“.Das war am 1. Februar 2020,
als die Epidemie noch nicht in voller Stärke in Europa und den USA angekommen
war.
Man wiegte sich hierzulande noch in der Sicherheit,
aufgrund des eigenen überlegenen Gesellschaftssystems keinerlei Gefahren
ausgesetzt zu sein. So beruhigte Gesundheitsminister Jens Spahn noch am 27. Januar
2020 die Deutschen, dass der Krankheitsverlauf beim Coronavirus milder sei als
etwa bei einer Grippe „Und wir bekommen auch einen Masern-Ausbruch in
Deutschland mit deutlich milderen Maßnahmen in den Griff, als wir sie derzeit
in China sehen."
Während also Spahn felsenfest überzeugt war von der
westlichen Überlegenheit, war man in Peking bescheidener: Man sah die
Herausforderung als einen Test für die eigene Überlegenheit, deren
Beweis erst noch erbracht werden musste.
Und entsprechend dieser verschiedenen Einstellungen
handelte man auch unterschiedlich. In Peking ließ man seinen Worten Taten
folgen. China vollbrachte die logistische Meisterleistung … innerhalb von
wenigen Tagen nicht nur ein Krankenhaus mit 1500 Betten, sondern
sogar ein zweites mit weiter 1000 Betten für die Vireninfizierten aus
dem Boden zu stampfen.
Gegenüber diesen geschaffenen Tatsachen als Nachweis
von Handlungsfähigkeit entpuppten sich die vollmundigen Worte Spahns später als
heiße Luft. Bei der Ankunft der Epidemie im Wertewesten offenbarten sich die
vorgetragene Selbstsicherheit seiner Politiker, aber auch deren Ignoranz als unverzeihliche
Überheblichkeit mit schwerwiegenden Folgen für die Bevölkerung.
An dieser Handlungsfähigkeit Chinas musste sich fortan
der Westen messen lassen. Wie sollte man sonst der eigenen Bevölkerung
erklären, dass ein Gesellschaftssystem, das von den westlichen Meinungsmachern
immer als menschenverachtend dargestellt wurde, mehr Anstrengungen für das
Wohlergehen der eigenen Bürger unternahm und dabei erfolgreicher war als die
hochgelobten freiheitlichen Demokratien?
Das ist der Kern der Ungereimtheiten, die viele Bürger
im Verhalten der eigenen Politiker nicht verstehen und deshalb als Ausdruck
von Machtgier oder als hinterhältige Pläne der Eliten deuten.
Kleinlaut geworden
Es dauerte nicht lange, bis dem Wertewesten die eigene
Überheblichkeit auf die Füße fiel. Schon bald dämmerte auch hierzulande den
Meinungsmachern, dass das Virus all das im eigenen Lande verursachen konnte,
was man dem chinesischen System noch vor wenigen Tagen insgeheim gewünscht
hatte: Zweifel und Unruhe in der eigenen Bevölkerung.
Noch am 3. März 2020 hatte die FAZ vollmundig die Vorteile
des sogenannten demokratischen Rechtsstaats gegenüber dem „autoritären“ chinesischen
hervorgehoben: „Ein gut eingespieltes föderales System mit Entscheidungsträgern
auf allen Ebenen ist im Endeffekt auch effektiver als zentrale
Befehlsstrukturen“.
Doch bald wurden erhebliche Probleme in Deutschland,
aber besonders in den Ländern der Corona-Leugner USA, Brasilien und
Großbritannien in der Bewältigung der Epidemie offensichtlich. Selbst
Länder wie Italien und Spanien, die die Seuche von Anfang an ernst
nahmen und mit allen Mitteln zu bekämpfen suchten, mussten nun erkennen, dass
sie einer Gefahr gegenüberstanden, die mit den herkömmlichen Mitteln schlecht
unter Kontrolle zu bringen war.
Es war eben doch mehr als Spahns kleingeredeter „Masern-Ausbruch“. Diese „für den
Menschen ansteckende neuartige Viruserkrankung … lässt sich bisher nicht
vollständig in die Karten schauen.“ So musste denn auch eben jener Reinhold
Veser, der am 8. Februar 2020 noch Corona als Entzündungsherd für das
chinesische System gesehen hatte, erkennen: Die „Krise ist so tiefgreifend,
dass sie zur Gefahr für die Legitimität eines jeden politischen und
wirtschaftlichen Systems werden kann“.
Späte Würdigung
Von da an ging es bergab mit der
westlichen Überheblichkeit. Erstens musste man feststellen, dass
in der Folge China die Lage im eigenen Land wesentlich besser in den Griff bekam, als man im Wertewesten erwartet
hatte und wahrhaben wollte. Darüber hinaus aber konnte das Land durch seine
Hilfsmaßnahmen politisch sogar gegenüber dem Westen in die Offensive gehen.
So musste der Prophet des chinesischen Untergangs,
Reinhard Veser, in seinem Kommentar am 28. März 2020 feststellen, „dass es
China und Russland gelungen ist, sich in Italien zu großen Helfern in der Not
zu stilisieren“. Dabei sei es der EU nicht gelungen, „politisch und
kommunikativ auf die großangelegte propagandistische Verwertung der alles
andere als selbstlosen Hilfeaktionen Pekings und Moskaus“ zu reagieren.
Dass der Westen dazu nicht in der Lage war, lag nicht
an technischem oder politischem Versagen. Vielmehr ist das dem Umstand
geschuldet, dass die wirklichen Ereignisse keine propagandistische Darstellung
westlicher Erfolge hergaben.
China war der Gewinner in diesem Kampf der
politischen Systeme, und da half in der Folge nur noch eins:
Man schwieg im Westen tot, was man durch die Wirklichkeit nicht widerlegen
konnte: Chinas Erfolge.
Denn je weiter die Epidemie im Westen voranschritt,
desto mehr fielen die Ergebnisse westlicher Seuchenbekämpfung hinter den
chinesischen zurück. Oder aber man war gezwungen, dieselben Mittel und Methoden
anzuwenden, die man wenige Wochen zuvor noch bei China als diktatorisch oder
autoritär angeprangert hatte: Maskenpflicht, Quarantäne, Fieberkontrolle und
Tracking-App.
„Aus ostasiatischer Perspektive aber hat
Deutschland in der Pandemie versagt“.
So lautete die vernichtende Abrechnung der FAZ nach einem halben Jahr
Corona-Bekämpfung, wobei Deutschland im Verhältnis zu den Staaten der
Corona-Leugner noch sehr gut dasteht. Mit dieser ostasiatischen Sicht ist aber
nicht der chinesische Blickwinkel gemeint. Als Vorbild in der
Pandemie-Bekämpfung wird Japan dem westlichen Medienkonsumenten vorgestellt.
China wird gar nicht mehr erwähnt.
Aber die Wirklichkeit lässt sich nicht verleugnen. In
einem unscheinbaren Artikel der FAZ über eine Poolparty in Wuhan – und nicht
nur dort - mit Tausenden von Badegästen gewährt man dem westlichen
Medienkonsumenten dann doch noch einen Blick auf die Wirklichkeit: „Die
Regierung hat von Anfang an auf eine Ausrottung des Virus gesetzt und nicht nur
auf eine Abflachung der Infektionskurve wie zum Beispiel Deutschland. Dafür hat
das Land drastische Maßnahmen ergriffen, die sich jetzt auszahlen“.
Das belegen auch die Wirtschaftszahlen. „Die
Prognosen, dass die Epidemie die chinesische Wirtschaft in den Abgrund reißen
werde, haben sich nicht bewahrheitet. … Chinas Wirtschaft legte im zweiten
Quartal … im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 3,2 Prozent zu“. Es war
damit das einzige Industrieland, das ein Wachstum verzeichnen konnte.
Das ist eine späte Würdigung der chinesischen
Verdienste durch Berichterstatter der FAZ, die ansonsten nicht bekannt ist für
ihre Liebe zu China. Aber diese positive Darstellung fand sich nicht auf den
vorderen Plätzen, wie sonst üblich für China-Berichte dieser Zeitung. Diese
vorderen Plätze sind dort der Stimmungsmache gegen China vorbehalten.
Gesellschaftliche Zerrissenheit
Während also in China dank seiner Erfolge in der
Seuchenbekämpfung wieder gefeiert werden kann, steigen die Infektionszahlen in
den westlichen Staaten erneut an.
Viele befürchten nun eine zweite Welle.
Die Unruhe, die die westlichen Medien in China hatten herbeireden wollen,
entstand nicht dort, sondern in den eigenen Gesellschaften. Besonders in
Deutschland haben die Maßnahmen der Regierung sehr unterschiedliche Reaktionen
hervorgerufen.
Während besonders in den Staaten, die von
Corona-Leugnern regiert werden, die Untätigkeit der Regierenden
angeprangert wird, werden hierzulande viele Einschränkungen des
Alltagslebens als unangemessen kritisiert. Die westlichen Regierungen haben
große Mühe, die eigenen Gesellschaften unter dem Druck der verschiedenen
Gruppen und ihrer Forderungen zusammen zu halten. Demgegenüber stand die chinesische
Gesellschaft weitgehend geschlossen hinter den Maßnahmen ihrer Führung.
Die Politisierung durch das Virus fand nicht nur auf
der zwischenstaatlichen Ebene statt. Diese Rivalität zwischen den Staaten wird
nun noch verstärkt durch das Wettrennen um die Markteinführung von Impfstoffen.
Mit zunehmender Dauer der Pandemie breitet sich die Politisierung auch immer
weiter innerhalb der Gesellschaften des Wertewestens aus.
Zwar erhält die deutsche Regierung hohe
Zustimmungswerte aus dem Großteil der Bevölkerung für ihr Krisenmanagement,
obwohl es im Verhältnis zum chinesischen miserabel ist. Aber es wächst auch die
Zahl derer, die durch diese Maßnahmen ihre Grundrechte, besonders das Recht
der Meinungs- und Versammlungsfreiheit bedroht und Deutschland auf dem
Weg in eine Diktatur sehen.
Nichts verdeutlicht diese gesellschaftliche
Zerrissenheit so sehr, wie die sogenannte Grundrechts-Bewegung. In ihr
offenbart sich ein Zersetzungsprozess, der sogar die verfassungsmäßigen
Grundlagen der Gesellschaft angreift. Das Grundgesetz, auf das sich die
Bewegung beruft und zu dessen Schutz sie sich aufgerufen fühlt, wird nur in
den Bereichen respektiert, die ihren besonderen Interessen dienlich sind,
nämlich der Versammlungs- und Meinungsfreiheit.
Aber das Grundgesetz ist kein Menü, aus dem
sich jeder herauspicken kann, was ihm gefällt, weil es seinen Sonderinteressen
dienlich ist. Es bildet vielmehr den Kern des bürgerlichen Wertesystems, die
DNA der bürgerlichen Gesellschaft.
So hält es ausdrücklich in Art 2 Absatz 2 das
Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit fest. Dieses hohe
gesellschaftliche Gut der bürgerlichen Errungenschaften, die unter Jahrhunderte
langen Kämpfen und hohen Opfern gegen feudalistische Herrschaft erkämpft worden
waren, scheint der Grundrechts-Bewegung gleichgültig und bedeutungslos.
Jedenfalls findet dieser Artikel in der Argumentation ihrer Anhänger keine
Beachtung. Gerade jedoch die Erfüllung dieses Artikels ist eine wesentliche
Aufgabe des Staates. Auf diesem Auftrag des Grundgesetzes gründen letztlich die
staatlichen Maßnahmen der Virusbekämpfung...
Politisch offenbaren sich in der Existenz der
Grundrechts-Bewegung Misstrauen und Ablehnung einer wachsenden Zahl von Bürgern
gegenüber den Führungskräften der bürgerlichen Gesellschaft. Was also die
Meinungsmacher hierzulande in der chinesischen Gesellschaft zu erkennen
glaubten, beschreibt vielmehr die Situation im eigenen Land und vielleicht auch
im Westen insgesamt....
Ähnlich wie Fridays for Future (FfF)
gründet sich diese Bewegung nicht auf politischem Bewusstsein, sondern auf moralischer
Empörung. Beider Stärke beruht nicht auf eigener Kraft, sondern auf der
Schwäche der Führungskräfte der bürgerlichen Gesellschaft. Diese sind Opfer der
eigenen Orientierungslosigkeit und Argumentationsschwäche. Ihre Ideale sind
hohl, ihre Argumente kraftlos geworden durch eine Werteorientierung, die sich
nicht mehr auf Werte stützt, sondern diese nur noch im Munde führt.....
Es bleibt zu hoffen, dass am Ende mehr bleibt als
zerrüttete oder gar zerbrochene Freundschaften, die das politisierte Kohlendioxid
und das ebenso politisierte Virus bisher schon hinterlassen haben.
Beide werden nicht verschwinden aus der Welt...
https://kenfm.de/das-politisierte-virus-von-ruediger-rauls/