Freitag, 4. September 2020

Im transpazifischen Kalten Krieg

Im transpazifischen Kalten Krieg

BERLIN/BEIJING(Eigener Bericht) - Fast täglich gesteigerte US-Aggressionen gegen China begleiten die heute zu Ende gehende Europareise des chinesischen Außenministers Wang Yi. Wang führt heute Gespräche in Berlin; er sucht einen transatlantischen Schulterschluss gegen Beijing zu verhindern und hat während seiner Reise vor einem "neuen Kalten Krieg" gewarnt.
Die Trump-Administration hat nicht nur ihre Sanktionen gegen Huawei erheblich ausgeweitet und chinesische Internetkonzerne mit einem Verbot ihrer Geschäftstätigkeit in den USA bedroht, sondern zuletzt auch Sanktionen gegen Tochterfirmen des staatlichen Baukonzerns CCCC verhängt; US-Politiker bezeichnen die Firma, die eine wichtige Rolle für Bauprojekte im Rahmen der Neuen Seidenstraße spielt, vielsagend als "Huawei der Infrastruktur".
Zudem verschärfen die USA militärische Provokationen. Berlin hat zuletzt bekräftigt, die von Washington geforderte "Entkopplung" von Beijing abzulehnen.
Wangs Europareise wird von systematisch orchestriertem Protest begleitet, der - günstig für die US-Aggression - die Kooperation stören soll; eine zentrale Rolle spielen dabei Bündnis 90/Die Grünen.
Verhältnis zu China: "kompliziert"
Im Zentrum der heute zu Ende gehenden Europareise des chinesischen Außenministers Wang Yi steht das Bemühen, einen umfassenden transatlantischen Schulterschluss gegen die Volksrepublik zu verhindern. US-Außenminister Mike Pompeo hatte Ende Juli in London die Schaffung einer "breiten Allianz" gegen Beijing gefordert und erklärt, sämtliche Demokratien müssten "eine Koalition" bilden, um gemeinsam gegen die Volksrepublik vorzugehen. Mitte August hatte der vormalige CIA-Direktor dann Polen, Tschechien, Slowenien und Österreich bereist, um seine antichinesische "Allianz" zu fördern.
Berlin sucht den Schulterschluss zu meiden. Anfang August hatte der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth in einem Namensbeitrag erklärt, "das Verhältnis der EU zu China" sei "kompliziert"; Beijing sei zwar einerseits "Systemrivale", andererseits aber auch - vor allem ökonomisch - "wichtiger Partner": "Unsere Volkswirtschaften sind miteinander verflochten, Zusammenarbeit liegt im beiderseitigen Interesse." Insbesondere erklärte Roth, die von Washington geforderte "möglichst weitgehende 'Entkoppelung' von China" sei "für die EU ... keine Option".

Das "Gesetz des Dschungels"

Wang sucht nun dem US-Druck etwas entgegenzusetzen. Bereits am Dienstag warnte er auf der ersten Station seiner Europareise in Rom, "ein neuer kalter Krieg" werde die ganze Welt als Geisel nehmen. China lehne ihn dezidiert ab - und biete allen die Hand, "sich jedem zu widersetzen", der versuche, "uns wieder in das 'Gesetz des Dschungels' zu ziehen". Die Äußerung war klar auf Washington und seine global zunehmenden unilateralen Aggressionen gemünzt.
Konkret diente die Reise des Außenministers nicht zuletzt dem Ziel, die Videokonferenz der EU mit Chinas Präsident Xi Jinping vorzubereiten, die für den 14. September angekündigt ist; zudem stellte Wang auf einer Veranstaltung am Sonntag in Paris in Aussicht, das geplante Investitionsabkommen zwischen der EU und China noch in diesem Jahr zum Abschluss zu bringen.
Nach Aufenthalten in Italien, Frankreich, den Niederlanden und Norwegen hält sich Wang am heutigen Dienstag zu Gesprächen in der deutschen Hauptstadt auf. Zudem wird Chinas Spitzendiplomat Yang Jiechi, Mitglied des Politbüros, noch diese Woche in Griechenland und Spanien erwartet - ebenfalls ein Teil der Bemühungen Beijings, seine Beziehungen zu Europa zu stabilisieren.

Eskalierende Sanktionen

Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem die Vereinigten Staaten ihre Aggressionen gegen China beinahe täglich steigern. So hat die Trump-Administration jüngst ihre Sanktionen gegen Huawei so verschärft, dass nun alle Chiphersteller weltweit, die auch nur in geringem Maße US-Produkte nutzen, dem chinesischen Telekomkonzern keinerlei Halbleiter mehr liefern dürfen. Aufgrund der bedeutenden Stellung von US-Konzernen in der High-Tech-Branche läuft das auf einen kompletten Halbleiterboykott und womöglich auf den Kollaps des Unternehmens nach dem Aufbrauchen der vorhandenen Reserven hinaus, die Experten zufolge allenfalls bis zum kommenden Frühjahr reichen. Die Trump-Administration bedroht darüber hinaus chinesische Apps wie TikTok oder WeChat mit dem Verbot - und verbindet dies im Mafia-Stil mit dem Angebot, TikTok zu einem per Verbotsdrohung, also gewaltsam gesenkten Preis an einen US-Konzern zu verkaufen. Vergangene Woche hat Washington darüber hinaus Sanktionen gegen 24 Unternehmen verhängt, die auf Inseln im Südchinesischen Meer Aktivitäten entfalten, darunter fünf Tochterfirmen des Baukonzerns CCCC (China Communications Construction Company). Die Folgen sind noch nicht abschließend geklärt. Beschränkten sich die Sanktionen auf einen Lieferboykott, hätten sie wenig Folgen; CCCC kauft kaum US-Produkte.[6] Allerdings ist unklar, ob sich Kooperationspartner des Konzerns abschrecken lassen. CCCC, von US-Politikern bereits vielsagend als "Huawei der Infrastruktur" etikettiert, führt annähernd 1.000 Projekte in mehr als 150 Staaten durch und spielt bei Bauvorhaben im Rahmen der Neuen Seidenstraße eine herausragende Rolle.

Militärische Provokationen

Darüber hinaus weiten die Vereinigten Staaten ihre militärischen Provokationen aus, insbesondere im Südchinesischen Meer. Dort hat die U.S. Pacific Fleet ihre Manöver verstärkt und mehrmals gemeinsam mit Marineschiffen Australiens Kriegsübungen durchgeführt, zum Teil in unmittelbarer Nähe zu chinesischen Schiffen. Mitte August trainierten B-1- und B-2-Bomber der U.S. Air Force in Verbindung mit einer US-Flugzeugträger-Kampfgruppe nahe Japans und über dem Indischen Ozean; vergangene Woche durchquerte ein US-Lenkraketenzerstörer demonstrativ die von China beanspruchten Gewässer um die Paracel-Inseln. Nur kurz zuvor war ein U-2-Spionageflugzeug der U.S. Pacific Air Forces ungenehmigt in eine nordostchinesische Flugverbotszone eingedrungen, während die chinesischen Streitkräfte dort ihrerseits Übungen durchführten - ein riskanter Schritt, der auch in westlichen Militärkreisen bestehende Befürchtungen nährt, die USA könnten mit einem - gewollten - Unfall eine bewaffnete Auseinandersetzung zu provozieren suchen.

Beijing hat in den vergangenen Tagen unter anderem mit vier gleichzeitig abgehaltenen Manövern - im Süd- und im Ostchinesischen Meer, im Gelben Meer und im Golf von Bohai - klargestellt, dass es auf eine etwaige Verteidigung gegen US-Angriffe vorbereitet ist. Zudem haben die chinesischen Streitkräfte in einer Übung mehrere Raketen der Modelle DF-21D und DF-26B ins Südchinesische Meer gefeuert. Die DF-21D gilt als hocheffiziente Antischiffsrakete und wird daher auch "Carrier Killer" genannt; die DF-26B kann gegebenenfalls den US-Militärstützpunkt Guam im Pazifik erreichen.

Kampagne gegen Beijing

In dieser Situation hat ein antichinesisches Parlamentarierbündnis, in dem rechte US-Hardliner und deutsche Grünen-Politiker eine führende Rolle spielen, die Europareise des chinesischen Außenministers mit PR-Aktionen begleitet, die offen darauf zielen, die Spannungen noch weiter zu verschärfen.
Bei dem Bündnis handelt es sich um die Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), einen Zusammenschluss, der auf Initiative unter anderem des Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer gegründet wurde; prominentes Führungsmitglied ist US-Senator Marco Rubio, im IPAC-Beirat ist nicht zuletzt ein langjähriger CIA-Spezialist aktiv. Die IPAC hat Protestaktionen mit Hongkong-Aktivisten am Rande des Wang-Besuchs, Protestbriefe und in den Niederlanden eine angebliche Einladung an Wang zum Gespräch über die Lage in Xinjiang organisiert; in Deutschland haben die drei IPAC-Mitglieder Michael Brand (CDU), Gyde Jensen (FDP) und Margarete Bause (Bündnis 90/Die Grünen) die Regierung aufgefordert, in den Gesprächen mit dem chinesischen Außenminister auf eine "zurückhaltende Sprache" zu verzichten und "Klartext zu reden".  
Vorwand sind menschenrechtliche Argumente, die die IPAC-Mitglieder allerdings gegen westliche Mächte nicht vorbringen (völkerrechtswidrige Kriege gegen Jugoslawien, Irak, Libyen, Menschenrechtsverbrechen im "Anti-Terror-Krieg", bei der EU-Flüchtlingsabwehr etc.). Faktisch begünstigt das Störmanöver den von der Trump-Administration gewünschten transatlantischen Schulterschluss gegen Beijing.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8366/